Angedacht!
„Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse,
sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“
Markus, 10,45 / Matthäus 20,28Liebe Leserinnen und Leser,
mit dem Sonntag Judika tritt die Kirche zwei Wochen vor Ostern in die Passionszeit im engeren Sinne ein. Nun geht es ausdrücklich um das Leiden Jesu und seinen Tod am Kreuz. Aber es geht dabei nicht nur um die Erinnerung an das, was damals vor 2000 Jahren in Jerusalem passiert ist. Die Berichte von der Passion müssen den Hörern/Lesern gedeutet werden, um die ganze göttliche Dimension der Geschehnisse erfassen zu können.
Man braucht sozusagen einen theologischen Schlüssel, der den Sinn aufschließt. Der Wochenspruch für den Sonntag Judika ist ein solcher Schlüssel, deshalb überliefern uns die Evangelisten Matthäus und Markus diesen Ausspruch Jesu, man nennt es das „Lösegeldwort“ auch, übrigens fast wortgleich. Es lohnt sich an dieser Stelle, auch den Zusammenhang dieses einen markanten Satzes zur Kenntnis zur nehmen, man lese also Markus 10, 35-45 und Matthäus 20, 20-28 auch gerne einmal im Vergleich.
Es ist gut vorstellbar, dass den Jüngern nach Karfreitag und Ostern das Wort Jesu vom Dienen und der Lebenshingabe als Lösegeld geholfen, den Sinn hinter den erst so schrecklichen und dann so unfassbar erscheinenden Geschehnissen zu verstehen. Aus meiner Sicht unzweifelhaft ist aber auch, dass Christus in seiner Erdenzeit seinen Jüngern schon vorbereiten wollte auf das, was aus göttlicher Notwendigkeit würde, passieren müssen. Wer also nur von einer nachträglichen Interpretation, beispielsweise durch die Evangelisten, ausgeht, der greift unter Umständen zu kurz.
Der Kontext, in dem das Lösegeldwort gesprochen wird, ist auch eine ernste Warnung, nämlich dass es in der Nachfolge Jesu keine Ehrenplätz und Herrschaftsansprüche zu verdienen gibt, sondern im Gegenteil das Martyrium auf einzelne Jünger wartet. Das Apostelamt ist ein Dienstamt bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Seine Jünger teilen unter Umständen das Schicksal ihres Meisters, allerdings ohne dass ihr Martyrium auch ein Lösegeld für etwas wäre.
Der Tod Jesu, also des unschuldigen Gottessohnes und nur dieser allein, wiegt die Schuld der ganzen Welt auf. So kann man das Bildwort vom Lösegeld verstehen. Um einen Sklaven freizukaufen oder eine Geisel zu befreien, muss ein Preis gezahlt werden. Wie hoch dieser Preis ist, das muss ausgehandelt werden, wenn es um Menschen geht. Um die in die Knechtschaft der Sünde und des Todes gefallene ganze Welt freizukaufen, muss ein Preis gezahlt werden, der dessen angemessen ist. Wer kann die Schuld vor Gott bezahlen, wessen Leben ist so wertvoll, dass es das alles genügend aufwiegt? Nur das Leben Gottes selbst. Darum musste Christus Mensch werden, leiden und sterben.
Manch ein kritischer Zeitgenosse fragt: „Was für ein Gott ist denn das, der ein Opfer und Lösegeld fordert, das ist ja völlig unzumutbar?“ Antwort: Fakt ist, dass dies der Weg ist, den Gott seinem einzigen Sohn zugemutet hat und den er uns zumutet, zu glauben. Es ist ein Gott, der das Lösegeld, das er fordert, selbst bezahlt.
Ohne diesen theologischen Schlüssel, bleiben Leben und Tod Jesu nur Geschichten, die eigentlich keinen Bezug mehr zu uns haben. Aber wem klar wird, dass er selbst die Geisel ist, für die das Lösegeld gezahlt wird, der hört oder liest das alles ganz anders.
Das Kirchenjahr leitet uns immer wieder neu an, diese Zusammenhänge zu erkennen und zu glauben. Wir gehen einen Weg in der Passionszeit, durch die Karwoche bis hin zum Osterfest und verstehen, dass wir ein Teil dieser Geschichten sind, dass sie von uns handeln, von unserer Schuld, von der Bezahlung dafür und dass uns damit das ewige Leben erkauft wurde.
Ihre Andrea Grünhagen