"Wer schweigt, scheint zuzustimmen" | 09.02.2024

Stellungnahme des leitenden Geistlichen der SELK
SELK: Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. äußert sich zu den Demonstrationen für Demokratie im Land

Hannover, 09.02.2024 – selk – „Wie bezieht die SELK Stellung zu den gegenwärtigen Demonstrationen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus im Land?“, so wurde ich in den vergangenen Wochen angefragt. Bisher habe ich gezögert, mich als Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) zu äußern, da die Unterscheidung zwischen Staat und Kirche nach Artikel 16 des Augsburger Bekenntnisses (CA) ein hohes Gut ist und Meinungsäußerungen in einem politischen Kontext durch die Kirchen nicht unproblematisch sind, wie umgekehrt auch.

„Wer schweigt, scheint zuzustimmen“, soll Papst Bonifatius VIII. im 13. Jahrhundert gesagt haben und er trifft damit einen wichtigen Punkt. Das Problem ist, dass die schweigende Zustimmung in der gegenwärtigen Situation im Land in zwei Richtungen zu deuten ist: einerseits als Zustimmung zu den politischen Demonstrationen im Land. Warum sollten wir Selbstverständliches wiederholen? hatte ich bisher gemeint. (Als Bürger dieses Landes merke ich an: Demonstrationen „gegen Rechts“, wie es mancherorts heißt, sind eine Verallgemeinerung, die die Polarisierung im Land weiter befeuert. Gegen Rechtsextremismus wende ich mich gleichwohl.) Anderseits kann schweigende Zustimmung aber auch missverstanden werden als Zustimmung zu den unsäglichen Überlegungen und Planungen jener Konferenz in Potsdam, die sich mit rechtsradikalen Fantasien über einen „Masterplan“ zur massenhaften „Remigration“ befasste.

Nach dem Augsburger Bekenntnis Artikel 28 ist es meine Aufgabe als Bischof, das Evangeliums zu verkündigen und Lehre zu beurteilen und Lehre (nicht Menschen!), die dem Evangelium entgegen ist, zu verwerfen. In diesem Zusammenhang sage ich in aller Klarheit: Gedankenspiele und Planungen der zwangsweisen Umsiedlung von Menschen in Verbindung mit rassistischem Gedankengut sind mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar!

Ich weiß mich hierin eins mit unserer Schwesterkirche in den USA auch wenn die Verhältnisse dort und hier nur teilweise vergleichbar sind. Vor einem Jahr, am 21. Februar 2023 veröffentlichte die Kirchenleitung der Lutherischen Kirche Missouri Synode (LCMS) ein Statement, in dem es gleich eingangs heißt: „Die Lutherische Kirche-Missouri-Synode, ihr Präsident, ihre Vizepräsidenten und alle 35 Distriktspräsidenten sowie ihr Ministerium und ihre Gemeinden lehnen die schrecklichen und rassistischen Lehren der so genannten ‚Alt-Right‘ in ihrer Gesamtheit kategorisch ab (einschließlich weißer Vorherrschaft, Nationalsozialismus, …).“ President Harrison denounces disturbing ideologies (lcms.org)

Dass in Deutschland nun eine breite Mehrheit für Demokratie und gegen Rechtsradikalismus und fehlende Distanzierung von nationalsozialistischem Gedankengut auf die Straße geht, stärkt die Demokratie im Land. Kein Zweifel, dass die SELK hier in Deutschland ungehindert ihr kirchliches Leben entfalten kann, verdanken wir nächst der Gnade Gottes den demokratischen Grundsätzen in unserem Land. Mir ist keine Diktatur oder ein autoritäres Regime bekannt, in dem Religions- und Meinungsfreiheit herrschen.

Zugleich nehme ich einen gewissen Widerspruch wahr, wenn die Regierung unseres Landes ziemlich zeitgleich am 18. Januar 2024 ein Gesetz mit dem vielsagenden Titel „Rückführungsverbesserungsgesetz“ verabschiedet. Geflüchtete Menschen werden nun in Zukunft erst nach 3 Jahren statt nach 18 Monaten Sozialleistungen beziehen, die das Existenzminimum absichern. Dies betrifft nun auch SELK-Gemeindeglieder. Keineswegs will ich das eine mit dem anderen vergleichen. Dieses Gesetz ist für mich aber Ausdruck dafür, dass die Stimmung im Land gegenüber Flüchtlingen trotz der Demonstrationen nicht wirklich gut ist. Zu dieser Wahrhaftigkeit gehört auch, dass die Aufnahme von Flüchtlingen und deren Integration auch in Deutschland Grenzen hat.

Für die lutherische Kirche gilt grundsätzlich eine Unterscheidung zwischen Staat und Kirche nach dem oben angeführten Artikel 16 der CA. Wenn es aber um die christliche Zuwendung und Hilfe für Menschen geht, die Hilfe brauchen, ruft Christus die Kirche zu diakonischem Handeln für Kranke, auch in den Krankenhäusern, für Verfolgte und besonders verfolgte Glaubensgeschwister, Arme in unserem Land und in den Krisengebieten dieser Erde, Schwache und Angefochtene. Dies hat immer auch eine politische Dimension. Die daraus entstehende Spannung ist nicht aufzulösen.

Hans-Jörg Voigt D.D.

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