Ich will euch trösten – Brief an die Gemeinden
Auf ihrer videobasierten Tagung am 19. und 20. März 2020 haben sich die Kirchenleitung und das Kollegium der Superintendenten intensiv mit der Coronavirus-Krise beschäftigt. Aus den Beratungen ist ein Brief an die Gemeinden hervorgegangen, der am 21. März an alle Pfarrämter gegangen ist und auch an dieser Stelle dokumentiert wird.
Der Wortlaut ist zudem in einem Videobeitrag von Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. hier zu hören.
Gott, der Herr, spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
(Aus dem Predigtwort zum Sonntag Lätare aus Jesaja 66,13)
Liebe Gemeindeglieder der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, liebe Gäste der Gemeinden, liebe interessierte Leserinnen und Leser!
Die Kirchenleitung und das Kollegium der Superintendenten wenden sich mit diesem Brief an Sie, um Ihnen in Zeiten tiefer Verunsicherung und Gefahr nahe zu sein. Täglich werden wir mit neuen Meldungen zum neuartigen Coronavirus „SARS-CoV-2“ konfrontiert.
In der gegenwärtigen Not
Bei aller Not, die Kranke und ihre Angehörigen, Sterbende und Trauernde in diesen Tagen erleben, können wir die Frage, warum Gott zulässt, dass Menschenleben und wirtschaftliche Existenzen gefährdet werden, nicht beantworten. Gott ist hierin verborgen, weil er unsere begrenzten menschlichen Vorstellungen übersteigt. Wir haben aber seine tröstliche Zusage durch den Propheten Jesaja: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Um diesen Trost für uns greifbar und anschaubar zu machen, hat er seinen Sohn Jesus Christus Mensch werden lassen. Im Leben, Sterben und Auferstehen Jesu stellt Gott sich an unsere Seite und macht seinen Trost für uns erfahrbar.
Wir können uns nicht erinnern, eine solche gesundheitliche Gefährdung und Krise erlebt zu haben, und auch in der Geschichte der Kirche hat es ein so umfangreiches Verbot von Gottesdiensten noch nicht gegeben. Die Vorstellung, womöglich zu Karfreitag und Ostern in unseren Kirchen keine gemeinsamen Gottesdienste feiern zu können, erfüllt uns mit tiefer Traurigkeit. Wie sollen wir uns verhalten?
Als Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten möchten wir klarstellen, dass es ein Gebot der Nächstenliebe ist, sich an die Anordnungen der Bundesregierung, der Bundesländer und Behörden zu halten. Es geht darum, dass wir gemeinsam die öffentlich Verantwortlichen unterstützen, die Ausbreitung des Virus so zu verlangsamen, dass alle Erkrankten in den Krankenhäusern sachgerecht behandelt werden können und ihre Zahl die Kapazitäten nicht übersteigt.
Manche fragen sich, ob es nicht wichtiger ist, dem dritten Gebot zur Feiertagsheiligung zu folgen und trotz aller Verbote Gottesdienst zu halten. Wir antworten hier sehr klar, dass dies nicht möglich ist, denn dem steht das Gebot der Nächstenliebe gegenüber. Auch ein Verweis auf die rechtliche Autonomie der Kirchen in Deutschland ist in diesem Fall nicht zutreffend, da diese Eigengesetzgebung „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ geschieht, wie das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sagt. Zudem gelten die Einschränkungen nur vorübergehend und es wird mit ihnen keine unchristliche Absicht verfolgt. Auch von daher ist der Nächstenliebe zu folgen, um Menschen mit erhöhtem persönlichem Risiko zu schützen. Dabei ist der Verzicht auf das Heilige Abendmahl ein besonderes Fasten, das uns in diesen Tagen auferlegt wird.
Dort, wo Ursachen und deren Erklärungen sehr kompliziert sind, entstehen sehr schnell Verschwörungstheorien und Gerüchte. Wir rufen daher dazu auf, bei der Auswahl der Informationsquellen sehr sorgfältig zu sein.
Dennoch tiefe Freude, Dankbarkeit und Zuversicht
Zugleich erfüllt es uns mit tiefer Freude, Dankbarkeit und Zuversicht, wenn wir sehen, wie viele Initiativen und Ideen auch in unseren Gemeinden hervorbrechen, die wir vor Kurzem noch nicht für möglich gehalten haben. Wir sind den Pfarrern, Pastoralreferentinnen, Pfarrdiakonen und Vikaren mit den Kirchenvorständen und allen engagierten Gemeindegliedern zutiefst dankbar für Gottesdienste auf unterschiedliche Weise, Andachtsformen im Internet, für die tätigte Nächstenliebe und für vieles andere mehr. Eine so bunte Vielfalt in unserer Kirche hat uns freudig überrascht und stimmt uns zuversichtlich. In Zeiten, in denen von körperlicher Nähe dringend abzuraten ist, werden Telefonanrufe, Briefe und die altbewährte Postkarte besonders für Menschen, die mit dem Internet nicht umgehen können, besonders wichtig.
Wir selbst machen die Erfahrung, dass unsere wichtige halbjährliche Tagung als Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten auch per Video funktionieren kann und wir arbeitsfähig sind. Folgendes hat sich auf unserer Tagung hierzu als besonders wichtig herausgestellt:
Unsere Gottesdienste fallen nicht aus. Sie werden stattdessen nur an unterschiedlichen Orten – nämlich bei uns zu Hause – gehalten. Täglich beten wir zu Gott, dass er Hilfe schenken möge. Jetzt gilt es die vielleicht vorhandene innere Scheu zu überwinden und (wieder) neu damit anzufangen, gemeinsam in der Heiligen Schrift zu lesen, ein Andachtsbuch und das Gesangbuch dazu aufzuschlagen und gemeinsam zu beten: ein freies Gebet, das Vaterunser, den Segen oder Luthers Morgen- und Abendsegen.
Auch die Kollekten in unseren Gemeinden müssen nicht ausfallen. Der Apostel Paulus unterbreitet der Gemeinde in Korinth einen Vorschlag, der für unsere Tage sehr geeignet erscheint. Paulus schreibt uns: „An jedem ersten Tag der Woche lege ein jeder von euch bei sich etwas zurück und sammle an, soviel ihm möglich ist, damit die Sammlung nicht erst dann geschieht, wenn ich komme.“ (1. Korinther 16,2). Dann können wir, wenn das Versammlungsverbot aufgehoben sein wird, unsere Gaben zusammentragen.
Als Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten wollen wir die Verantwortung, die uns gegeben ist, in dieser Krise gewissenhaft wahrnehmen. Als Superintendenten werden wir die regionalen Erfordernisse und Vorgaben im Blick behalten und in unserem Verantwortungsbereich kommunizieren. Die Möglichkeiten zu Krankenbesuchen und Hausabendmahlen sowie zur Gestaltung von Taufen und Bestattungen werden die Pfarrer mit den Gemeinden klären. Mit der Frage nach veränderten Formen des kirchlichen Unterrichtes wollen wir uns beschäftigen. Sollte es erforderlich sein, Konfirmationen oder Jugend- und andere Veranstaltungen abzusagen, raten wir dazu, zunächst einen Termin als „Deadline“ zu verabreden und bekanntzugeben, um an diesem Tag dann die Entscheidung über Stattfinden zu treffen. Das erleichtert die Entscheidungsfindung in Zeiten der Ungewissheit.
Gern sind wir als Kirchenleitung und Superintendenten weiterhin bereit, Ihre Vorschläge, Ideen und Initiativen nach Kräften mit anderen zu teilen.
Bei alledem sind wir gewiss, dass Gott seine Zusage besonders in diesen Zeiten der Not hält: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Gottes Liebe, seine Fürsorge und Hilfe sei Ihnen und euch allen nahe!
Im Namen und Auftrag von Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten
in herzlicher Verbundenheit
Ihre
Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. | Geschäftsführender Kirchenrat Michael Schätzel
Gebetsvorschlag:
Herr Gott, barmherziger Vater, du Schöpfer der Welt, wir bitten dich für alle Kranken, sende ihnen Menschen, die ihnen helfen, lass sie Linderung ihres Leidens erfahren und schenke ihnen Genesung.
Jesus Christus, der du für uns Menschen am Kreuz alle Krankheit getragen hast, hilf denen, die helfen in den Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen, in Geschäften und Wohnungen bedürftiger Menschen. Bewahre sie selbst vor Ansteckung. Lass sie in ihrem Dienst nicht müde werden.
Herr Gott, Heiliger Geist, wende gnädig schlimmeres Unheil von unserem Land und der Welt, begrenze allen Schaden für Schulen, Kultur, Wirtschaft und Politik. Leite die Wissenschaftler und lass alle hilfreiche Forschung gelingen.
Du Dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, wir danken dir, dass du uns deine Gnadengaben in deinem Wort, in Taufe, Beichte und Abendmahl bisher so reichlich hast austeilen lassen. Vergib, wo wir diese Gnadenmittel achtlos für selbstverständlich gehalten haben. Sei mit deiner Gegenwart bei allen Gottesdiensten und Andachten, die wir in dieser Zeit in unseren Häusern in deinem Namen halten, weil du uns ja darin suchst und zum ewigen Leben geleitest. Dies alles bitten wir um Christi willen. Amen.
Foto Kruzifix: © Martin-Luther-Gemeinde Göttingen | Pfarrer Michael Hüstebeck