Gottesdienst
Das Wesen des Gottesdienstes
Gottesdienst ist eigentlich viel umfassender als das, was in der gottesdienstlichen Versammlung einer Gemeinde geschieht. Das ganze Leben der Getauften ist Gottesdienst. Wie Gott diesen umfassenden Dienst als Ausdruck des Priestertums der Gläubigen von uns haben will, so will er auch den Gottesdienst als Feier, als Anbetung und Lob. Er lässt es sich gefallen, dass wir unvollkommenen Menschen ihm dienen.
In der gottesdienstlichen Versammlung einer Gemeinde ist der Herr nach seiner Verheißung in Wort und Sakrament gegenwärtig. Der Gottesdienst hat wie eine Ellipse zwei Brennpunkte: Wortverkündigung und heiliges Abendmahl. „Eröffnung und Anrufung", „Verkündigung und Bekenntnis", „Feier des heiligen Abendmahls" und „Entlassung und Segen" könnte man seine einzelnen Teile überschreiben.
Dieser liturgische, d.h. nach fester Ordnung vollzogene Gottesdienst bestimmt das Leben der Einzelgemeinde. Das hat die Kirche von der Urchristenheit gelernt: Der Gottesdienst der versammelten Gemeinde trägt das übrige Gemeindeleben und bestimmt das Alltagsleben des Christen. Er ist das Kraftzentrum einer Gemeinde. Alle Bemühungen um ihn gehören genauso zu den wesentlichen Aufgaben einer Gemeinde wie die um Mission und Diakonie.
Die grundlegenden Elemente des Gottesdienstes
Die Gestalt des Gottesdienstes ist durch die Jahrhunderte gewachsen. „Apostellehre, Gemeinschaft, Brotbrechen und Gebet' (Apostelgeschichte 2,42) sind ihre ursprünglichen Elemente aus der apostolischen Zeit. Später kamen bestimmte Lobpreisungen, Gebete und Bekenntnisse aus der Bibel hinzu. Der heutige sogenannte Hauptgottesdienst der lutherischen Kirche geht in fast allen seinen Teilen nach Inhalt und Form auf die Heilige Schrift zurück. So stellt er uns hinein in den Gottesdienst, den die Kirche zu allen Zeiten gefeiert hat, ja er verbindet uns sogar mit dem Gottesdienst des alttestamentlichen Gottesvolkes. Er lässt uns heute schon einstimmen in den Lobpreis aller Vollendeten im Himmel. Jeder christliche Gottesdienst ist ein Gottesdienst der einen, heiligen, christlichen und apostolischen Kirche.
Lobpreis und Gebete
Der erste Teil des Hauptgottesdienstes ist Lobpreis und Gebet. Aber auch im folgenden Wortteil und im Abendmahlsteil betet, dankt, lobt und bekennt die versammelte Gemeinde.
Wie im Gespräch zwei Partner wechselseitig reden und einander zuhören, so lebt auch der Gottesdienst davon, daß der Herr und die Gemeinde miteinander sprechen, wechselseitig geben und nehmen. Wenn sich die Gemeinde in Lobpreisungen, Bitten, Liedern und Bekenntnissen an ihren Herrn wendet, hört ER gewiß zu. „Er hat uns geboten zu beten und verheißen, daß er uns will erhören" (Luther im Kleinen Katechismus). Viele Gebetsrufe und Lobpreisungen des Gottesdienstes sind gebetetes Bibelwort; Bibel und Gottesdienstliturgie gehören zusammen.
Wortverkündigung
In den Lesungen und der Predigt redet der auferstandene Herr Christus zu seiner Gemeinde. Die Lesungen sind bestimmte, dem jeweiligen Sonn- oder Festtag zugeordnete Abschnitte der Heiligen Schrift. Die „Epistel" ist eine Lesung aus den Briefen der Apostel, das „Evangelium" eine Lesung aus den neutestamentlichen Evangelien, der Zusammenstellung der Worte und Taten Christi. Während die Lesungen zur Quelle der Verkündigung zurückführen, legt die Predigt das göttliche Gesetz und die Botschaft von unserem Heil in Jesus Christus aus und bezieht sie auf die heutige Gemeinde. Wo das Wort Gottes lauter und rein gepredigt und die Sakramente gemäß der Einsetzung des Herrn Christus verwaltet werden (vgl. Augsburgische Konfession, Artikel VII), dort kann man die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche erkennen.
Heiliges Abendmahl
Wer den Hauptgottesdienst miterlebt, kann erfahren, wie von den Lobpreisungen am Anfang über Lesungen, Predigt und Fürbittengebet alles auf die Feier des heiligen Abendmahls zuläuft. Hier schenkt der Herr seinen Leib und sein Blut den Seinen, um sie aufs engste mit sich zu verbinden. Wenn Brot und Wein mit den Einsetzungsworten Christi gesegnet sind, sind sie Träger seines Leibes und Blutes (der Pfarrer ist dabei nur Mund und Handlanger des Herrn). Wer Leib und Blut Christi gläubig empfängt, dem wird dadurch Vergebung der Sünde und Anteil am Leben des Auferstandenen, Heil und Seligkeit geschenkt. Denn Christus sagt: „Das ist mein Leib, für euch gegeben; das ist mein Blut, für euch vergossen zur Vergebung der Sünden.“
Ist die Gabe so groß und kostbar, dann tragen alle, die sie austeilen und empfangen, große Verantwortung. Der Christ soll möglichst oft, aber nie leichtfertig oder unwissend das Heilige Abendmahl empfangen. Jedes Mal, wenn es gefeiert wird, ist er eingeladen. Wenn er’s gläubig empfängt, wächst er immer tiefer in das Geheimnis dieser großen Gnadengabe Christi hinein.
Wenn aber die Einheit in Lehre und Bekenntnis nicht oder nicht mehr vorhanden ist und die Überzeugung fehlt, dass jeder Teilnehmer am Abendmahl tatsächlich den wahren Leib und das wahre Blut Christi zur Vergebung der Sünden empfängt, dann ist auch die Vorraussetzung für gemeinsame Teilhabe an diesem Sakrament nicht mehr gegeben. Das kann zu schmerzlichen Trennungen nötigen.
Die SELK respektiert anders lautende Überzeugungen, erwartet aber gleichen Respekt für das, was sie lehrt und bekennt. Gemeinschaft am Altar findet dort ihre Grenze, wo gemeinsames Bekennen nicht möglich ist.
So hat die SELK keine Abendmahlsgemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen des Ostens, der römisch-katholischen Kirche, den Kirchen der reformierten Tradition Zwinglis und Calvins, den unierten Kirchen und auch denjenigen lutherischen Kirchen, die wesentliche Lehren der lutherischen Bekenntnisse praktisch aufgegeben haben.
Wo es ortsüblich ist, sollten sich die Kommunikanten vor dem Abendmahlsgang (meist in der Sakristei vor dem Gottesdienst) anmelden, um dem Pfarrer Gelegenheit zu einem seelsorglichen Gespräch zu geben und ihm einen Überblick über die Zahl der Abendmahlsgäste zu ermöglichen.
Gemeinschaft
Wie die Empfänger des Abendmahls durch Christi Leib und Blut in enge Gemeinschaft mit Christus eintreten, so werden sie auch untereinander verbunden zu einer heiligen Gemeinschaft. Der ganze Gottesdienst ist ein gemeinschaftliches Tun. Gemeinsam wird gebetet, gesungen, gelobt und bekannt, gehört und empfangen. Der auferstandene Christus handelt an seiner Gemeinde und dadurch auch am Einzelnen. Recht verstanden lässt sich der einzelne Christ durch den Gottesdienst einbinden in die Gemeinschaft der Gläubigen. Er bleibt über den Gottesdienst hinaus in seinem Leben und Leiden auf die Gemeinde angewiesen und die Gemeinde auf ihn.
Jeder Gottesdienst ein Fest
Es ist etwas Großes, wenn wir wagen, vor den lebendigen Gott hinzutreten. Ein Gottesdienst ist ein Fest, das wir mit hoher Ehrfurcht begehen. Er darf auch festlichen Glanz ausstrahlen. Für den Gottesdienst sollte immer das Beste gerade gut genug sein: von den Gotteshäusern angefangen bis hin zu Musik, Farben, Gewändern, Gebärden und jeglichem gottesdienstlichen Verhalten. Alles dient dem Lobpreis Gottes.
Auferstehung Christi und der Sonntag
Der Gottesdienst gründet in der Auferstehung Jesu Christi. Weil er auferstanden ist, treten wir in seinem Namen und in seiner Mittlerschaft vor den Vater im Himmel. Ohne die Gewissheit der Auferstehung verlöre das heilige Abendmahl seine Substanz und Wirkung und die Predigt alle innere Kraft.
Alles, was im Gottesdienst geschieht, beruht auf dem Ostersieg des Herrn. Darum feiert die Christenheit nicht mehr den Sabbat, sondern den Tag der Auferstehung des Herrn, den Sonntag. Jeder Sonntag ist ein kleines Osterfest, Anfang einer neuen Schöpfung, deren Vollendung wir entgegengehen.
Gedenktage
Weil Christus die Apostel und Evangelisten, Martyrer und Kirchenväter zu Werkzeugen beim Bau seiner Gemeinde gemacht hat, hält die Kirche ihr Gedächtnis durch Gedenktage lebendig. Gleicherweise preist die lutherische Kirche das Gnadenhandeln Gottes, durch das er seine Kirche erneuerte, an den Gedenktagen der Reformation und des Augsburgischen Bekenntnisses.
Gottesdienstformen
Neben dem Hauptgottesdienst mit Predigt und heiligem Abendmahl, der sog. lutherischen Messe, gibt es noch andere Gottesdienstformen. Es sind dies Predigtgottesdienste; ferner gibt es Tageszeitengottesdienste (z. B. Mette und Vesper), die dem Gebet und der Schriftbetrachtung dienen, Beicht- und besondere Bußgottesdienste sowie Gottesdienste zur Taufe, Trauung und Beerdigung. Besonders festlich ist die Feier der Osternacht.
Gottesdienstlicher Raum
An sich kann Gottesdienst in jedem Raum oder unter freiem Himmel gefeiert werden. Aber weil im Gottesdienst der heilige Gott zu seiner Gemeinde kommt, haben die Christen seit alters Kirchengebäude errichtet, die ausschließlich dem Gottesdienst vorbehalten sind, ihn „umschließen".
In einer lutherischen Kirche ist alles ausgerichtet auf den Altar, an dem Christus die Gemeinde mit seinem Leib und Blut speist und tränkt. Der Altar ist darum mit Kruzifix, Kerzen und Blumen als hinweisenden Zeichen geschmückt. Neben dem Altar haben Taufstein und Kanzel eine hervorgehobene Stellung. Am Taufstein wird der Mensch hineingenommen in das Reich Gottes, von der Kanzel wird das Wort Gottes verkündigt. Ausführung und Gestaltung des gottesdienstlichen Raumes lassen etwas von der Hochschätzung des gottesdienstlichen Geschehens erkennen.
Gottesdienstliche Bücher
Die Ordnung des lutherischen Hauptgottesdienstes finden wir in der „Agende“; sie liegt auf dem Altar. Aus dem „Lektionar" auf dem Lesepult werden die gottesdienstlichen Schriftabschnitte verlesen. Auf der Kanzel liegt eine Bibel für die Predigt. In der Hand der Gemeinde ist das „Evangelisch-Lutherische Kirchengesangbuch".
Lektionar und Bibel hat die SELK gemeinsam mit den Landeskirchen; Agende und Gesangbuch hat sie selbst herausgegeben.
Liturg und Gemeinde haben sich an die vorgegebene Gottesdienstordnung zu halten.
Gottesdienst und Bilder
Bilderfeindlich ist die lutherische Kirche nie gewesen. Denn Gott selbst hat sich in der menschlichen Gestalt seines Sohnes anschaubar gemacht. Das Bild des gekreuzigten Heilands gehört deshalb in den Gottesdienst. Darstellungen vom Heilsgeschehen, das die Heilige Schrift bezeugt, in Altarbildern, Glasfenstern, Wandgemälden, Skulpturen oder Symbolen wollen Hilfen zum Glauben sein und bildhaft einprägen, was Gott für uns getan hat.
Gottesdienst und Musik
Die lutherische Kirche ist eine singende Kirche. Ihre Heilsgewissheit drängt sie zum gesungenen Lob und Dank, zum fröhlichen Verkündigungs- und Bekenntnislied. Im wechselseitigen Psalmengesang, den sie mit der Urkirche von der alttestamentlichen Gemeinde übernommen hat, betet sie zu Gott. In Trostliedern hilft sie dem einzelnen in Leid und Not. In altehrwürdigen liturgischen Gesängen wendet sie sich anbetend dem Dreieinigen Gott zu.
Das Lied der Kirche wird unterstützt durch Orgel-, Posaunen- und andere Instrumentalmusik. Bibelwort und Lied erklingen auch im mehrstimmigen kunstvollen Chorgesang. Alle gottesdienstliche Musik soll Dienerin des Evangeliums sein. So singt die lutherische Kirche das Heil in die Herzen und hinaus in die Welt.
Liturgische Farben
Altar, Lesepult und Kanzel tragen Stoffbehänge in bestimmten Farben. Diese liturgischen Farben bezeichnen die Kirchenjahreszeit und den Charakter des Gottesdienstes.
Weiß ist die Farbe des Lichtes und der Reinheit. Es ist die Farbe aller Christusfeste und der dazu gehörigen Festzeiten.
Rot ist die Farbe des Feuers und des Blutes. Es erinnert an das Feuer des Heiligen Geistes und an das Blut, das die Märtyrer vergossen haben. Pfingsten und alle Gedenktage der Kirche tragen Rot.
Grün ist die Farbe des Lebens und der wachsenden Saat. Wie die Saat auf den Feldern soll die Frucht von Wort und Sakrament als Glauben, Liebe und Hoffnung bei uns heranwachsen. Grün ist die Farbe der ungeprägten Zeiten des Kirchenjahres.
Violett ist die Farbe der Buße und Einkehr. Es ist Kennzeichen der Advents- und der vorösterlichen Fastenzeit sowie der kirchlichen Bußtage.
Gottesdienstliche Kleidung
Die besondere liturgische Kleidung des Pfarrers im Gottesdienst der lutherischen Kirche ist ein Zeichen dafür, dass er seine Person dem Auftrag Christi unterordnet. Häufig ist in Deutschland noch der schwarze Talar anzutreffen. Aber dem vom Evangelium geprägten, festlichen Charakter des Gottesdienstes entspricht eher das weiße Gewand mit der Stola in den liturgischen Farben. Die Stola, ein über die Schultern gelegtes Stoffband, das an das Joch Christi erinnern soll, ist von alters her das Zeichen des ordinierten Pfarrers. Auch die anderen Helfer im Gottesdienst können liturgische Gewandung tragen.
Gottesdienstliche Gebärden
Wer mit dem Herzen dabei ist, wenn die Gemeinde hört, lobt und anbetet, der passt sich dem auch körperlich an. Zur Sammlung faltet er die Hände. Um seine Ehrfurcht vor Gott auszudrücken, neigt er das Haupt. In Demut kniet er nieder, wenn er das heilige Abendmahl empfängt oder die Lossprechung in der Beichte. In Aufmerksamkeit erhebt er sich, wenn das Wort Gottes gelesen wird oder die Gemeinde ihren Glauben bekennt. Sinnfällig unterstellt er sich dem Heilshandeln Christi, indem er sich bekreuzigt. Segnende Gebärden des Pfarrers sind Handauflegung und „Kreuzschlagen".
Liturgie – gebeteter Glaube
Der lutherische Gottesdienst lebt davon, dass Gott den Sünder aus Gnaden um Christi willen annimmt. Diese „rechtfertigende Gnade" wird im Wort und Sakrament angeboten und ausgeteilt. Der Heilige Geist entfacht dadurch im Einzelnen Glauben und Gotteslob. Liturgie ist gebeteter Glaube und gebetete Lehre. Die Freude am Evangelium schafft sich vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten.