Nachdenken über den 15. Allgemeinen Pfarrkonvent in Hofgeismar


Stellungnahme von Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.


In der Kirchenzeitung „Lutherische Kirche“ 8/25 habe ich meine persönlichen Wahrnehmungen der Beschlüsse auf dem 15. Allgemeinen Pfarrkonvent (APK) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) und der Aufnahme dieser Beschlüsse im Nachgang zu diesem Konvent dargestellt. Ich habe diesen Artikel etwas aktualisiert und möchte ihn hier einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

APK

Schwerpunktthema Ordination von Frauen
Als ich am letzten Tag dieses Konvents, der vom 23. bis 27. Juni 2025 in Hofgeismar bei Kassel stattfand, ins Auto stieg, hatte ich auf der Gefühlsebene noch nicht verstanden, was wir da alles beschlossen hatten. Meine Frau hatte spontan entschieden, mich abzuholen, so dass ich auf dem Beifahrersitz eine Zeitlang in Ruhe mit geschlossenen Augen nachdenken konnte. Natürlich hatte ich bei der Abstimmung den Text der Anträge zum Thema der Ordination von Frauen verstanden, aber mir war zu diesem Zeitpunkt unklar, welche Auswirkungen diese Texte im Einzelnen auf die Kirche, auf Gemeindeglieder und auf mich haben würden.

Was zum Thema beschlossen wurde:
BischofDer 15. APK hatte durch einen Ausschuss einen Pressetext erarbeiten lassen und diesen dann verabschiedet. Ich versuche hier meine kurze Zusammenfassung der Antragsteile 381,01 und eines Meinungsbildes wie folgt: Der 15. Allgemeine Pfarrkonvent stellt fest, dass aktuell eine Mehrheit seiner Mitglieder aus praktischen und theologischen Gründen ein gleichberechtigtes Nebeneinander der Praxis der Ordination von Frauen und der Ablehnung dieser Praxis in der SELK für nicht möglich hält. Der vollständige Pressetext, der auch die eigentlichen Antragstexte enthält, kann auf dieser Seite nachgelesen werden.

Zudem wurde folgender Beschluss gefasst, hier im vollständigen Wortlaut: „Die Mitglieder des 15. Allgemeinen Pfarrkonvents der SELK verpflichten sich dazu, die Dienste von Frauen in der SELK, wie sie in den Ordnungen der Kirche vorgesehen sind, weiterhin zu fördern: Pastoralreferentinnen, Lektorinnen, Kirchenvorsteherinnen, Kirchenrätinnen, Diakoninnen, Katechetinnen, Dozentinnen an der Lutherischen Theologischen Hochschule etc.“ (Antrag 381.01, 3. Abschnitt, mit 67 Ja-Stimmen, 9 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen mit mehr als 80% Zustimmung beschlossen).

Viele Gemeindeglieder schwer enttäuscht
Ich kann mir vorstellen und weiß, dass durch diese Beschlüsse viele Gemeindeglieder und auch Pfarrer und Pastoralreferentinnen schwer enttäuscht sind, die erwartet hatten, dass nun endlich die Ordination von Frauen eingeführt wird. Dafür habe ich Verständnis. In der beschlossenen Verlautbarung war dies dem APK schon deutlich. Es heißt da: „Es ist dem Konvent bewusst, dass dieses Ergebnis Hoffnungen von Gemeindegliedern enttäuscht, die auf eine baldige Änderung in der Frage der Ordination von Frauen gehofft haben. Der Konvent bittet die Gemeindeglieder weiter um das Gebet für die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche sowie um Verständnis, dass nach Auffassung des Allgemeinen Pfarrkonvents die kirchliche Einheit durch den nun gewählten Weg am besten gewahrt werden kann.“ Dem Allgemeinen Pfarrkonvent waren die unterschiedlichen Stimmungen in den Gemeinden sehr klar vor Augen.

Ich nehme seitdem wahr, dass zahlreiche Gemeindeglieder nun den Gedanken an einen Austritt aus der SELK haben. Auch in einigen Gemeinden wird darüber nachgedacht, die SELK zu verlassen. Der dritten Synodaltagung der 15. Kirchensynode, die vom 17. bis 20. September 2025 in Fulda tagt, liegen Anträge vor, nun das Ausscheiden von Gemeinde aus der SELK zu ermöglichen.

32 Pfarrer veröffentlichten eine Erklärung
Gerade eine Woche nach dem Ende des 15. APK veröffentlichen 32 stimmberechtigte Pfarrer eine Erklärung, in der sie die Beschlüsse des APK, zum ordinierten Dienst von Frauen in Gemeinden, die das wünschen „sehr bedauern“. Zu der Tatsache, dass die Selbstverpflichtung des APK, „die Dienste von Frauen in der SELK, wie sie in den Ordnungen der Kirche vorgesehen sind, weiterhin zu fördern“ mit 67 Ja-Stimmen, 9 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen beschlossen wurde, also mit mehr als 80% Zustimmung, schreiben sie: „Erschrocken sind wir über eine auf dem APK deutlich gewordene Infragestellung geltender Ordnungen zum Dienst von Frauen in unserer Kirche.

Ich halte es grundsätzlich für irritierend, wenn Mitglieder eines Gremiums unmittelbar nach der Beschlussfassung sich davon teilweise distanzieren und dies dann öffentlich kritisch kommentieren. Ich habe deshalb den 32 Unterzeichnern einen Brief geschrieben, der allen stimmberechtigten Mitgliedern des APK zuging. Auch auf Grundlage anderer Briefe haben die 32 Unterzeichner ihr Schreiben revidiert. Eine Passage, die eine Lehrverurteilung beinhaltete, haben sie ganz zurückgenommen und dazu geschrieben: „Für die missverstehbaren Formulierungen bitten wir um Entschuldigung. Das [eine Lehrverurteilung] lag und liegt nicht in unserer Absicht.“ Ein Gespräch zwischen einem größeren Teil der Unterzeichner und mir hat zudem im Kirchenbüro stattgefunden.

Frauen melden sich selbst zu Wort
Auf diesen Brief der 32 Pfarrer haben sich Frauen aus der SELK zu Wort gemeldet mit einem offenen Brief „Frauenordination in der SELK? – Jetzt reden die Frauen“. Darin heißt es: „Wir möchten klarstellen, dass die Befürworter der Frauenordination, wie zum Beispiel die 32 Pfarrer mit ihrer Erklärung, nicht in unserem Namen sprechen und nicht unsere Interessen vertreten, wenn sie von Frauen in der SELK reden. Wenn es ein Gebot des Herrn der Kirche ist, dass Frauen nicht öffentlich lehren, d.h. predigen und die Gemeinde geistlich leiten sollen (1.Kor.14,37), dann vertrauen wir darauf, dass dies eine gute Ordnung zu unser aller Bestem ist und tun unseren Dienst gern an anderer Stelle.

Fundamentalismus, Faschismus und ein neutraler Bischof?
Mir begegnen in diesen Tagen nach dem Allgemeinen Pfarrkonvent verstärkt die Aussage, dass man sich gegen „Fundamentalismus“ in der Kirche wende. Die Fundamentalismus-Keule funktioniert „hervorragend“ bei Menschen, die nicht meiner Meinung sind. (Das meine ich ironisch und gern auch selbstironisch.)

Ein Gemeindeglied schrieb mir: „Die Kleinhaltung von Frauen ist nur ein Charakteristikum des Faschismus. Wir wissen alle, welche zerstörerische Kraft diesem hasserfüllten Weltbild inhärent ist.

Eine „Petition an die Kirchensynode, die Pfarrer und die Kirchenleitung der SELK“ wird zur Unterschriftensammlung veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem: „1. Wir fordern, dass die beiden Positionen Pro und Contra FO, die „derzeit nicht kirchentrennend sind“, dauerhaft gleichberechtigt in der SELK vertreten und kirchliche Praxis werden können. … 3. Wir fordern von der Kirchensynode, bei ihrer Sitzung im September 2025 Beschlüsse zu fassen, die beide Praktiken ermöglichen. … 5. Wir fordern, dass der Bischof entsprechend Art 19 (2) der Grundordnung der ganzen Kirche dient. Auch im Hinblick auf die Frauenordination.

Ich lasse es mal unkommentiert, dass hier gleich mal das Gegenteil von dem gefordert wird, was der 15. APK mit relativ breiter Mehrheit beschlossen hat. Der 5. Punkt betrifft meinen Dienst. Ich verstehe diese Bitte so, dass ich mich in der Debatte neutral verhalten solle. Nach unserem Augsburger Bekenntnis, Artikel 28, ist es aber Aufgabe eines Bischofs, „Lehre zu beurteilen und die Lehre, die dem Evangelium entgegen ist, zu verwerfen…“ Deshalb folgt dem Satz in Artikel 19, Absatz (2) der Grundordnung der SELK, den die Petition hier zitiert ein weiterer Satz, der in der Petition weggelassen wurde: „Der Bischof dient der ganzen Kirche. Er achtet darauf, dass das Wort Gottes schrift- und bekenntnisgemäß verkündigt und gelehrt wird und die Sakramente recht verwaltet werden.“ Beides will ich weiterhin geduldig und gern tun.

Wie das Ende der DDR - vom Unterschied zwischen Ideologie und Glauben
In einem privaten YouTube-Video sagt Michael Sommer von „der Kirchenleitung unter Bischof Voigt … Das erinnert mich an die Endphase der DDR. Da war der Kontakt zwischen Oben und Unten ja auch verlorengegangen.

Es mag überraschen, aber der Vergleich, den Michael Sommer recht unfreundlich aufmacht, kommt mir regelmäßig selbst in den Sinn, wenn ich an eigene Erfahrungen und Erlebnisse hinter dem „Eisernen Vorhang“ in der Zeit meines Studiums in Leipzig erinnert werde. Ich stelle mir dann die Frage: „Kann die SELK überhaupt bestehen mit ihrer in der Kirchenverfassung geschriebenen Satz, dass das Dienstamt der Kirche ‚nur Männern übertragen‘ werden kann, wenn dieses gesamte Gemeinwesen ‚Deutschland‘ anders denkt?

Eine Staats-Ideologie funktioniert in der Weise, dass eine anfangs existierende schwerwiegende Fragestellung in ein Weltbild gepresst wird und dann die Welt danach mit staatlicher Gewalt gestaltet wird. Entwickelt sich die Welt anders, als in einer Ideologie beschrieben, verliert sie ihre Anhänger und bricht mit Getöse oder still und leise zusammen. An dieser Stelle findet der Kontaktverlust statt.

Die Inhalte des christlichen Glaubens waren und sind schon immer weltfremd gewesen. Dass ein Toter nach seiner Kreuzigung aufersteht ist weltfremd. Dass Jesus Christus ganz Gott und ganz Mensch ist, ist völlig weltfremd. Dass wir an die Auferstehung des Leibes glauben, ist völlig weltfremd. Dass die Kirche sich seit ihren frühesten Anfängen gegen Abtreibung positioniert hat, ist mittlerweile fast weltfremd. Der christliche Glaube ist jedoch von einer Ideologie grundlegend zu unterschieden, weil er auf die Ausübung von weltlicher Macht aus sich selbst heraus verzichtet. Und immer dann, wenn weltliche Macht und Glauben zu nah zusammenkamen, wurde der Glaube zur Ideologie.

Glauben bewahren gegen gesellschaftliche Mehrheiten?
Das ist aus meiner Sicht die Grundsatzfrage die hinter der Frage nach der Ordination von Frauen steht. Selbst wenn die SELK diese derzeit so heftig umstrittene Frage endgültig gelöst hätte, würden sofort ein ganzer Wald neuer Fragen hinter diesem einen „Baum“ auftauchen. Ich meine, dass die Grundsatzfrage des 21. Jahrhunderts – letztlich für alle Kirchen in der westlichen Hemisphäre – lautet: Kann Kirche Glaubenswahrheiten öffentlich bekennen und vertreten, die von einer gesellschaftlichen Mehrheit nicht mehr geteilt oder klar abgelehnt werden? Oder: muss Kirche Glaubenswahrheiten ständig anpassen? Die Antwort muss unabhängig von der Ordinationsfrage lauten: Ja, Kirche muss an ewigen Glaubenswahrheiten festhalten oder sie ist nicht mehr Kirche.

Weil diese Grundsatzfrage hinter der Ordinationsfrage steht, deshalb streitet unserer Kirche mit solcher Vehemenz. In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass in der Argumentation derer, die für eine Ordination von Frauen eintreten, an irgendeiner Stelle immer die Wortgruppe: „heute nicht mehr zu sagen“ auftaucht.

Grundordnung nicht vollständig demokratisch
Ein weiteres Problem muss in dieser Debatte klar benannt werden. Die Tatsache, dass die SELK von einigen als völlig antiquiert in der kirchlichen und gesellschaftlichen Landschaft dieses Landes wahrgenommen wird, liegt an einem Detail ihrer Verfassung, dass sich gleichwohl der Heiligen Schrift verdankt: Die Verfassung der SELK ist nicht vollständig demokratisch durchstrukturiert. Vom Allgemeinen Pfarrkonvent, also der Versammlung aller zum „Hirtendienst“ in der Kirche ordinierten, heißt es nämlich: „Es gehört zu den Aufgaben des Allgemeinen Pfarrkonventes: … b) über Fragen der Lehre, des Gottesdienstes und der kirchlichen Praxis zu beraten. Er kann dazu Beschlüsse fassen. Solche Beschlüsse bedürfen der Zustimmung durch die Kirchensynode, wenn sie bindende Wirkung für die Kirche haben sollen.“ Artikel 24, Absatz b). Die Zusammenkunft der Ordinierten entscheidet Fragen der Lehre, des Gottesdienstes und der kirchlichen Praxis. Dieses geistliche Leitmotiv vom Hirtendienst ist ein starkes biblisches Bild, dass freilich in keiner Weise mehr in unsere Zeit passt. Das ist altkirchlich aber wohl kaum demokratisch und man muss das wollen in dieser Kirche, will man sich nicht ständig fragen, warum alles so theologisch und so schwerfällig ist. Die Synode der Kirche, als demokratisch gewählte Versammlung, hat die Aufgabe, zu solchen Beschlüssen des APK „Stellung zu nehmen“ in Zustimmung, Ablehnung oder Kommentierung. Diese Vernetzung von APK und Kirchensynode sichert in unserer Verfassung ab, dass der Hirtendienst nicht an den Gemeinden vorbei oder gegen diese agiert. Die große Enttäuschung, die nach den Beschlüssen des 15. APK in Gemeinden herrscht, hängt mit den basisdemokratischen Erwartungen zusammen, Entscheidungen durch Umfragen und Meinungsbilder in Gemeinden herbeizuführen. Dies ist jedoch in der Verfassung der SELK nicht abgebildet.

Wie weiter? Anfangen aufzuhören!
Auf dem Allgemeinen Pfarrkonvent fiel mir irgendwann an Tag drei auf, wie anders das ist, wenn man Menschen direkt begegnet und miteinander redet. Ich glaube, dass es vielen so ging. Ich habe noch nie so stark den Unterschied zwischen der Kommunikation in sozialen Netzwerken im Gegensatz zu persönlichen Begegnungen erlebt, wie in Hofgeismar. Ich kam mir vor, als tauchten wir an der Wasseroberfläche auf und sahen uns in die Augen mit dem Gedanken: „Hey, dich gibt’s ja wirklich! Schön, dass wir uns sehen!

Anfangen aufzuhören“ im doppelten Wortsinn: Wir müssen anfangen aufzuhören mit der ungeheuren Geschwindigkeit moderner Medien ständig Druck aufeinander auszuüben. Lassen wir die Gremien der Kirche in Pfarrkonventen und Kirchensynoden ihre verfassungsgemäße Arbeit machen. Und Kirche, die Gemeinden, die Gemeindeglieder und Hauptamtlichen und ich müssen wieder ganz neu „auf-hören“ auf das Wort des Heilandes und Friedensbringers Jesus Christus.

Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.

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