Bekenntnis
„Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!“ (Mt 16, 16)
Dieser Satz des Apostels Petrus gehört zu den ersten und ältesten christlichen (Glaubens-) Bekenntnissen.
Er ist die Antwort auf Jesu Fragen an seine Jünger „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ bzw. „Wer sagt denn ihr, dass ich sei?“ (Mt 16, 13.15)
„Die Leute“ hielten Jesus für Johannes den Täufer, den Propheten Elia, für Jeremia oder einen anderen Propheten. So wie auch die Menschen nach ihnen und bis heute von Jesus ganz unterschiedliche Ansichten haben: Von einer idealen mythischen Gestalt, die nie gelebt habe, über den gescheiterten „Revolutionär des Friedens und der Liebe“ bis hin (wie im z.B. im Islam) zum Propheten, der aber doch nur Vorläufer des „letzten und wahren Propheten“ sei, reicht das Spektrum der Meinungen.
Von Anfang an beinhaltete daher das zustimmend-positive Bekenntnis zu Jesus als dem Christus auch einen ablehnend-verwerfenden Aspekt. Wer bekennt, bekennt sich zu etwas und zugleich auch gegen anderes. Sinn und Ziel eines Bekenntnisses ist es, klar und profiliert auszusagen, was der Inhalt meines Glaubens ist und zugleich auch, was nicht damit übereinstimmt.
Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) versteht sich bewusst als bekenntnisgebundene Kirche, als Bekenntniskirche und bindet sich daher an die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, wie sie im sog. Konkordienbuch von 1580 gesammelt vorliegen. Die Bindung der Kirche an das Bekenntnis erfolgt nicht nur, insofern (quatenus) die Bekenntnisse mit Gottes Wort übereinstimmen, sondern weil (quia) sie mit Gottes Wort übereinstimmen.
Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sind:
Die altkirchlichen Symbole (das Apostolische, das Nizänische und das Athanasianische Glaubensbekenntnis)
Das Augsburger Bekenntnis
Die Apologie des Augsburger Bekenntnisses
Die Schmalkaldischen Artikel
Traktat von der Gewalt und Obrigkeit des Papstes
Der Kleine Katechismus
Anhänge zum Kleinen Katechismus (Luthers Tauf- und Traubüchlein)
Der Große Katechismus
Die Konkordienformel (Epitome= Kurzfassung / Solida Declaratio = Langfassung)
Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche
Prof. Dr. Gilberto da Silva von der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel gibt einen Überblick zur Entstehungsgeschichte der evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften und ihrem historischen Kontext.
Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche (BSELK) sind eine Sammlung von Texten, die innerhalb eines großen Zeitraums und in verschiedenen historischen Zusammenhängen entstanden sind. Nicht alle wurden zur Zeit ihrer Entstehung als Bekenntnis im engeren Sinn verfasst, gelten aber spätestens seit ihrer Zusammenfassung im Konkordienbuch von 1580 als Bekenntnisse der Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Die ökumenischen oder altkirchlichen Bekenntnisse
Die ältesten BSELK sind die drei altkirchlichen Bekenntnisse: das Apostolische, das Nizänische und das Athanasianische Glaubensbekenntnis. Sie entstanden bis zum 6. Jahrhundert, als sich die noch junge Kirche gegen falsche Vorstellungen von Gott, seinem Sohn Jesus Christus und dem Heiligen Geist wehren und den Rahmen des vom wahren Christentum zu Glaubenden abstecken musste. Damals gab es keine große Spaltung der Christenheit in Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus, sodass sie den Konsensus des traditionellen Christentums darstellen. Indem die Lutherische Kirche diese altkirchlichen Bekenntnisse zu ihren Bekenntnissen zählt, bekennt sie sich selbst zur Einheit der einen, heiligen, katholischen (universalen) und apostolischen Kirche.
Die Katechismen Luthers
Die zweitältesten BSELK sind fast tausend Jahre später entstanden. Es handelt sich um die Katechismen Martin Luthers, der Kleine und der Große aus dem Jahr 1529. Wie der Begriff „Katechismus“ schon verrät, sind beide Schriften nicht als Bekenntnisse, sondern als Unterrichtsmaterial verfasst worden. Luther nahm zu seiner Zeit einen großen Mangel an biblischen Kenntnissen wahr und versuchte, mit den beiden Texten Abhilfe zu verschaffen. Der Kleine Katechismus sollte die Grundelemente oder „Hauptstücke“ des christlichen Glaubens vermitteln, der Große Katechismus eine Vertiefung und Reflexion über dieselben Grundelemente ermöglichen. Die Darstellung des christlichen Glaubens in den beiden Katechismen ist so gut, dass man sie später zu Bekenntnisschriften „umfunktioniert“ hat. Das bedeutet, dass sie für uns Lutheraner von heute nicht nur Unterrichtsmaterial, sondern auch Bekenntnis unseres christlichen Glaubens in seinen elementarsten Formen sind.
Das Grundbekenntnis der lutherischen Kirche: Die Confessio Augustana
Im Gegensatz zu den Katechismen wurde das Augsburger Bekenntnis, die „Confessio Augustana“ (CA), im Jahr 1530 von vornherein als Bekenntnis konzipiert. Philipp Melanchthon schrieb sie damals im Auftrag der Reichsstände, die evangelisch geworden waren und deswegen vom Kaiser und den anderen Reichsständen der Häresie bezichtigt wurden. Auf dem Reichstag zu Augsburg vor Kaiser und Reich wurde die Schrift als Glaubensbekenntnis vorgelesen – allerdings nicht mit der Absicht, den evangelischen als einen „Sonderglauben“ darzustellen, sondern als den schon immer von der wahren Christenheit vertretenen Glauben. Zugleich sollte sie auf die in Kirche und Theologie herrschenden Missstände hinweisen. Die CA ist durch ihre historische und dogmatische Bedeutung das „Ur- und Grundbekenntnis“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche, denn darin bekennen wir als Lutheraner, dass wir in der Einheit des wahren christlichen Glaubens stehen, die jedoch nicht auf Kosten der Wahrheit entstehen oder aufrechterhalten werden kann.
Der deutsch-römische Kaiser und die nichtevangelischen Stände haben die CA jedoch nicht angenommen, sodass Melanchthon weiter damit beauftragt wurde, eine Verteidigung, eine Apologie der CA zu schreiben. Diese fertigte er noch in Augsburg an und ließ sie 1531 drucken. Streng genommen ist die Apologie der Confessio Augustana ihrer Entstehung nach keine Bekenntnisschrift, sondern – wie der Name schon sagt – eine Verteidigung der CA mittels vertiefender Argumentation und Klarstellung. Sie wurde aber zu einer Bekenntnisschrift, indem sie später in das Konkordienbuch aufgenommen wurde. Heute dient sie uns als Bekenntnisschrift, die den in der CA bekannten lutherischen und in diesem Sinne christlichen Glauben aus einer erweiterten Perspektive darstellt und begründet.
Schmalkaldische Artikel und Tractatus
Sieben Jahre nach Verfassung der CA war die Lage eine ganz andere. Die Bedrohung der evangelischen Stände von Seiten des Kaisers und der nichtevangelischen war größer geworden, sodass ein evangelisches Verteidigungsbündnis immer notwendiger erschien. Dafür galt es aber zuvor, Einigkeit unter den Evangelischen herzustellen, was jedoch nicht der Fall war. Außerdem stand die Frage im Raum, ob die Evangelischen auf einem möglichen neuen Ökumenischen Konzil einheitlich ihren Glauben würden bekennen können. Zu diesem Zweck beauftragte man Luther mit der Verfassung seiner „Artikel der christlichen Lehre“, die wegen des Versammlungsortes der evangelischen Reichsstände den Namen „Schmalkaldische Artikel“ bekamen und 1537 fertig wurden. Da Luther zu der Zeit auch sehr krank war, schrieb er die Artikel als sein theologisches Testament. Die Fürsten fanden die Artikel jedoch zu polemisch und nahmen ihn als gemeinsames Bekenntnis nicht an. Lediglich die in Schmalkalden anwesenden Theologen bekannten sich zu dem Text. Die Fürsten wiederum beauftragten Melanchthon mit der Verfassung eines neuen Textes, aus dem dann 1537 der „Traktat über die Macht und den Primat des Papstes“ entstand. Beide Texte wurden später mit der Aufnahme in das Konkordienbuch von 1580 zu Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Als unsere Bekenntnisse heute zeigen sie uns die Grenzen dessen, was der evangelisch-lutherische und also biblische Glaube noch akzeptieren kann. Besonders die Dreiteilung der Schmalkaldischen Artikel ist sehr hilfreich: es gibt Lehren, die wir mit anderen Christen gemeinsam bekennen; es gibt Lehren, über die keine Verhandlung möglich ist, denn das wäre mit der biblischen Wahrheit nicht vereinbar; und es gibt Themen, über die man miteinander sprechen und über die man Konsense erzielen kann.
Die Konkordienformel
Die letzte BSELK erschien kurz vor Erstellung des Konkordienbuches im Jahr 1577. Es handelt sich um die Konkordienformel, die zwei Teile hat: eine vorangestellte Zusammenfassung, die sogenannte Epitome, und den vollen Text, die „Solida Declaratio“. In dieser späteren Bekenntnisschrift, die von einer Theologenkommission verfasst worden ist, ging es nicht mehr primär um das Bekennen des Glaubens nach außen, sondern nach innen, denn im Laufe der Zeit waren viele Lehrkontroversen innerhalb der Lutherischen Kirche entstanden. Hauptmerkmal der Konkordienformel ist also die Suche nach einem innerlutherischen Konsensus. Sie legt definitiv fest, was als lutherisch – und das heißt biblisch – im Glauben und Leben der Kirche zu gelten hat. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis bringt sie jedoch nichts Neues an den Tag, sondern sie will ausdrücklich Auslegung der Confessio Augustana von 1530 sein. Mit ihr schließt sich also der Kreis der BSELK. Für uns heute ist sie die lutherische Bekenntnisschrift, die die anderen präzisiert und uns ermöglich, von einer „konkordienlutherischen“ Kirche wie der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche zu sprechen.
Trotz ihrer unterschiedlichen situationsbezogenen Entstehung sind die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche spätestens seit ihrer Aufnahme in das Konkordienbuch die verbindlichen Texte, die auf der einen Seite die Zugehörigkeit der Lutherischen Kirche zu der einen, heiligen, katholischen (universalen) und apostolischen Kirche, d.h. ihre Einheit mit der christlichen Kirche aller Zeiten, bekennen. Auf der anderen Seite geben sie den Rahmen dessen vor, was als lutherisch und in deren eigenen Verständnis biblisch zu bekennen ist, denn die BSELK wollen nichts Anderes sein als Auslegung der Heiligen Schrift.
Zu Verhältnis von Bekenntnis und Heiliger Schrift
„Schrift und Bekenntnis“ gelten in der SELK als bestimmender Zweiklang. Doch wie passt das mit dem von Luther geprägten “Sola scriptura” – “Allein die Schrift” – zusammen? Prof. Dr. Achim Behrens von der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel erklärt die Zusammenhänge.
Was denn nun?
Die lutherische Kirche bindet sich an die Heilige Schrift, die Bibel als Gottes Wort und an die Lutherischen Bekenntnisschriften. Damit sind die Normen klar benannt, an denen die theologische Lehre der Kirche sich messen lassen muss. Auf der anderen Seite gibt es seit der Reformationszeit die Formel sola scriptura – allein die Schrift. Nur Gottes Wort in der Bibel – und nicht die kirchlichen Traditionen oder Aussagen des Papstes oder anderer kirchlicher Autoritäten – sollte begründen, was eigentlich den christlichen Glauben ausmacht. So wurde das sola scriptura zu einer Art Parole der Lutheraner und dann auch aller anderen evangelischen Christen. Nun stehen sich auf der einen Seite „Schrift und Bekenntnis“ und auf der anderen Seite „Allein die Schrift“ scheinbar gegenüber. Müsste man sich nicht eigentlich entscheiden? Geht das zusammen: Schrift und … und Allein die Schrift?
Die Hl. Schrift als „normierende Norm“ – die Bekenntnisse als „genormte Norm“
Ja, es geht. Es kommt nur darauf an, wie Schrift und Bekenntnis einander zugeordnet sind. Die Bibel ist kein theologisches Lehrbuch. Hier werden Geschichten erzählt, Psalmen gebetet, Gesetze erlassen, Briefe geschrieben, Prophetenworte gesammelt und vieles mehr. Die Bekenntnisse sortieren das alles systematisch, sozusagen nach Themen: In den Bekenntnissen drückt die lutherische Kirche verbindlich aus, was sie über Gott, den Menschen, die Sünde, Christus, die Kirche und die Sakramente lehrt. Aber alle diese Aussagen kommen aus der Schrift – und zwar nur aus der Schrift (sola scriptura); denn eine andere Erkenntnisquelle als die Bibel gibt es für die Theologie nicht. Hier macht sich der unsichtbare Gott sicht- und hörbar. So ist die Bibel die Quelle, und die Bekenntnisschriften sind Schalen, in die das lebendige Wasser gefüllt wird. Die Bibel ist Gottes Wort, die Bekenntnisse sind Auslegung dieses Wortes als kirchliche Lehre. Weil die Bekenntnisse sachgerechte Auslegung der Heiligen Schrift sind, sind sie für Lehre und Lehrer der Kirche auch verbindlich. Allerdings ist nun klar: Wenn von Schrift und Bekenntnis die Rede ist, dann steht die Schrift immer an erster Stelle. Aus ihr fließt das Wasser des Lebens in die Bekenntnisse, nicht umgekehrt. Und so halten die Bekenntnisse selber fest, dass sie immer an der Heiligen Schrift selbst zu messen und zu prüfen sind. Wenn wir also unser Bekenntnis ernst nehmen, dann will es uns immer wieder zum Bibellesen ermutigen und in die Bibel hineinführen.
Nun finden sich aber neben dem „Allein die Schrift“ (sola scriptura) drei weitere „Alleins“, die als typisch lutherisch gelten: Allein Christus (solus Christus), Allein durch das Wort (verbo solo) und Allein durch den Glauben (sola fide). Es scheint so, als bildeten alle diese „Solisten“ in Wirklichkeit einen Chor. Wie ernst zu nehmen ist dann der Exklusivanspruch Allein jeweils noch? Oder ist das alles nicht ein Paradox?
Auch hier kommt es auf das richtige Verhältnis dieser vermeintlichen Exklusivansprüche zueinander an. Die Heilige Schrift, die Bibel ist nicht aus formalen Gründen die alleinige Quelle für den christlichen Glauben, sondern wegen ihres Inhalts. Allein Christus ist mit seinem Kommen in die Welt, seinem Leben, Sterben und Auferstehen der Grund für die Gerechtigkeit vor Gott und damit für ein erlöstes Leben der Menschen. „Nimm Christus aus der Schrift – was bleibt dir noch?“, fragte Martin Luther einmal. Christus ist nun aber nicht nur ein Mann, der vor zweitausend Jahren in Nazareth lebte. Vielmehr erkennt die Christenheit in diesem Jesus Gott selbst, der Mensch wurde und dessen Tod und Auferweckung die Menschen von der Macht der Sünde und des Todes befreit – auch heute noch. Dies aber erkennen wir nicht durch unsere frommen Gefühle, unser intensives Nachdenken oder Forschen. Nein, dass wir Sünder sind und in Christus erlöst werden, das muss uns gesagt werden. Allein durch das Wort gelangen Menschen zu dieser Einsicht und zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. So ist dieses Wort noch mehr als die Bibel. Es ist die mündliche Verkündigung, die Weitergabe der alten Wahrheiten in unser heutiges Leben, die lebendige Stimme des Evangeliums. Dieses Wort kann man sagen und hören – und wir sollen es auch verstehen. Deshalb hat ja Luther die Bibel auch ins Deutsche übersetzt und der Predigt im Gottesdienst mehr Raum geschaffen. Aber dieses verkündigte Wort Gottes zielt nicht nur auf unseren Verstand. Vielmehr wird der wesentliche Inhalt – Christus ist dein Retter, Bruder und Herr – allein durch den Glauben begriffen und ergriffen. Nicht unsere Werke und nicht unsere Mitwirkung an einer Weltverbesserung Gottes, sondern nur unser Vertrauen auf Christus allein bahnt uns den Weg in die Ewigkeit und lässt uns hier schon als Erlöste leben.
Harmonie zur Ehre Gottes
„Schrift und Bekenntnis“, „Allein die Schrift“, „Allein Christus“, „Allein durch das Wort“, „Allein durch den Glauben“ – das ist nicht die verwirrende Versammlung von Solisten, sondern das ist ein mehrstimmiger Chor. Im Zusammenklang dieser „Soli“ entsteht eine Harmonie, die uns Christen auf die einzige Quelle unseres Glaubens (die Schrift) und den einzigen Grund unseres Glaubens (Christus) hinweist und dabei zugleich die Ehre Gottes besingt – Soli Deo Gloria.