Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Und etliches fiel auf den Fels
Manche werden diesen Romanklassiker von Bo Giertz kennen – allerdings in einer Version ohne den letzten Teil des dritten Kapitels. Denn jetzt erst ist eine neue Ausgabe erschienen, die erstmals den vollständigen Text in deutscher Sprache vorlegt. Die Gründe, warum das letzte Kapitel in den 50er Jahren nicht in Gänze übersetzt wurde, scheinen nicht ganz geklärt zu sein.
Dass das Buch des langjährigen Bischofs der schwedischen Staatskirche in Göteborg nun wieder aufgelegt wurde und dazu sogar ein „neues Stück“ von Bo Giertz zu lesen ist, ist wahrlich ein Segen.
Im Mittelpunkt steht das kleine Dorf Ödesee in Mittelschweden, das im Laufe der Jahrzehnte verschiedene geistliche Aufbrüche erfährt, genauso erlebt es aber auch immer wieder den Niedergang der Gemeinde.
Drei Zeitabschnitte dieser Gemeinde beleuchtet Giertz in den drei Erzählungen: 1808 kommt der junge Hilfsgeistliche Savonius nach Ödesee und wird gleich ans Sterbebett eines Gemeindeglieds geschickt. Er weiß nicht, was von ihm erwartet wird, er weiß auf die Angst des Todkranken vor der ewigen Verdammnis nichts zu antworten. Er merkt, dass ihm das Rüstzeug fehlt, um wahren Trost zu spenden. Da kommt Katrina, die Schwester des Sterbenden, und an ihrem Zeugnis lernt Savonius, worauf es im Glauben wirklich ankommt. „Warum habe ich denn kein reines Herz bekommen?“ fragt der mit dem Tod Kämpfende. „Damit du lernst, Jesus zu lieben“, antwortet ihm Katrina. Diese Frau ist es, die ihren sterbenden Bruder – und den Hilfsprediger – zu Jesus führt, zu ihm, der alle Sünde auf sich genommen und dafür gesühnt hat.
Savonius geht als ein anderer aus diesem Sterbehaus weg, und er wird in und mit der Gemeinde noch so manche Lektion lernen.
Der zweite Teil setzt 70 Jahre später ein. Wieder wird ein neuer Hilfsprediger erwartet: Pastor Fridfeldt; der ist ein Kind der Erweckungsbewegung und sehr irritiert, als der alte Pfarrer ihn fragt, woran er denn glaube. „An Jesus natürlich!“ ruft der Hilfsprediger, „ich meine – ich meine, dass ich ihm mein Herz geschenkt habe!“ Die Antwort des Pfarrers verblüfft den jungen, eifrigen Pastor: „Meinst du, dass du ihm damit wirklich etwas Rechtes geschenkt hast?“ In den Auseinandersetzungen der unterschiedlichen Strömungen in der Gemeinde lernt Fridfeldt ganz allmählich zu unterscheiden zwischen Erweckung und Gesetzlichkeit. Auch er wird während seiner Zeit in Ödesee immer wieder auf die Mitte des Glaubens hingeführt, auf Jesus, den alleinigen Erlöser.
Der dritte Teil schließlich setzt im Frühjahr 1937 ein. Der junge Pastor Torvik ist nach Ödesee gekommen, nachdem der Hauptpastor, eine tragische Gestalt, ganz plötzlich verstorben war. Die Gemeinde ist so verwahrlost wie das Pfarrhaus, Torvik bald frustriert und überfordert. Aber auch ihm stellt Gott Helfer an die Seite, und auch wenn es oft nicht danach aussieht, ist Gott am Werk und leitet die Gemeinde.
Bo Giertz gelingt das wunderbare Kunststück, anhand der (Irr-)Wege einer Gemeinde lutherische Positionen zu erklären. Nein, nicht zu erklären, sondern darzustellen, so dass man sie unmittelbar versteht. Die Krisen der Gemeinde Ödesee sind im Grunde dieselben Krisen der Kirche heute. Wie schnell der Glaube verdunstet, wie leicht man vom rechten Kurs abkommt und in die Irre gerät: Das war in der Kirche immer so. In seinem Vorwort zu dem Buch schreibt der Hamburger Pastor Malte Detje: „Das ist ein düsterer Blick. Und doch liest sich dieses Buch so tröstlich wie kaum ein anderes. (…) Es ist diese Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch alle drei Abschnitte dieses Buches zieht: Wenn wir auch große Sünder sind, Jesus ist ein noch größerer Heiland.“
Bo Giertz
Und etliches fiel auf den Fels
SCM Hänssler Verlag 2023, 384 Seiten, 23,00 Euro
Jesus von Nazareth
Natürlich lag es an dem prominenten Autor, dass die drei Jesus-Bücher von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. sehr schnell zu Bestsellern wurden. Ein Papst, der ein Buch über Jesus schreibt, das erregte Aufsehen. Noch dazu, wenn er betont, dass er dies nicht als „lehramtlichen Akt“ verstanden wissen will, sondern einzig als „Ausdruck meines persönlichen Suchens ‚nach dem Angesicht des Herrn‘.“
Nun sind die drei Bände in einer günstigen, kartonierten Taschenbuchausgabe erschienen. Eine gute Gelegenheit also, sich auf dieses Suchen mitnehmen zu lassen. Weil es einen hineinzieht in die Welt des Glaubens, in die Beziehung zu Jesus. Weil der erfahrene Theologe Ratzinger so manches, was als scheinbar wissenschaftlich daherkommt, zurechtrückt. Weil er Jesus Jesus sein lässt – wahrer Mensch und wahrer Gott, das Zentrum unseres Glaubens.
Die Grundlage dieses Glaubens ist die Auferstehung Jesu Christi. Wie oft und wie leichtfertig wird dies heute selbst von Christen in Zweifel gezogen, wird behauptet, dass es für den Glauben nicht wichtig sei, ob das Grab wirklich leer war. Ist es nicht? „Der christliche Glaube steht und fällt mit der Wahrheit des Zeugnisses, dass Christus von den Toten auferstanden ist“, schreibt Ratzinger. Nehme man dies weg, sei der christliche Glaube tot. „Dann war Jesus eine religiöse Persönlichkeit, die gescheitert ist; die auch in ihrem Scheitern groß bleibt, uns zum Nachdenken zwingen kann. Aber er bleibt dann im rein Menschlichen, und seine Autorität reicht so weit, wie uns seine Botschaft einsichtig ist. Er ist kein Maßstab mehr; der Maßstab ist dann nur noch unser eigenes Urteil, das von seinem Erbe auswählt, was uns hilfreich erscheint. Und das bedeutet: Dann sind wir alleingelassen. Unser eigenes Urteil ist die letzte Instanz.“
Nun steigt Ratzinger in die biblischen Zeugnisse von der Auferstehung ein, stellt Zusammenhänge her, erklärt, ordnet ein. Es ist faszinierend, ihm dabei zu folgen, neue Aspekte zu erkennen, scheinbar Eindeutiges zu hinterfragen und danach klarer zu sehen.
Vom ersten Prolog-Band über die Kindheitsgeschichten Jesu, über den ersten Band, der die Zeit von der Taufe Jesu bis zu seiner Verklärung umfasst bis zum zweiten Band mit dem Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, folgt man so Ratzingers „Suchen ‚nach dem Angesicht des Herrn‘“. Das ist spannend, glaubensstärkend, tröstlich.
Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.
Jesus von Nazareth; 3 Bände
kartonierte Taschenausgabe, Herder Verlag 2023, 992 Seiten, 30,00 Euro
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