Volker Stolle über altlutherische Schule(n) | 09.01.2017
Selbst erlebt, wie ihre Schule den Zusammenhalt der Gemeinde förderte
SELK: Stolle mit Vortrag über altlutherische Schule in Radevormwald
9.1.2017 - selk - "Sich seiner Wurzeln zu erinnern trägt zum Verständnis selbst erlebter Situationen bei." - Dieses Zitat aus dem Vorwort seines neuen Buches "Lutherische Schulen von 1835 bis 1940" bestätigte sich Prof. i.R. Dr. Volker Stolle (Mannheim) bei einem Vortrag am vergangenen Samstag im Seniorentreff der Martini-Gemeinde der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Radevormwald. Als Bilder gezeigt wurden, erkannten sich einige um die 90 Jahre alten Besucher in ihren Kindergesichtern wieder, anderen nickten, weil sie die Gemeindeschule von den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern kannten.
Drei Jahre nach der Gemeindegründung erhielt die Martini-Gemeinde 1855 die Genehmigung für die Gründung einer eigenen öffentlichen Schule, die ein Jahr später mit 90 Schülern als zweiklassige Schule eröffnet wurde. Zeitweise waren bis 140 Schüler eingetragen, sodass der Unterricht aus Mangel an Lehrern in zwei Schichten vormittags und nachmittags erteilt wurde. 1890 fing Hieronymus Paulig als Lehrer an, dessen Urenkel Guido Paulig extra aus dem Westerwald zum Vortrag von Stolle angereist war. Er hat zusammen mit seiner in Radevormwald lebenden Mutter Jutta dem Autor viele Quellen zur Verfügung gestellt. Den Grabstein des Lehrers Paulig findet man immer noch auf dem Friedhof der Martini-Gemeinde und seine Ernennungsurkunde im Buch von Volker Stolle. In diesem Werk kann man den Lehrer außerdem während seiner Arbeit, im Kreise seiner Schülerinnen und Schüler, sehen.
Ein anderer Schüler, Ernst Ludwig Buschhaus, erinnert sich 1934 an seine Schulzeit unter dem strengen, aber frommen Lehrer Johann Gottlob Knöfel: "Ein Nachbarsjunge, Hermann Knopf, kam mit mir in die Schule, einen anderen Schüler kannte ich nicht. Den ersten Nachmittag bekam er Kopfschmerzen und ein älterer Bruder von ihm durfte ihn nach Hause bringen. Kaum waren diese aus der Tür, da schrie ich los: ,Ek well ok heime, ek well ok heime.' Nach meiner Meinung damals war es kaltherzig, wenn der Lehrer dann kurz und bündig sagte, nein, du musst hier bleiben. Ein anderes Mal wurde gesungen und der Lehrer spielte dazu die Geige: Es kehrt der Frühling mit lachendem Blick verjüngend und schaffend zur Erde zurück . Ich hatte nie eine Geige gehört, auch nie so in einem vollen Chore singen hören, dazu diese muntere taktvolle Melodie, alles dieses hatte es mir angetan, ich sprang auf meine Füße, taktmäßig zum fröhlichen Gesang. Doch diese Begeisterung sollte nicht lange währen, der Lehrer verstand das falsch, der Geigenstock tanzte schnell auf meinem Kopfe und ein Wehrmutstropfen fiel in meine Freude, es tat sehr weh." (Zitat aus einer Einlage zur Schulchronik).
Aus dem gut sortierten Archiv der Martini-Gemeinde geht auch hervor, dass die Schule 1939 auf Anordnung der Nationalsozialisten zugunsten einer "Deutschen Schule" geschlossen werden musste. Dieses Schicksal erlebten alle Konfessionsschulen.
Zu einer Neugründung kam es wegen der Währungsreform nie. Der Rader Gemeinde fehlten die finanziellen Mittel, um nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Schule aufzubauen.
Die ehemalige altlutherische Kirche hatte insgesamt über 40 eigene Gemeindeschulen, so zum Beispiel in Berlin (Annenstraße), Stettin, Weigersdorf, Erfurt und Waldenburg. Lutherische Schulen sollten dazu dienen, der nachwachsenden Generation schon frühzeitig die christliche Botschaft, die eigene kirchliche Tradition, die grundlegenden Glaubensinformationen und christliche Lebensformen nahezubringen. Die Martini-Gemeinde hat es selbst erlebt, wie ihre Schule den Zusammenhalt der Gemeinde förderte.
Mit der Erforschung des Schulwesens der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen (Altlutheraner) hat Volker Stolle, emeritierter Professor der Lutherischen Theologischen Hochschule der SELK in Oberursel, Neuland betreten und einen hervorragenden Beitrag zur geschichtlichen Entwicklung der altlutherischen Kirche gegeben, die 1972 (alte Bundesländer) und 1990/91 (neue Bundesländer) in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche" (SELK) aufging.
"Lutherische Schulen von 1835 bis 1940. Das Schulwesen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen (Altlutheraner)" ist im SELK-Kooperationsverlag Edition Ruprecht (Göttingen) als Band 19 der Reihe "Oberurseler Hefte Ergänzungsbände" erschienen, hat 362 Seiten, enthält 43 Abbildungen und kostet 74 Euro.
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