Stellungnahme von Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.

... zur Abschiebung von zum christlichen Glauben konvertierten Gemeindemitgliedern nach Afghanistan und zum Kirchenasyl – „Ich unterstütze die gewissenhaften Entscheidungen zum Kirchenasyl“


Bischof VoigtDie Grundfrage ist einfach: Kann man zum christlichen Glauben konvertierten getauften Menschen zumuten, in ein islamistisch regiertes Land zurückzukehren? Oder noch konkreter formuliert: Darf man getaufte Christen nach Afghanistan abschieben?

Wer diese Frage mit „Ja“ beantwortet, muss natürlich vor seinem Gewissen einen Weg finden, mit der Tatsache umzugehen, dass diese vom Islam abgefallenen Christen in Afghanistan mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Tod erwartet.

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) kritisiert seinen Berliner Kollegen, den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), nun öffentlich, dass er drei Personen nicht zur Überstellung nach Schweden ausliefert, da er es ablehnt, diese Menschen mit polizeilichen Mitteln aus dem Kirchenasyl der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeits-Gemeinde Berlin-Steglitz der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) holen zu lassen. Peter Tschentscher spricht vom „systematischen Missbrauch des Kirchenasyls“.

Formaljuristisch und auf den ersten Blick scheint Peter Tschentscher im Recht zu sein und Schweden, das EU-Land, in das die drei überstellt werden sollen, ist doch so ein nettes Urlaubsland – denkt man sich! Eine Überstellung nach Schweden käme aber faktisch einem Todesurteil gleich, da Schweden konsequent und knallhart Abschiebebescheide in ihr Heimatland für afghanische Christen ausstellt.

Pfarrer Dr. Gottfried Martens D.D. entscheidet gemeinsam mit dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde, wen er ins Kirchenasyl aufnimmt. Es handelt sich dabei nicht um Rechtsbruch, sondern um eine Gewissensentscheidung im Sinne einer Güterabwägung. Es gilt dabei abzuwägen das Leben von Menschen gegen die christliche wie bürgerliche Pflicht zur Befolgung geltenden Rechts. Pfarrer Martens entscheidet sich, seinem Gewissen folgend, für das Leben einzelner Menschen. Das hat meine volle Unterstützung und verdient Respekt. Mich beeindruckt, dass der Regierende Bürgermeister Berlins, Kai Wegner, bereit ist, für eine solche Position öffentlich einzutreten.

Ich konnte mich bei meinen Besuchen in der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeits-Gemeinde der SELK jedes Mal von der Ernsthaftigkeit des christlichen Glaubens der Flüchtlingsgemeinde in Berlin-Steglitz überzeugen. Mein letzter Besuch fand am 1. Juli 2025 statt. Ich wünschte mir eine solche Glaubensfestigkeit und Verbindlichkeit für manche unserer Gemeinden. Getauft werden Menschen dort erst nach einem mehr als dreimonatigen farsisprachigen Unterricht und einer Prüfung, die etwa 1/3 nicht bestehen. Auf Grund meiner persönlichen Begegnungen vor Ort unterstütze ich die Arbeit von Pfarrer Dr. Gottfried Martens D.D. und seine gewissenhaften Entscheidungen zum Kirchenasyl.

Auf dem 15. Allgemeinen Pfarrkonvent (APK) der SELK, Ende Juni in Hofgeismar, habe ich diese Problematik in meinem Bericht angesprochen. Der 15. APK hat mich daraufhin gebeten, eine Stellungnahme hierzu zu verfassen, nachdem er mit großer Besorgnis aus Gemeinden der SELK gehört hat, dass geflüchteten, ehemals muslimischen Gemeindegliedern, denen ihre Pfarrer als ihre Seelsorger schriftlich und mündlich bescheinigt haben, dass sie identitätsprägend zum christlichen Glauben übergetreten sind, immer wieder vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Abschiebebescheide in ihr muslimisches Heimatland erhalten.

Insbesondere Christen, die nach Afghanistan abgeschoben werden sollen, sind dort akut mit dem Tod bedroht. Mindestens ein nach Afghanistan abgeschobenes Gemeindeglied der SELK ist nach seiner Abschiebung nicht mehr erreichbar und vermutlich ums Leben gebracht worden.

Verschiedene Pfarrer bestätigen mir, dass sich in letzter Zeit die Lage weiter zugespitzt hat, da die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bezug auf konvertierte afghanische Christen in den vergangenen Monaten deutlich verändert wurde: Sie erhalten nun nicht mehr – wie in den Jahren zuvor – zumindest ein Abschiebeverbot, sondern oftmals Bescheide in schärfster Form, wonach sie in kurzer Frist nach Afghanistan abgeschoben werden sollen. Ich habe mich deshalb am 18. Juli 2025 in einem Brief an den Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Herrn Dr. Hans-Eckhard Sommer in Nürnberg, gewandt.

Wir schließen uns der Forderung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) von 2019 an: „Für all diejenigen getauften konvertierten Christen aus islamischen Ländern, in denen eine ernsthafte Konversion eine Gefahr für Leib und Leben bedeuten würde, denen der zuständige Seelsorger ihrer Kirchengemeinde in einer aussagekräftigen pfarramtlichen Bescheinigung die Ernsthaftigkeit ihrer Konversion und die Identitätsprägung durch den christlichen Glauben bescheinigt, wird vom BAMF ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes festgestellt.“

Hannover, am 25. Juli 2025
Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.

© 2025 | SELBSTÄNDIGE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE (SELK)