Geh hin, mein Volk, in deine Kammer ...
Zweiter Brief an die Gemeinden
Auf ihrer videobasierten Sitzung am 26. März 2020 haben die Kirchenleitung und das Kollegium der Superintendenten der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die in diesen Tagen über die aktuellen Entwicklungen der Coronavirus-Krise berät. Diese Arbeitsgruppe hat im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise einen zweiten Brief der Kirchenleitung und des Kollegiums der Superintendenten an die Pfarrämter und Gemeinden und auch an Gäste der Gemeinden gerichtet, der am 4. April an alle Pfarrämter der SELK gegangen ist und auch an dieser Stelle dokumentiert wird.
Der erste Brief findet sich hier: selk.de/download/Coronavirus-Krise_Brief-21-03-2020.pdf
Geh hin, mein Volk, in deine Kammer und schließ die Tür hinter dir zu! Verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe. (Jesaja 26,20)
Liebe Gemeindeglieder der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, liebe Gäste der Gemeinden, liebe Leserinnen und Leser!
manchmal klingen Worte der Heiligen Schrift völlig überraschend neu. Es war am Sonntagmorgen vor einer Woche beim Hören der „Musikalischen Exequien“ von Heinrich Schütz. Da taucht, vom Alt gesungen, dieses Wort aus dem Propheten Jesaja auf. Das Gottesvolk wird aufgefordert, zu Hause zu bleiben, die Türe zu schließen, bis der Zorn vorübergehe. In dieser besonderen Karwoche können wir nun ganz anders mit den Israeliten fühlen, die im Exil saßen und meinten, von Gott verlassen zu sein.
Wir tun uns in Zeiten der Coronavirus-Krise schwer, von Gottes Zorn zu reden. Und wenn ich mir den Zorn Gottes vorzustellen versuche, dann stoße ich immer nur auf meinen Zorn über die Verhältnisse, die nicht so sind, wie ich sie mir vorstelle. Aber dass Gott zornig sein kann, das lehrt uns die Heilige Schrift an vielen Stellen.
Zugleich gilt auch: Der Zorn Gottes ist die der Sünde zugekehrte Seite der Liebe Gottes. Gott ruft uns durch sein Wort zur Buße, zur Umkehr von unseren eigenen falschen Wegen. Die Karwoche ist die Zeit des Kirchenjahres, solche Umkehr und Einkehr zu halten.
Liebe Schwestern und Brüder, Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die in diesen Tagen über die aktuellen Entwicklungen berät. Propst Burkhard Kurz, Kirchenrat Erik Braunreuther, Kirchenrat Florian Wonneberg und ich gehören dieser Arbeitsgruppe an. Wir sind dankbar über alle Entscheidungen, die jeweils vor Ort getroffen und für die vielen Initiativen, die in unseren Gemeinden gestartet wurden. Wir wenden uns heute mit den folgenden Punkten, die uns für unsere Kirche heute wichtig erscheinen, an Sie und euch:
1. Offene Kirche
Wenn Gemeinden ihre Kirche für das individuelle Gebet öffnen, sollten sie in geeigneter Weise auf das Abstandsgebot hinweisen. Wenn dessen Einhaltung nicht mehr garantiert werden kann, muss die Kirche geschlossen werden.
2. Aufzeichnung von Gottesdiensten
An Video- oder Tonaufzeichnungen von Gottesdiensten dürfen auch mehr als zwei Personen mitwirken. In einer Pressemeldung heißt es: „Trotzdem gehörten Gottesdienst und Gebet zur Grundversorgung der Bevölkerung, die auch in diesen Zeiten nicht wegzudenken sei. Deshalb seien die live übertragenen Gottesdienste für die Beteiligten zwingend notwendige Zusammenkünfte aus dienstlichen Gründen, an denen auch mehr als zwei Personen mitwirken dürften. Das gelte etwa für Pfarrer, Kirchenmusiker, Küster, Öffentlichkeitsbeauftragte sowie für andere an der Übertragung beteiligte Personen.“
Dennoch ist bei solchen Aufzeichnungen streng auf einen Abstand von zwei Metern zwischen den Beteiligten zu achten.
3. Abendmahlsfasten
Vereinzelt wurde auch im Kontext unserer Gemeinden die gegenwärtig in der kirchlichen Öffentlichkeit diskutierte Frage aufgegriffen, ob man das Heilige Abendmahl bei einer elektronischen Übertagung des Gottesdienstes an verschiedenen Orten feiern könne. Für uns als lutherische Kirche ist dies aus folgenden Gründen keine Möglichkeit:
- Dass uns durch „höhere Gewalt" – letzten Endes von Gott – nun ein Sakramentsfasten auferlegt ist, gehört zur Kreuzesgestalt der Existenz von Kirche und Christen. Diese Fastenübung fällt sehr vielen von uns schwer. Wir wollen diese aber gemeinsam tragen, um Menschen vor einer unter Umständen lebensbedrohlichen Erkrankung zu schützen.
- Das Sakrament gehört in die Mitte der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde. Auch beim Krankenabendmahlsfeiern ist eine, wenn auch kleine, Hausgemeinde persönlich versammelt.
- Eine Reihe praktischer Fragen sind problematisch:
Beim Abendmahl achtet der Pfarrer mit größter Sorgfalt darauf, welche Elemente an Brot und Wein konsekriert werden und welche nicht. Dafür könnte er aber in den Wohnzimmern bei einer elektronischen Übertragung nicht Sorge tragen.
- Das Reichen des gesegneten Brotes ist zugleich der Akt der Zulassung zum Sakrament durch den ordinierten, berufenen und eingeführten Pfarrer. Auch dies wäre bei einer elektronischen Übertragung nicht möglich. Auch für den Verzehr der übriggebliebenen Gaben trägt der Pfarrer Verantwortung.
- Der gewichtigste Grund aber ist, dass wir keine Gewissheit haben, ob eine solche Abendmahlspraxis dem Willen des Stifters, Jesus Christus, entspricht und ob wir deshalb gewiss sein könnten, Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit zu empfangen. Es ist ja nicht der Glaube der Kommunikanten und Empfänger des Abendmahles, der die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in, mit und unter Brot und Wein bewirkt. Der Glaube macht nicht das Abendmahl, er empfängt es. Vielmehr ist es die auftragsgemäße Handhabung des Abendmahls, die durch das Wort Gottes Gewissheit ermöglicht.
4. Gemeindeglieder ohne Internet
Noch einmal möchten wir Ihnen besonders die Menschen in unseren Gemeinden und in unserer Nachbarschaft anempfehlen, die in diesen Tagen besonders in der Gefahr der Vereinsamung stehen. Ein Grund dafür könnte sein, dass sie nicht mit dem Internet umgehen können. Ausgewählte und geeignete Mitarbeitende in den Gemeinden können gemeinsam mit den Pastoren regelmäßig telefonischen Kontakt zu diesen Menschen halten. Dazu können auch Telefonlisten mit dem Hinweis auf den datenschutzrechtlichen Umgang ausgegeben werden.
Auch den schriftlichen Kontakt zu diesen Gemeindegliedern sollten wir verstärkt suchen.
5. Technische Unterstützung
In wohl fast allen Gemeinden gibt es Gemeindeglieder, zum Beispiel Schüler und Studierende, die in diesen Tagen gerne bereit sind, technische Hilfe beim Einrichten von Videokonferenzen – zum Beispiel für notwendige Sitzungen des Kirchenvorstandes – zu leisten. Aus unserer Arbeitsgruppe ist KR Erik Braunreuther (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) als Ansprechpartner bereit, den örtlich Verantwortlichen Hilfestellung zu geben.
6. Trauerfeiern und Beerdigungen
Insbesondere den Pfarrern im aktiven Gemeindedienst empfehlen wir, die lokal sehr unterschiedlichen und sich ändernden Regelungen für Trauerfeiern und Beerdigungen im Blick zu behalten und sich hierbei nicht ausschließlich auf die Bestatter zu verlasen. Diese Regelungen können bei den Kommunen erfragt werden.
Wir sind positiv erstaunt und sehr dankbar, wie viele unterschiedliche Initiativen sich in unserer Kirche und in den Gemeinden regen. Professor Dr. Christoph Barnbrock führt eine Liste mit Verweisen und Links zu diesen Aktivitäten die über www.selk.de „Hilfen und Empfehlungen / Angebote in der Corona-Krise“ unter praxishilfen.selk.de abgerufen oder weitergegeben werden kann. Dabei ist besonders auch die Präambel dieses Papiers zu beachten.
Wenn der Prophet Jesaja prophezeit: „Geh hin, mein Volk, in deine Kammer und schließ die Tür hinter dir zu! Verbirg dich einen kleinen Augenblick, bis der Zorn vorübergehe“, dann steht dies im Jesaja-Buch in einem Zusammenhang mit der Auferstehungshoffnung. In Vers 19 lesen wir: „Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde!“ (Jesaja 26,19).
So gehen wir in diese ganz besondere Karwoche, halten Umkehr von unseren falschen Wegen und sind dabei in der Fürbitte verbunden. Damit bereiten wir uns auf das Osterfest vor, die Feier der Auferstehung unseres Erlösers Jesus Christus. Wir werden in diesem Jahr Ostern ganz anders feiern als sonst. Die Gewissheit der Auferstehung aber ist die gleiche.
Im Namen und Auftrag von Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten
ist Ihnen und euch die Arbeitsgruppe sehr herzlich verbunden
Ihre
Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.
Propst Burkhard Kurz
Kirchenrat Erik Braunreuther
Kirchenrat Florian Wonneberg