Die Bibel
1. Die Bedeutung der Bibel in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK)
Es war die grundlegende Erkenntnis der Reformation der Kirche im 16. Jahrhundert, dass Lehre und Gestalt der Kirche auf den Aussagen der Bibel (der Heiligen Schrift, dem Wort Gottes) basieren.
Alle Lehren und alle Lehrer der Kirche (auch die Kirchenväter der alten und mittelalterlichen Kirche, auch die Päpste und Konzilien, auch alle kirchlichen Traditionen und das kirchliche Recht) sind daran zu messen und danach zu beurteilen, ob sie im Einklang mit der Heiligen Schrift oder im Widerspruch zu ihren Aussagen stehen.
So formuliert es auch die Konkordienformel, eine der Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche (1580):
„Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einzige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilt werden sollen, sind allein die prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen Testamentes; wie geschrieben steht: ‚Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege‘, Ps. 119. Und St. Paulus: ‚Wenn ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein‘, Gal. 1.“ (vgl. BSLK 767, 14)
Diese grundlegende Erkenntnis der Reformation leitete auch die Mütter und Väter der Vorgängerkirchen der SELK im 19. Jahrhundert, Theologen wie Nichttheologen, die zu der Überzeugung gelangten, dass Lehre und Lehrer der bestehenden evangelischen Landeskirchen in einer Reihe ganz wesentlicher Aussagen (z.B. im Blick auf das Verständnis des Heiligen Abendmahls) nicht mehr im Einklang mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift stehen.
Das Schriftverständnis der SELK
In Übereinstimmung mit dieser grundlegenden Erkenntnis der lutherischen Kirche des 16. Jahrhunderts und den Überzeugungen der bekennenden Lutheraner des 19. Jahrhunderts formuliert die Grundordnung der SELK daher:
Die SELK „ist gebunden an die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments als an das unfehlbare Wort Gottes, nach dem alle Lehren und Lehrer der Kirche beurteilt werden sollen.“ (Artikel 1.2)
Die Heilige Schrift enthält also nicht nur Gottes Wort, sodass Menschen darüber urteilen könnten, was in ihr Gottes Wort sei oder nicht, sondern sie ist in vollem Umfang Gottes unverbrüchliches Wort – uns zum Heil und zur Seligkeit gegeben, die alleinige Quelle der Wahrheit. (vgl. Einigungssätze zw. d. Ev.-luth. Kirche Altpreußens und der Ev.-Luth. Freikirche; 1948)
Oder, wie es das Hermeneutikpapier der SELK (2011) formuliert: „ Denn die Heilige Schrift enthält alles, was zum Heil zu wissen den Menschen nötig ist, und bedarf daher und dafür keiner Legitimation durch menschliche Tradition.“
In der SELK gilt: Vor dem Auslegen und Verstehen der Heiligen Schrift steht daher ein Grundvertrauen gegenüber dem Wort Gottes, seiner äußeren und inneren Klarheit und Verlässlichkeit und die Überzeugung, dass die Heilige Schrift sich letztlich „selbst auslegt“. Das heißt: Nicht der Ausleger ist es, der dem Schriftwort einen Sinn gibt oder es erst verständlich macht, vielmehr soll Gottes Wort von sich aus sagen dürfen, was es von sich aus zu sagen hat.
2. Vom Verstehen und Auslegen der Bibel
Bei der Wahrheit der Heiligen Schrift geht es letztlich immer um unsere Beziehung zu dem, der die Wahrheit in Person ist, nämlich Jesus Christus. Diese Wahrheit erschließt sich uns Menschen in Auslegung und Predigt. Ziel der immer neuen Verkündigung ist es, Glauben und Liebe zu wecken. Und das geschieht im Vertrauen auf die Verlässlichkeit und Klarheit der Heiligen Schrift. Gott will uns durch die Predigt seines Wortes zur Gewissheit des Glaubens führen.
Als evangelisch-lutherische Christen legen wir die Heilige Schrift also im Glauben an Jesus Christus aus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Zu ihrer Auslegung beten wir um den Beistand des Heiligen Geistes, weil wir „nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, ... (unsern) Herrn, glauben oder zu ihm kommen ...“ können. Dabei verlassen wir uns auf die Zusage Jesu Christi, dass sein Geist uns in alle Wahrheit führen und seine Jünger an alles erinnern werde, was er gesagt hat (Johannes 14,26; 16,12-15).
Sachgemäße und unsachgemäße Auslegungsmethoden
Bei der Auslegung der Heiligen Schrift unterscheiden wir sachgemäße und nicht sachgemäße Auslegungsprinzipien und –methoden, sowie sachgemäße und nicht sachgemäße Vorverständnisse.
Nicht nur sachgemäß sondern geboten ist es bei der Auslegung der Heiligen Schrift, zwischen Altem und Neuem Testament, zwischen Gesetz und Evangelium zu unterscheiden.
Ein Vorverständnis, das die Bibel lediglich als Urkunde der Religionsgeschichte liest, ist für die Kirche unangemessen. Ebenso ist es auch abwegig, textfremde Gesichtspunkte oder vereinzelte Texte zum bestimmenden Maßstab für das Verständnis der Bibel zu machen oder Einzelworte ohne den Zusammenhang der Schrift verstehen zu wollen.
Die Heilige Schrift als das geoffenbarte Wort Gottes trägt als Sammlung von Schriften menschlicher Verfasser Merkmale geschichtlicher Entstehung an sich und unterliegt in mancherlei Hinsicht Geschicken wie andere Bücher auch. So ist sie in einen Überlieferungs- und Auslegungsprozess gestellt, der mit beobachtbaren Regeln menschlicher Kommunikation zu beschreiben ist. Verstehen und Auslegung der Heiligen Schriftvollzieht sich unter den Bedingungen geschichtlichen Lebens.
So ist es angemessen und auch notwendig, geisteswissenschaftliche, z.B. philologische (sprachwissenschaftliche) und historische Methoden zur Textinterpretation auf die Heilige Schrift anzuwenden, um ihren Sinn zu erfassen.
Angemessen und notwendig ist es z.B. auch, Textgattungen zu unterscheiden. So ist es für die sachgemäße Auslegung einer Schriftstelle nicht ohne Bedeutung, ob es sich um einen poetischen Text, ein Gebet, eine Beschreibung eines historischen Ereignisses, ein Gleichnis, eine Parabel usw. handelt.
Weil aber gilt, dass Gottes Wort von sich aus sagen darf, was es von sich aus zu sagen hat, müssen übergeordnete Auslegungsmethoden ausgeschlossen werden. Dazu gehört auch die Einsicht, dass auch die menschliche Vernunft der Schrift nicht übergeordnet ist.
Die Bibel als „Buch der Kirche“ auslegen
Zu einem sachgemäßen Verstehen und Auslegen der Heiligen Schrift gehört es schließlich auch, die Bibel als „Buch der Kirche“ zu lesen, zu verstehen und auszulegen.
Das heißt: Nicht der „fromme Einzelne“ liest und interpretiert „seine Bibel“ für sich, wie es fundamentalistisch-sektiererischen Vorstellungen entspricht und in der Kirchengeschichte regelmäßig zu Sekten und Spaltungen geführt hat.
Nach lutherischer Überzeugung ist Glaubenserkenntnis nicht individualistisch zu verstehen, da die den Glauben wirkende Kraft des Heiligen Geistes die Gemeinschaft der Kirche baut. Biblische Hermeneutik erfolgt also immer als Auslegung der Heiligen Schrift im Zusammenhang der Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten. Auslegung der Heiligen Schrift vollzieht sich daher in der Absicht und mit dem Anspruch, den Glauben, der „einen, heiligen, christlichen, apostolischen Kirche“ (una, sancta, catholica et apostolica ecclesia) zum Ausdruck zu bringen.
3. Welche Schriften gehören zur „ganzen Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes“?
Obwohl die Heilige Schrift in der lutherischen Kirche alleinige Regel und Richtschnur ist, hat die lutherische Reformation nicht genau definiert, was der Kanon, also der genaue Umfang der Heiligen Schrift ist.
Bis heute steht den Festlegungen des römischen Konzils von Trient (1545 -1563) und verschiedener reformierter (calvinistischer) Bekenntnisse auf lutherischer Seite keine eindeutige Bestimmung seines Umfangs gegenüber.
Man setzt voraus, dass es sich bei der Heiligen Schrift um die Schriften des hebräischen Alten Testaments und des griechischen Neuen Testaments handelt. Daneben ist aber auch zu beachten, dass die meisten alttestamentlichen Zitate im Neuen Testament aus der Septuaginta stammen, also aus der im Zeitraum zwischen ca. 250 v.Chr. und 100 n. Chr. entstandenen Übersetzung der hebräischen Bibel in die altgriechische (Umgangs-)Sprache.
Die ebenfalls zur Septuaginta gehörenden sog. Apokryphen (auch ‚deuterokanonische‘ Schriften genannt) werden im Gefolge Luthers „der Heiligen Schrift nicht gleich geachtet, aber doch als nützlich und gut zu lesen“ angesehen.
Zum Kanon des Alten Testamentes zählen in der lutherischen Kirche folgende 39 Bücher bzw. Schriften:
a. Geschichtsbücher
5 Bücher Mose, Josua, Richter, Ruth, 1.Samuel, 2.Samuel, 1.Könige, 2.Könige, 1.Chronik, 2.Chronik, Esra, Nehemia, Esther
b. Lehrbücher und Psalmen
Hiob, Psalm, Sprüche, Prediger, Hohelied
c. Prophetische Bücher
Jesaja, Jeremia, Klagelieder, Hesekiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona , Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi
Zum Kanon des Neuen Testamentes zählen in der lutherischen Kirche folgende 27 Bücher bzw. Schriften:
a. Geschichtsbücher
Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Apostelgeschichte
b. Briefe
Römer, 1.Korinther, 2.Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, 1.Thessalonicher, 2.Thessalonicher, 1.Timotheus, 2.Timotheus, Titus, Philemon, 1.Petrus, 2.Petrus, 1.Johannes , 2.Johannes, , 3.Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas
c. Prophetisches Buch
Offenbarung St. Johannis
Zu den nicht zum Kanon zählenden sog. Apokryphen rechnet die lutherische Kirche:
Buch Judit, Buch der Weisheit, Buch Tobit (nach der Vulgata und nach Luther „Tobias“), Jesus Sirach, Buch Baruch und Brief des Jeremia, 1. Buch der Makkabäer, 2. Buch der Makkabäer, Zusätze zum Buch Ester, Zusätze zum Buch Daniel, Gebet des Manasse
Zum Verhältnis zwischen Bibel und Bekenntnis siehe → Lexikon A-Z: „Bekenntnis“