9. Lutherischer Kirchentag (14) | 29.05.2018

"Ökumene der dritten Art"
Eberhard Tiefensee referierte auf SELK-Kirchentag

Erfurt, 29.5.2018 - selk - Die gesellschaftlichen Verhältnisse, in der die Kirche heute stünden, seien völlig neu, noch nie dagewesen, sagte Prof. Dr. Eberhard Tiefensee, römisch-katholischer Theologe und bis vor kurzem Professor für Philosophie an der Universität Erfurt, auf einer Veranstaltung des 9. Lutherischen Kirchentages der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Erfurt. Bisher sei das Christentum immer auf andere Religionen gestoßen, heute treffe es auf ein weitgehend religionsloses Umfeld. Tiefensee, der sich seit Jahren intensiv mit Fragen der konfessionellen Situation, besonders im Osten Deutschlands, beschäftigt, verglich diese Situation mit einer Supernova, die explodiert und sich auflöst. Diese Entwicklung könne man auch nicht zurückdrehen. In Bezug auf die Kirchen bedeute das, dass die Frage nach Gott überhaupt nicht mehr verstanden werde. Die "neuen Heiden" seien nicht "Entfremdete" (die es zurückzuholen gelte), sondern sie seien "Unberührte". Sie hätten schon in der zweiten und dritten Generation mittlerweile nichts mehr mit religiösen Fragen zu tun. Der Referent erläuterte das am Beispiel der "Warum"-Schilder, die regelmäßig an Plätzen von Unfällen oder Anschlägen aufgestellt werden. Die Frage sei letztlich nicht eine Sinn-Frage, sondern frage nur danach, wie man ähnliche Vorfälle in Zukunft verhindern könne. Die Kultur biete dafür eine Vielzahl von Deutungen an - eine religiöse Deutung sei dabei absolut nicht zwingend. Tiefensee formulierte pointiert die vorherrschende Haltung: "Auch ohne Gott lässt es sich gut leben. Mir fehlt nichts." Religion sei zudem relativ unwichtig für die Wertvorstellung einer Gesellschaft - sowohl im Westen als auch im Osten. Es gebe auch keinen außergewöhnlichen Verfall der Wertevorstellungen, wie das gerne in Predigten behauptet würde.

Nach der Analyse stellte Tiefensee Folgerungen für eine missionarische Strategie in solch veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen vor. Er unterschied dabei zwischen einem Defizienz-Modell, das davon ausgehe, "belehren" zu müssen (weil dem anderen etwas fehlt), und einem Alteritätsmodell, das ergebnisoffen die Unterschiede beschreibe (der ist anders). Als Beispiele aus der Bibel nannte er das Gleichnis vom Sämann als Defizienz-Modell und das Gleichnis vom Gastmahl als Alteritätsmodell. Es gelte, den "Glauben vorzuschlagen" und nicht "Mitglieder zu werben"; man müsse sich jede Nostalgie verbieten (denn die Entwicklung sei unumkehrbar); Machtfragen und Verlustängste seien zu beachten. Die eigene Veränderungsbereitschaft vorausgesetzt, könne man bei Begegnungen (möglichst auf neutralem Boden) dann auch neue Geistesverwandtschaften entdecken.

Bei der Konkretisierung und auf Nachfragen meinte Tiefensee, die Vorstellung, es müssten alle Christen sein, um in den Himmel zu kommen, sei irrig. "Ein Leib und viele Glieder" - das gelte auch für die Weltgesellschaft. An dem Bild vom Leib würden alle Religionen teilhaben, und Christinnen und Christen sollten von den anderen lernen. Das bezeichnete er auch als "Ökumene der dritten Art" - das Zusammenleben mit Areligiösen "mit Gottes anderen Kindern".

Der 9. Lutherische Kirchentag fand vom 25. bis zum 27. Mai im Messe Congress Center Erfurt statt.

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Ein Bericht von selk_news /
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