200 Jahre „Kabinettsordre“ Friedrich Wilhelms III. | 27.09.2017
Stellungnahme: 200 Jahre „Kabinettsordre“ Friedrich Wilhelms III.
Genau am heutigen 27. September 2017 jährt sich zum 200. Mal der Erlass der „Kabinettsordre“ durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III., die am Anfang eines notvollen Weges der Kirchwerdung selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in den damaligen preußischen Landen stand. Für die Entstehung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist dieses Datum von zentraler Bedeutung. Dies gilt auch für die lutherischen Bekenntniskirchen in den anderen deutschen Ländern, deren Gründung in letzter Konsequenz eine Reaktion auf die rigide preußische Religionspolitik war. Alle diese Kirchen gehören zu den Vorgängerkirchen der 1972 gebildeten SELK. SELK-Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover) greift das historische Datum in einer Stellungnahme auf.
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I. Es ist mein Anliegen, den Tag nicht unbemerkt vorübergehen zu lassen, sondern mit dieser Stellungnahme darauf aufmerksam zu machen. Grund zum Feiern gibt es für uns nicht, denn der 27. September 1817 ist der historische Ausgangspunkt für die Unterdrückung lutherischer Gemeinden und ihrer Pfarrer in Preußen. Dieser Tag ist der Ausgangspunkt für Flüchtlingsbewegungen lutherischer Familien zum Beispiel nach Nordamerika oder Australien, die dort lutherische Kirchen gründeten, die heute zu den Schwesterkirchen der SELK zählen.
Wenn kein geringerer als Dr. Martin Luther 1529 in Marburg am Ende der Einigungsgespräche zu Huldrych Zwingli wegen dessen symbolischen Abendmahlsverständnisses mit großem Bedauern sagen muss: „Ihr habt einen anderen Geist!“, so nennt König Friedrich Wilhelm III. in seiner Kabinettsordre dies einen „damaligen unglücklichen Sekten-Geist“, der in der Person Luthers eben „unüberwindliche Schwierigkeiten fand“. Die lutherische und die reformierte Kirche sieht der König dreihundert Jahre später als „nur noch durch äußere Unterschiede getrennte(n), protestantische(n) Kirchen“. Damit beginnt die Marginalisierung der lutherischen Kirche zunächst in Preußen.
Am 27. September 1817 meint der König noch: „Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgeht, und sie nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen, nach ächt biblischen Grundsätzen, ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat.“ Davon rückt Friedrich Wilhelm III. später ab und gibt 1830 einen „Erlass“ zur Einführung der von ihm selbst verfassten Unionsagende, in der reformierter und lutherischer Gottesdienst zusammengeführt werden.
Eine regelrechte Verfolgung nimmt ihren Anfang: Schlesische Gemeinden erinnern sich an die Verfolgung durch die Habsburger, die damals kaum 100 Jahre zurücklag. So wussten sie noch, was zu tun war und gingen zum Gottesdienst wieder in den Wald. Gemeinden im damaligen Pommern und in den Rheinprovinzen folgten ihrem Beispiel. Es gab Zeiten, in denen dort alle lutherischen Pfarrer im Gefängnis saßen.
Ich möchte an diese Leidensbereitschaft und an den Glaubensmut der Mütter und Väter unserer Kirche erinnern. Sie waren bereit, sich intensiv mit Glaubensfragen zu beschäftigen, ihnen war das Heilige Abendmahl so wichtig, dass sie unter keinen Umständen auf die Gewissheit von Leib und Blut Christi in Brot und Wein verzichten wollten. Sie waren bereit, nach der Legalisierung der lutherischen Kirche ab 1845 weiterhin zu landeskirchlichen Kirchensteuern verpflichtet zu sein und zusätzlich mit eigenen Kirchenbeiträgen zum Bau neuer lutherischer Kirchen und Pfarrhäuser beizutragen sowie für die Zahlung von Pfarrergehältern zu sorgen. Diese Opferbereitschaft in karger Zeit ist beispielhaft. Von dieser Opferbereitschaft lebt unsere Kirche bis heute.
II. Es ist wertvoll, diese Erinnerungen zu bewahren und wachzuhalten. Zugleich ist es für unsere Kirche auch wichtig, nicht in einer Opferrolle zu verharren. So haben wir in den vergangenen Jahren mit der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Dialog geführt, in dem wir erstmals seit 200 Jahren diese unsere gemeinsame Geschichte betrachtet haben. Ein „Gemeinsames Wort“ und ein „Brief an die Gemeinden“ sind erarbeitet worden, die sich derzeit noch auf dem Weg der Verabschiedung befinden. Beide Papiere sollen in einem ökumenischen Buß- und Dankgottesdienst am Buß- und Bettag, 22. November, in Berlin unterzeichnet und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In diesen Papieren werden bleibende Unterschiede zwischen unseren Kirchen klar benannt, aber auch gemeinsame Blickpunkte dankbar ausgesprochen.
Ausgangspunkt dieser Gespräche war eine sehr bewegende Predigt von Franz-Reinhold Hildebrandt, damals Leiter der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (EKU), die dieser vor 50 Jahren (1967) gehalten hat. In dieser Predigt heißt es: „Mit Kolbenstößen von Soldaten, gewaltsamem Öffnen von Kirchentüren und Verhaftungen von Pfarrern, wie dies damals geschah, lud unsere Kirche eine Schuld auf sich, die noch heute nachwirkt. Damals sind viele Familien aus ihrer Heimat nach Australien und Nordamerika ausgewandert, um ihren lutherischen Glauben rein zu bewahren, den sie in der Union gefährdet sahen. Und wenn Schuld allein durch Vergebung bedeckt werden kann, so wollen wir diesen Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne unsere altlutherischen Brüder um solche Vergebung zu bitten.“
Wir Heutigen stehen in einer bleibenden Verantwortung für unsere Geschichte. Weil wir am Segen unserer Kirche teilhaben, tragen wir auch bleibende Verantwortung für das Leid und die Schuld der Geschichte. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, menschliche Vergebung auszusprechen, selbst zu erbitten und zu gewähren.
So erfüllt mich der heutige Tag einerseits mit trauriger Erinnerung und tiefem Respekt vor dem Leid der Mütter und Väter unserer Kirche. Anderseits aber bin ich erfüllt mit großer Dankbarkeit für die lutherische Kirche, in die ich hineingetauft bin, die SELK. Ich bin erfüllt mit Dankbarkeit für die tiefgehenden respektvollen Gespräche mit der UEK, die beiden Kirchen ermöglichen werden, einander in Zukunft anders wahrzunehmen als bisher.
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Dokumentation:
Kabinettsordre Friedrich Wilhelm III. vom 27.9.1817
„Schon Meine, in Gott ruhende erleuchtete, Vorfahren, der Kurfürst Johann Sigismund, der Kurfürst Georg Wilhelm, der große Kurfürst, König Friedrich 1. und König Friedrich Wilhelm 1. haben, wie die Geschichte ihrer Regierung und ihres Lebens beweiset, mit frommem Ernst es sich angelegen sein lassen, die beiden getrennten protestantischen Kirchen, die reformirte und lutherische, zu Einer evangelisch christlichen in Ihrem Lande zu vereinigen. Ihr Andenken und Ihre heilsame Absicht ehrend, schließe Ich Mich gerne an Sie an, und wünsche ein Gott gefälliges Werk, welches in dem damaligen unglücklichen Sekten-Geiste unüberwindliche Schwierigkeiten fand, unter dem Einflusse eines besseren Geistes, welcher das Außerwesentliche beseitigt und die Hauptsache im Christenthum, worin beide Confessionen Eins sind, festhält, zur Ehre Gottes und zum Heil der christlichen Kirche, in Meinen Staaten zu Stande gebracht und bei der bevorstehenden Säcular-Feier der Reformation damit den Anfang gemacht zu sehen! Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten, protestantischen Kirchen ist den großen Zwecken des Christenthums gemäß; sie entspricht den ersten Absichten der Reformatoren; sie liegt im Geiste des Protestantismus; sie befördert den kirchlichen Sinn; sie ist heilsam der häuslichen Frömmigkeit; sie wird die Quelle vieler nützlichen, oft nur durch den Unterschied der Confession bisher gehemmten Verbesserungen in Kirchen und Schulen.
Dieser heilsamen, schon so lange und auch jetzt wieder so laut gewünschten und so oft vergeblich versuchten Vereinigung, in welcher die reformirte Kirche nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergehet, sondern beide Eine neubelebte, evangelische christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden, steht kein in der Natur der Sache liegendes Hinderniß mehr entgegen, sobald beide Theile nur ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinne sie wollen, und von diesem erzeugt, würde sie würdig den Dank aussprechen, welchen wir der göttlichen Vorsehung für den unschätzbaren Segen der Reformation schuldig sind, und das Andenken ihrer großen Stifter, in der Fortsetzung ihres unsterblichen Werks, durch die That ehren.
Aber so sehr Ich wünschen muß, daß die reformirte und lutherische Kirche in Meinen Staaten diese Meine wohlgeprüfte Ueberzeugung mit mir theilen möge, so weit bin Ich, ihre Rechte und Freiheit achtend, davon entfernt, sie aufdringen und in dieser Angelegenheit etwas verfügen und bestimmen zu wollen. Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgeht, und sie nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen, nach ächt biblischen Grundsätzen, ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat.
So wie Ich Selbst in diesem Geiste das bevorstehende Säcularfest der Reformation, in der Vereinigung der bisherigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam zu Einer evangelisch christlichen Gemeine feiern, und mit derselben das h. Abendmahl genießen werde: so hoffe Ich, daß dies Mein Eigenes Beispiel wohlthuend auf alle protestantischen Gemeinen in Meinem Lande wirken, und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden möge. Der weisen Leitung der Consistorien, dem frommen Eifer der Geistlichen und ihrer Synoden überlasse Ich die äußere übereinstimmende Form der Vereinigung, überzeugt, daß die Gemeinen in ächt christlichem Sinne dem gerne folgen werden, und daß überall, wo der Blick nur ernst und aufrichtig, ohne alle unlautere Neben-Absichten auf das Wesentliche und die große heilige Sache selbst gerichtet ist, auch leicht die Form sich finden, und so das Aeußere aus dem Innern, einfach, würdevoll, und wahr von selbst hervorgehen wird. Möchte der verheißene Zeitpunkt nicht mehr ferne sein, wo unter Einem gemeinschaftlichen Hirten Alles in Einem Glauben, in Einer Liebe und in Einer Hoffnung sich zu Einer Heerde bilden wird!
Potsdam, den 27. Septbr. 1817.
Friedrich Wilhelm.
An die Consistorien, Synoden und Superintendenturen.“
(Quelle: Klän, Werner / Da Silva, Gilberto (Hrsg.), Quellen zur Geschichte selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in Deutschland. Dokumente aus dem Bereich konkordienlutherischer Kirchen, 2. Auflage, Oberurseler Hefte Ergänzungsband 6, Göttingen 2010, S. 33f)
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Ein Beitrag von selk_news /
Redaktion: SELK-Gesamtkirche /
Verfasser: Bischof Hans-Jörg Voigt D.D., Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
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