10. Sonntag nach Trinitatis: Israel-Sonntag


„Im Kirchenjahr wird in der lutherischen Kirche das Verhältnis zum Volk Israel vor allem an zwei Tagen in besonderer Weise bedacht, nämlich am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem sog. ‚Israelsonntag‘, und am Karfreitag.
 
Israel-Sonntag
 
Seit der Reformationszeit wurde im Anschluss an das Sonntagsevangelium aus Lk 19,41-48 der Zerstörung Jerusalems und vor allem des Jerusalemer Tempels gedacht. Dabei wurde regelmäßig auch ein Bericht der Zerstörung des Jerusalemer Tempels verlesen. Häufig wurde dann die Tempelzerstörung als Strafhandeln Gottes gegenüber seinem Volk verstanden, weil dieses Gottes gnädige Heimsuchung in Jesus Christus nicht erkannt und stattdessen den Messias ans Kreuz geschlagen habe. In diesem Zusammenhang wurde das Ergehen des Volkes Israel mit der Zerstörung des Tempels häufig als warnendes Beispiel für die Christenheit aufgefasst. Die Predigten erhielten so den Charakter von christlichen Bußpredigten.

Zu einer angemessenen Gestaltung des Israelsonntags ist als erstes zu bedenken, dass das Volk Israel nicht mehr und nicht weniger Anteil am Tod Jesu hat als alle anderen Menschen, sondern dass dieser nach dem biblischen Zeugnis ‚der Welt Sünde trägt‘ (Joh 1,29) und sein Tod somit die Folge der Sünde aller Menschen ist.

Eine kurzschlüssige Interpretation, die die Zerstörung des Tempels als unmittelbares Strafhandeln Gottes für den Tod seines Sohnes ansieht, verbietet sich von daher. Überhaupt ist nach lutherischem Verständnis in Gottesdienst und Predigt nicht über ein angenommenes Versagen anderer zu reflektieren, sondern die Predigt von Gesetz und Evangelium hat vielmehr die Aufgabe, die konkrete Hörergemeinde zur Umkehr zu rufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueln der Schoa und im Zusammenhang mit Versuchen, von christlicher Seite das Verhältnis zum Judentum neu zu bestimmen, gewinnt auch der 10. Sonntag nach Trinitatis ein neues Gepräge.

An die Stelle des Gedenkens der Zerstörung des Tempels tritt zunehmend eine Besinnung auf das Verhältnis von Christentum und Judentum. Dabei hat an diesem Sonntag im christlichen Gottesdienst beides seinen Platz: das Gedenken der Zerstörung des Tempels als Bußruf an die versammelte Gemeinde und die Erinnerung an die bleibende Verbundenheit der Christenheit mit dem Volk des Sinaibundes.“

„Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Israel zum ersten Zeugen deiner Offenbarung erwählt: erhöre unsere Bitten für das Volk deiner Verheißung und gib, dass es das Licht der Wahrheit erkenne, das Heil in Christus annehme und deinen Sohn mit der ganzen Christenheit preise. Durch ihn, Jesus Christus, unsern Herrn.“ Amen.

Einen gesegneten Israelsonntag wünscht Ihnen
Ihr selk.de-Team


Text und Gebet sind entnommen aus:
"Lutherische Orientierung“ Heft 12
Lutherische Kirche und Judentum
Theologische Kommission der SELK, 2017
Download des Heftes: PDF-Datei | 4,6 MB


© Foto: Solomon's Wall Jerusalem, Jean-Léon Gérôme (1824–1904) - wikimedia.org

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