Angedacht!
„Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): Fürchte dich nicht du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“
Johannes 12,14Liebe Leserinnen und Leser,
Jesus findet einen Esel? Einfach so? Esel waren und sind im Heiligen Land sicher keine Ausnahmeerscheinung, aber dass an jeder Ecke ein „Esel-to-go“ rumstand, ist doch eher nicht anzunehmen. Aber okay, Jesus findet einen Esel. Die anderen Evangelisten berichten übrigens, dass Jesus natürlich nicht einfach irgendwo einen Esel mitgenommen hat, sondern dass er extra zwei Jünger losgeschickte, einen auszuleihen. Johannes erzählt hier also etwas verkürzt.
Aber trotzdem, was ist mit diesem Esel? Es muss doch einen Sinn haben, dass Jesus gerade dieses Reittier auswählte, um in Jerusalem einzuziehen. Man hat viel über die Sturheit und Ärmlichkeit von Eseln spekuliert und es als Zeichen der Demut interpretiert, wenn der Herr einen Esel reitet. Esel beziehungsweise Maultiere konnten in vergangenen Zeiten einen wertvollen Besitz darstellen, ja sogar kriegsentscheidend sein. Im unwegsamen Gelände nützte ein Esel mehr als ein edles Pferd, weil Esel trittsicher sind. Ein weißer Esel war in Israel durchaus unter Umständen ein Statussymbol.
Aber trotzdem hätte man für einen Triumphzug wohl doch etwas anderes erwartet. Ein Streitross oder einen Streitwagen mit einem feurigen Gespann davor vielleicht. Auch eine Sänfte wäre möglich gewesen, vielleicht auch ein tragbarer Thronsessel und vier Sklaven, die ihn schleppen.
Dass Jesus einen Esel nimmt, kann man auch als gelungenes Beispiel dafür ansehen, dass jemand seinen Kontext wahrnimmt und aufnimmt. Schon der Prophet Sacharja kündigte den König Israels als einen Eselreiter an. Warum? Wahrscheinlich, weil die Juden in ihrer Geschichte zu viele schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Streitrösser und Wagen hatten immer nur die anderen, die Ägypter, die Philister und immer so weiter, davor hatten sie ziemlich Angst, das war kein positives Symbol. Jesus will keine Militärparade abhalten, sondern er ist der wahre König Israels, der in seine Stadt einzieht. „Hoschia-na“, „Rette-doch“ ist der Ruf, der Gott und dem König gebührt.
Manchmal frage ich mich, welches Fortbewegungsmittel Jesus wohl heute wählen würde. Die U-Bahn vielleicht. Neulich sah ich morgens in der U-Bahnstation einen Mann, Managertyp, guter Anzug, schicke Schuhe, Laptoptasche … sehr cool. Also eigentlich. Gleichzeitig trug er seine kleine Tochter in einem rosa Schneeanzug auf dem einen Arm, eine quietschrosa Wickeltasche über der Schulter und ein riesiges weißes Glitzereinhorn. Beim Anblick dieses Ensembles in Pink musste nicht nur ich grinsen. Aber dann habe ich mir vorgestellt, wie Jesus sich neben diesen Vater stellt, die rutschende Wickeltasche zurechtschiebt, das Stofftier festhält und dem Kind zulächelt. „Komm,“ sagt er zu dem Vater, „lass sie ruhig lachen, du machst einen guten Job. Wir steigen jetzt einfach zusammen ein.
Vielleicht würde Jesus auch Fahrrad fahren. Da denke ich an die alleinerziehende Mutter, die ihr Kind zum Treffpunkt für die Klassenfahrt bringt. Auf ihrem Fahrrad türmen sich ein Kindersitz samt kleiner Schwester, eine Reisetasche, Schlafsack und Isomatte und eine große Schüssel Salat für den geplanten Grillabend. Und ich stelle mir vor, dass Jesus neben ihr geht, sanft das Rad mit schiebt und zu ihr sagt: „Hey, ist doch nicht schlimm, ich habe auch kein Auto.“
Und während ich Jesus so bei den Menschen sehe, kommt mir eine Liedzeile aus einem neueren Lied zum Palmsonntag in den Sinn: „… kommt nicht hoch zu Ross, kommt runter, kommt allein, kommt zu uns zu Fuß, geht mit, will bei uns sein.“
So kommt Jesus.
Ihre Andrea Grünhagen