Angedacht!


„Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. Herr Gott Zebaoth, wohl dem Menschen, der sich auf dich verlässt.“
Psalm 84,12f


Dr. Andrea GrünhagenLiebe Leserinnen und Leser,

ginge es nicht etwas kerniger zum Reformationsfest? Es ist schon bemerkenswert, dass der 84. Psalm in früheren Zeiten zu diesem Tag gehörte, wie beispielsweise die entsprechende Kantate von Johann Sebastian Bach zeigt. Warum war das so, was hat dieser Psalm uns zum Thema Reformation zu sagen?

Gott ist Sonne und Schild – was passiert, wenn sie diese Worte mal ein wenig mitgehen lassen in ihrem Alltag? Bibelworte erschließen sich einem oft besser, wenn man sie eine Zeitlang sozusagen im Hintergrund mitlaufen lässt. Das ist ein persönlicher Zugang. Ich wäre gespannt, zu wissen, was Ihre Erfahrungen sind.

Aber die Frage, wie die Beter oder Sänger zur Zeit des Alten Testaments diesen Psalm gehört und gebraucht haben, gehört mit dazu. Was bedeutete die Sonne den Menschen vor der Erfindung künstlicher Lichtquellen? Im Heiligen Land kannte man sicher die Erfahrung sengender Sonne und großer Hitze, aber eben auch von Dunkelheit und Kälte ohne die Sonne. Richtig hell war es nur, wenn die Sonne schien. Gott als die Quelle von Licht, Licht und Lebenskraft zu erkennen, fiel schon damals nicht schwer.

In wiefern Sonnenlicht lebensnotwendig ist, kann uns die Naturwissenschaft heute genau erklären. Dass man nicht ohne Augenschäden direkt in die Sonne schauen kann, wissen wir aber auch. Auch das ist ja ein Stück weit auf Gott übertragbar. Er selbst hat sich anschaubar gemacht, als sein Sohn Mensch wurde, er ist nicht im undurchdringlichen Licht geblieben, in das kein Mensch vordringen kann, sondern hat dem Menschen die Sonne der Gerechtigkeit im Tal der Todesschatten aufgehen lassen.

Wie die Sonne Leben auf der Erde ermöglicht, so ist Gott der Spender alles Leben, alles Gute kommt von ihm. Er ist die Quelle, aus der es kommt.

Das zweite Bild ergänzt das erste. Gott ist wie ein Schutzschild. Er schenkt das Gute nicht nur, er bewahrt und beschützt es auch. Wir könnten an den Schild eines antiken Kämpfers denken oder an die militärischen Schutzvorrichtungen heute – ein Schild schützt vor zerstörerischen Angriffen von außen. Gott spendet und bewahrt das Leben. Das ist die erste Aussage dieses Psalmverses.

Der zweite Gedanke geht darüber hinaus. Gott gibt. Gott ist ein gebender Gott. In wie vielen Religionen werden die Götter nur als solche gesehen, die etwas vom Menschen fordern? Und wie viele Christen haben vielleicht tief in ihrem Herzen auch das Bild eines Gottes, der nicht zuerst oder überhaupt nicht gibt und schenkt, sondern immer nur knechtet und fordert? Ich fürchte, es sind viel zu viele.

Genau an diesem Punkt hat die lutherische Reformation ihren Ausgangspunkt genommen. Martin Luther hat gegen die falsche Vorstellung gekämpft, dass Gott den Menschen in diesem Leben mit dem Befolgen von zu einem großen Teil von Menschen erdachten Vorschriften quälen will und sie dann am Ende dafür bestraft, dass sie die Forderungen nicht haben erfüllen können. Erfüllt werden müssen die Gebote und Rechtssetzungen Gottes zwar wirklich, weil Gott heilig und gerecht ist und dabei tatsächlich überwältigend und erschreckend wie der Blick mit bloßen Augen in die Sonne. Aber die befreiende Wahrheit ist, dass Gott in Jesus alles selbst erfüllt und die Strafe für die Übertretung seiner Gebote auf ihn gelegt hat.

Gott gibt. Was denn? Gnade und Ehre. Hier sind wir an der zentralen Botschaft des Reformationsfestes. Gott gibt Gnade. Er schenkt dem, der an ihn glaubt ganz umsonst nur um Jesu Willen seine Vergebung, er stellt die gestörte Beziehung wieder her. Sein Wesen ist, dass er gibt und schenkt. Das ist Gnade. Niemand muss sie sich verdienen oder erkaufen. Sie hatte einen hohen Preis, den hat aber Jesus Christus bezahlt. Gnade ist ein Geschenk. Darauf können wir uns verlassen. Gott gibt Ehre. Man kann dieses Wort auch mit Schwergewicht oder Bedeutung übersetzen. Gott schenkt dir Bedeutung. Du bist aller Ehren wert. Du bist wertvoll. Was du bist, hat Gewicht. Das musst du dir nicht erst erarbeiten und du bist nicht dem Urteil von Menschen ausgeliefert. Gott gibt. Was denn? Gnade und Ehre.

Der feiert recht Reformationsfest, der sich das gesagt sein lässt, so dass er im Innersten davon geprägt wird und diese Wahrheit ausstrahlt, dass er Gnade und Ehre widerspiegelt wie ein Spiegel das Sonnenlicht. Gottes Heiliger Geist bewirkt, dass der Glaubende ganz hell und durchsichtig für Gottes Licht wird. So folgen die guten Werke aus dem Glauben. Dann nehmen die Dunkelheit und Kälte und alles Bedrohliche ab, denn Gott der Herr ist Sonne und Schild.

Man kann wohl sein Leben lang diese Botschaft in der lutherischen Kirche gehört haben und trotzdem an Gottes wärmender Zuwendung, seiner unbegrenzt schenkenden Liebe und dem eigenen Wert als Gottes geliebtes Kind zweifeln. Ich fürchte, es sind zu viele, die das tun! Oder man kann andere voller Selbstgerechtigkeit von dieser Botschaft ausschließen wollen, weil sie ja angeblich keine Gnade und Ehre verdienen. Auch da fürchte ich, dass es viele sind, die so handeln. Und hoffe doch, dass sie alle an diesem Reformationsfest neu hören werden, was Gnade bedeutet.

Manchmal werden uns aber auch andere schwere Erfahrungen im Leben zur Quelle von Zweifeln. Gott wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen. Wirklich? Aber wo ist es denn, dieses Gute? Oder bin ich vielleicht nicht fromm genug und verdiene es deshalb nicht? Man kann an Gott irre werden über solchen Gedanken. Mir hilft, dass man hier auch übersetzen könnte: Gott wird das Gute nicht verweigern ... . Das ist nämlich der eigentliche Punkt, an dem die Anfechtung einhakt: Gott verweigert dir, was gut wäre, er will dir nicht helfen. – Das ist eine Lüge! Und wenn es hundertmal so aussieht und sich so anfühlt, hier ist Gottes Wort, das ist Wahrheit, auf die man sich verlassen kann. Gott verweigert uns das Gute nicht. Es liegt auch nicht an irgendetwas an uns oder in uns, das sozusagen einen Mechanismus auslöst, wodurch Gott dann nichts geben oder nicht helfen kann. Gott hat nur offensichtlich manchmal eine andere Auffassung von dem, was gut ist. Wir verlassen uns trotzdem auf ihn, auch wenn wir das nicht sehen können. Sich-verlassen, das bedeutet glauben. Was auch sehr gut zum Reformationsfest passt. Der Glaube, der uns rettet, besteht darin, sich auf Gott zu verlassen, der Gnade und alles Gute schenkt.

Gottes Segen zum Reformationsfest!

Ihre Andrea Grünhagen

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