Angedacht!
„Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot,
der ist am ganzen Gesetz schuldig.“
Jakobus 2,10
Liebe Leserinnen und Leser,
bei Klassenarbeiten ist das ja ganz einfach. Ist etwas mehr als die Hälfte richtig, gibt es noch eine Vier. Man muss auch unter Umständen nicht alles absolut perfekt gelöst haben, mit einem oder zwei kleinen Fehlern bekommt man trotzdem noch eine Eins.
Bei Gott ist das nicht so einfach. Da gibt es nur die volle Punktzahl auf der Skala des göttlichen Gesetzes oder man ist durchgefallen. Da ist kein Verhandlungsspielraum nach dem Wort Goethes: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen …“. Gut gemeint reicht nicht. Ein zu 99% heiliges Leben reicht auch nicht.
Wenn es also nicht so einfach ist, warum gibt es dann immer noch und immer wieder einzelne Christen, Gemeinden und Kirchen, die davon ausgehen, es sei eben doch möglich, dass der Mensch am Ende ein perfektes Lebensergebnis vorweisen könnte oder falls nicht, die Bilanz irgendwie noch durch Ersatzleistungen auszugleichen wäre? Das ist ja nur denkbar, indem sie glauben, dass Gottes Gebote nichts weiter seien als gute Ratschläge und hilfreiche Tipps zur Lebensgestaltung. Das ist Gottes Gesetz aber nicht. Sondern es ist der Maßstab, der an jedes Leben am Ende angelegt wird und das Ergebnis ist immer ein Ungenügend.
Jakobus hatte eine Gemeinde vor Augen, in der stimmte eigentlich alles. Wir kennen solche Gemeinden ja auch, die sich auf ihren Ruf viel einbilden: Da ist das Spendenaufkommen überwältigend, die Zahl der Taufen steigt fast so schnell wie Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler, die Kirche ist schmuck und das Gemeindehaus noch mehr, der Altersdurchschnitt ist niedrig, das Gemeindeleben vielfältig, alles ganz prächtig. Und auf einmal stellt sich heraus, dass es aber einen kleinen Schönheitsfehler gibt. Es sind natürlich alle gleich in dieser Gemeinde, bloß manche, die sind eben noch etwas gleicher. Da darf vielleicht das dicke Auto des einen bedenkenlos die Einfahrt blockieren, während das Fahrrad des anderen rücksichtslos an die Seite gedrängt wird. Da spielt es keine Rolle, ob der Konfirmand aus reichem Elternhaus etwas gelernt hat oder wie er sich benimmt, das Portemonnaie der Eltern macht das alles wieder wett. Da weiß ein Kirchenvorstand ganz genau, mit wem man es sich besser nicht verdirbt, solange die Kirchenrenovierung nicht abbezahlt ist. Und dazu sagt der Jakobusbrief: Ihr macht Unterschiede unter euch! (Jakobus 2,4) Ihr urteilt mit bösen Gedanken! (ebd). Ihr habt dem Armen Unehre getan! (Jakobus 2,6) Ihr habt Gottes Gebot, den Nächsten zu lieben nicht gehalten! (Jakobus 2,8)
Und weil ihr an diesem einen zentralen Gebot schuldig geworden seid, ist alles andere dadurch nichtig. Ihr seid gottlos, denn ihr habt das Gesetz übertreten. „Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.“
Aber wozu hat Gott dann das Gesetz gegeben, wenn es doch niemand halten kann? Paulus schreibt dazu: „Denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch vor ihm gerecht sein. Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ (Römer 3,20) Was soll also diese Gemeinde, an die Jakobus denkt, tun? Sie soll aufhören, sich auf ihre Aktivitäten frommer und sinnloser Art sich etwas einzubilden. Sie soll Buße tun und Gott um Vergebung für ihre Lieblosigkeit bitten. Und sie soll darauf vertrauen, dass ihr aus Gnaden vergeben wird. Aus Gnaden um Jesu willen und nicht, weil sie so lecker Kuchen backen oder so hübsch singen kann.
Was Jakobus hier schreibt, ist nicht nur eine ernste Warnung vor Überheblichkeit, es mahnt auch alle, die sich weg von Glauben und Gnade wieder zum Gesetz und den Werken des Gesetzes wenden, obwohl sie das Evangelium gehört haben. Wer durch das Gesetz den Himmel verdienen will, den nimmt Gott beim Wort. Der wird auch nach dem Gesetz von Gott verurteilt werden. Wer Christus nicht als Retter im Gericht haben will, weil er meint, es auch ohne ihn zu schaffen, der bekommt ihn als Richter und muss feststellen, dass er es nicht geschafft hat.
Denn das ist die Aufgabe, die das göttliche Gesetz hat. Es soll uns alle zu Jesus Christus treiben. Gebe Gott, dass das gelingt.
Ihre Andrea Grünhagen