Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Nicht sich in ein besseres Licht rückenWolfhart Schlichting ist Pfarrer der Bayerischen Landeskirche. Als profilierter Lutheraner hat sich der promovierte Theologe in Predigten, Aufsätzen und Vorträgen immer wieder auch gegen Entscheidungen seiner Kirche gewandt und die Rechtfertigung des Menschen aus Gottes Gnade in den Mittelpunkt gestellt.
Das vorliegende Buch, erschienen anlässlich seines 85. Geburtstages, gibt nicht nur Einblicke in das berufliche Leben Schlichtings, es ist auch eine lehrreiche Kostprobe seiner Argumentations- und Formulierungskunst. Dazu trägt wesentlich die Dialog-Form bei. Till Roth, Dekan in Lohr am Main, stellt kluge Fragen, um das Gespräch einerseits theologisch fundiert voranzutreiben und andererseits praktisches christliches Leben (in der Gemeinde) im Blick zu behalten.
Wenn Schlichting beispielsweise beschreibt, wie er bei Hausbesuchen gleichsam „mit der Tür ins Haus“ fiel, um das Bibelwort, das er mitbrachte und das er für diesen Tag bedacht hatte, gleich bei der Begrüßung weiterzugeben, hat man sofort die Situation vor Augen. Wenn er erklärt, warum er so gern Beerdigungen machte, wenn er über Vorstandssitzungen spricht, ganz besonders aber, wenn er seine Liebe zum Gottesdienst beschreibt, folgt man ihm gern und mit Interesse.
Wolfhart Schlichting hat als Studentenpfarrer, als Mitgründer des Arbeitskreises Bekennender Christen (ABC), als Gastdozent am Lutherischen Theologischen Seminar in Hongkong und als Gemeindepfarrer in Augsburg sein Christsein gelebt, geschärft und mit andern geteilt. Er ist als konservativer lutherischer Theologe oft angeeckt, davon kann man in diesem Buch auch lesen. Dass sein ambivalentes Verhältnis zu seiner Landeskirche nicht zum Bruch geführt hat, mag man als selbständiger Lutheraner verstehen oder nicht, aber sein „Leiden an der Kirche“ wird in seinen Ausführungen deutlich. Dass er im Internet auf Gottesdienstübertragungen aus der SELK (Dresden) gestoßen ist und dabei die Erfahrung macht, „nicht auf der Hut sein zu müssen vor irreführenden Halbwahrheiten“ mag einen freuen – und ermutigen.
Was Wolfhart Schlichting über Gottesdienst, Predigt, über das Verständnis der Heiligen Schrift und das Bekennen vor den Menschen zu sagen hat, ist für Profis wie für Laien spannend, anregend und aufschlussreich. In jedem Fall macht es Lust, Theologie zu treiben – und die Bibel zu lesen.
Wolfhart Schlichting
„… Nicht sich in ein besseres Licht rücken …“
Ein Gespräch über Religion, Glaube und Frömmigkeit, geführt und aufgezeichnet von Till Roth
Freimund Verlag 2025, 287 Seiten, 14,95 Euro
VergebenDass Gott uns unsere Sünden vergibt, scheint irgendwie selbstverständlich, das ist schließlich sein „Job“, oder nicht? Gott vergibt – aus reiner Gnade. Und wir? „Vergeben – warum eigentlich? Und wenn ja – wie?“ So fragt der Untertitel des Buches von Timothy Keller. Der 2023 verstorbene amerikanische Pastor und Autor blättert darin die vielen Schichten des Themas auf, und das wird manchmal für die ach so gern selbstgerechte Seele ziemlich unbehaglich. Denn es ist ja mitnichten so, dass Christen (automatisch) Gottes Vergebung empfangen und diese barmherzige Liebe dann (automatisch) und bereitwillig an andere weitergeben.
Wie schwer es ist, zu vergeben, erzählen zahlreiche Geschichten in der Bibel, die Keller tiefgründig auslegt. Ja, die Bibel ist DAS Buch der Vergebung. Angefangen in den Büchern Mose über die Psalmen und Propheten bis hin zu der Grundlage – der objektiven Ermöglichung der Vergebung –, dem Sühnetod Jesu Christi am Kreuz.
Keller macht es sich und uns Lesern nicht einfach. Nicht weil er kompliziert schreiben würde, sondern weil die Sache nicht einfach ist. Wenn Jesus für unsere Sünden ans Kreuz ging – unsere Schuld beglichen hat – hat sich Gottes Zorn damit erledigt? Ist er nur mehr ein liebender Gott, der nichts verurteilt, wie ihn viele gerne sähen? Wo bleibt dann aber die Gerechtigkeit, wenn jedem jede Schuld vergeben wird und keiner bestraft wird?
Wie Keller diese Spannung hält und die „geistlichen Verzerrungen“ auf die eine wie die andere Seite erklärt, ohne Haken zu schlagen, ist sehr lehrreich. Wie er die Notwendigkeit der Vergebung für uns aufdeckt, auch die Scham und die Schuldgefühle, die damit verbunden sind, bis hin zu dem Problem, sich selbst nicht vergeben zu können, das ist erhellend und unbequem zugleich. Was er über ganz praktische Schritte der Vergebung und der Versöhnung sagt, mag man vielleicht als übertrieben abtun. Aber genau das ist es, was uns vor Augen führt, wie groß die Liebe Gottes zu uns ist.
Timothy Keller
Vergeben – Warum eigentlich? Und wenn ja – wie?
Brunnen Verlag 2024, 345 Seiten, 22.- Euro
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