SELK-Pfarrer bei Zeitfragen-Gottesdienst | 17.10.2017

SELK-Pfarrer bei Zeitfragen-Gottesdienst in Berlin-Zehlendorf
200 Jahre Union und selbstständige lutherische Kirchen

Berlin, 17.10.2017 - selk - Am vergangenen Sonntag fand in der Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Berlin-Zehlendorf ein Zeitfragen-Gottesdienst statt, in dem Pfarrer Markus Büttner von der Mariengemeinde Berlin-Zehlendorf der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) den Hauptvortrag hielt. Neben Gemeindegliedern der gastgebenden Kirchengemeinde waren auch nicht wenige aus der Mariengemeinde der SELK gekommen.

Eingangs verglich Büttner die Situation beider Kirchen mit einer Familie, die sich anlässlich eines runden Geburtstags treffe, obwohl sie wisse, dass es miteinander nicht immer leicht gewesen sei. Während die Union Evangelischer Kirchen ihr 200-jähriges Bestehen feiere, sei dies auch die Stunde der Entstehung einer unabhängigen evangelisch-lutherischen Kirche in Preußen und damit der Beginn der heute in der SELK fortlebenden selbstständigen Luthertums gewesen.

Dem Referenten ging es zunächst um die bis heute verschiedenen Sichtweisen auf die Bekenntnisse, ihre Verbindlichkeit und die Bekenntnisbindung. Mit einer kleinen Episode brachte er eben diese Unterschiede auf den Punkt: "Wir sind auch Lutheraner!", so höre man manchmal bestimmt im ökumenischen Gespräch einen Christen aus der Union einem aus der SELK sagen. Dessen klassische Antwort sei: "Ja, und wir sind nur Lutheraner!"

Ausgangspunkt seines Ansatzes war das späte altkirchliche Leitmotiv: Das Gesetz des Betens muss dem Gesetz des Glaubens entsprechen. Das Bekenntnis einer Kirche ist kein Abstraktum, sondern sucht ihre praktische Anwendung und Konkretion im Leben der Kirche, zuerst und zunächst im Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde. Gottesdienstlich kann sie nichts anderes feiern als das, was das Bekenntnis als Rahmen vorgibt, so Büttner. Er verdeutlichte diese These an den Messreformen Dr. Martin Luthers aus den Jahren 1523 und 1526, nahm Bezug auf die Marburger Religionsgespräche zwischen Luther und Zwingli und stellte Luthers Brief an die Gemeinde zu Frankfurt/Main aus dem Jahr 1532 vor. Luther legt darin jedem Christen ans Herz: "Frage deinen Prediger, was das sei, was er beim Sakrament in der Hand hat!" In eben diesem Brief an die Frankfurter ist Luther entsetzt darüber, dass es möglich sein könnte, dass in einer Kirche und an einem Altar zwei unterschiedliche Verständnisse vom Abendmahl gleich gültig sein sollten. Das eben die einen glauben, dass sie Brot und Wein empfangen, die anderen aber Christi wahren Leib und sein wahres Blut. Für ihn ist es unvorstellbar, dass Pfarrer tatsächlich zur Gegenwart Jesu Christi kein Wort verlieren und beide Teile der Gemeinde in ihrem je eigenen Glauben belassen. Auch eine kurze Beleuchtung des ungeänderten Augsburger Bekenntnisses von 1530 stellte der Referent den Zuhörenden vor.

In einem weiteren Teil beleuchtete Büttner dann die Ereignisse der Union zwischen Lutheranern und Reformierten. Am 27. September 1817 wurde durch königliche Kabinettsorder die neue evangelisch christliche Kirche ins Leben gerufen. Ein neuer Kirchentypus war entstanden - die protestantische Unionskirche. Der interessierten Zuhörerschaft wurden die Ereignisse rund um die Einführung der Agende der unierten Kirche am 25. Juni 1830 und ihre Folgen vor Augen geführt. Die erste Bittschrift richten die allein am lutherischen Bekenntnis Festhaltenden an König Friedrich Wilhelm III. am 27. Juni 1830 - also zwei Tage nach der offiziellen Einführung der Unionsagende. In monatlichen Abständen richten sie diese Schrift an ihn mit der Bitte um eine selbstständige lutherische Kirche, eine selbstständige lutherische Verfassung und eine selbstständige lutherische Kirchenleitung:

"Wenn Ew. Majestät allergnädigst erklären: die nicht unierte Kirche der Augsburgischen Konfessionverwandten dürfe sich frei neben die unierte evangelische hinstellen, jene solle einen Teil von den Kirchengebäuden und Gütern, die ihr früher allein gehörten, zurückerhalten, sie dürfe Prediger ihres Bekenntnisses haben, ihren Gottesdienst in alter Ordnung halten, ihre Parochalverhältnisse ordnen - wie schnell würde freundlichste Ordnung und Eintracht an die Stelle der jetzt allgemein herrschenden Zerrüttung treten."

Erst Ende 1830 wird den Lutheranern abschlägig durch Minister von Allenstein geantwortet. Dieser ist entschlossen, den friedlichen Widerstand zu brechen und die Lutheraner in die evangelische Union zu zwingen. Polizei und schließlich Militär sollten die Lutheraner in die Gemeinschaft mit der neu entstandenen unierten Landeskirche nötigen. Als Beispiel nannte Büttner die Ereignisse um das Weihnachtsfest 1834 in Hönigern (Schlesien). Der damalige Gemeindepfarrer Eduard Kellner weigert sich ebenfalls, die neue Unionsagende zu verwenden, worauf er durch den evangelisch-unierten Superintendenten suspendiert wird. Friedlich weigern Kellner und seine Gemeinde sich, das Kirchgebäude der Unionskirche zu überlassen. Auch wenn der Landrat, die Polizei und der unierte Superintendent zunächst nichts auszurichten vermögen, so rückt am 23. Dezember preußisches Militär an, um sich gewaltsam der Kirche zu bemächtigen. Eine stattliche Streitmacht von 400 Infanteristen, 50 Kürassieren und 50 Husaren mit zwei Kanonen stehen unbewaffneten Zivilisten gegenüber. Mit Kolbenstößen verschafft sich das Militär gewaltsam Zutritt. Am ersten Weihnachtstag 1834 übergibt der unierte Superintendent in einem Gottesdienst dem neuen unierten Pastor die Agende und das Kirchgebäude. Erst nach sechs Tagen ziehen sich die Soldaten zurück, nachdem sie der Bevölkerung deutlich zu verstehen gegeben haben, dass sie die unierten Gottesdienste zu besuchen hat. Nach 10-jähriger Verfolgungszeit konnte sich die evangelisch-lutherische Kirche in Preußen organisieren, wenn auch unter Auflagen, die erst weit später der Vergangenheit angehören sollten.

Mitnichten war der preußische Staat nur tolerant. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass der preußische Staat mit Einwilligung und aktiver Unterstützung seitens der unierten Landeskirche die selbstständigen Lutheraner ("Altlutheraner") verfolgte und unterdrückte. Diesen Altlutheranern ging es um nichts weniger als um Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Organisationsfreiheit, Grundrechte, die heute in Deutschland selbstverständlich sind.

Büttner stellte auch die Gespräche vor, die 2013 zwischen der Union Evangelischer Kirchen und der SELK begonnen haben. So verwies er auch auf das, was der damalige Leiter der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union, Franz-Reinhold Hildebrandt, 1967 in seiner Predigt vor der Synode zum 150-jährigen Unionsjubiläum sagte:

"Mit Beschämung bekennen wir, dass es bei der Durchsetzung der Union nicht an Anwendung von Gewalt gefehlt hat. Jener Weihnachtsabend des Jahres 1834 in dem schlesischen Dorf Hönigern im Kreise Namslau diente nicht der Auferbauung des Leibes Christi. Mit Kolbenstößen von Soldaten, gewaltsamem Öffnen von Kirchentüren und Verhaftungen von Pfarrern, wie dies damals geschah, lud unsere Kirche eine Schuld auf sich, die noch heute nachwirkt. Damals sind viele Familien aus ihrer Heimat nach Australien und Nordamerika ausgewandert, um ihren lutherischen Glauben rein zu bewahren, den sie in der Union gefährdet sahen. Und wenn Schuld allein durch Vergebung bedeckt werden kann, so wollen wir diesen Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne unsere altlutherischen Brüder um solche Vergebung zu bitten."

Diese Vergebungsbitte erreichte die damalige Kirchenleitung nicht, da sie auch nicht offiziell zugestellt wurde. Es sei jedoch seitens der Union Evangelischer Kirchen und der SELK geplant, am 22. November 2017 in der Kirche der SELK in Berlin-Mitte offiziell ein Dokument zu unterzeichnen und sich mit einem gemeinsamen Wort an die Gemeinden zu wenden.

Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei einer Tasse Tee rege über Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Kirchen.

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Ein Bericht von selk_news /
Redaktion: SELK-Gesamtkirche /
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