Allgemeiner Pfarrkonvent (7) | 09.11.2017
Veränderte Bedingungen für Kirche und Gemeinden
SELK: Allgemeiner Pfarrkonvent hört Hauptreferat
Rehe, 9.11.2017 – selk – Das Hauptreferat auf dem 13. Allgemeinen Pfarrkonvent der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) zum Thema „Veränderte gesellschaftliche Bedingungen für Kirche im 21. Jahrhundert, besonders für die Pfarramtsarbeit – Analyse und Ermutigung“ hielt am gestrigen Mittwoch Dr. Malte Detje, evangelischer Pfarrer im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg.
Er habe noch etwas über 36 Jahre vor sich bis zu seinem Ruhestand, begann der Referent seine Ausführungen, „viel zu lang, als dass es mir egal sein könnte, wie es mit der Kirche weiter geht.“ Dass sich etwas ändern müsse, zeige allein ein Blick auf die Altersstruktur in den meisten Gemeinden.
Die drei Wege allerdings, die die evangelische Kirche einschlage, um daran etwas zu ändern, seien eher frustrierend. Der erste Weg sei der in die liberale Theologie, der Kirche höchstens noch als Kulturträger, als sozialen Player oder allenfalls als Institution für Sinnstiftung verstanden haben wolle. Der zweite Weg sei der „evangelikale“ Weg; viele junge Pfarrer, die diesen Weg gehen wollten, seien „fromm“, aber eben gerade nicht im konfessionell-reformatorischen Sinn. Lobpreis statt liturgische Messform im Gottesdienst, Fokussierung auf Erlebnisqualität und Lebenspraxis stünden im Vordergrund. Auf den ersten Blick sei das zwar für Menschen heute leichter zugänglich, aber gleichzeitig eben „geistlich ungesund“. Der dritte Weg schließlich sei der des Rückzugs: „180°-Kehrtwende und dann Augen zu und durch“.
Detje entfaltete die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Arbeit im Pfarramt nachhaltig beeinflussen. Als erstes nannte er die Säkularisierung und verglich diese Entwicklung mit der Möblierung eines Wohnzimmers. Während man früher nur die Möbel habe umstellen müssen, weil die Menschen anknüpfen konnten an gemeinsame Vorstellungen von Regeln, verbunden mit den zehn Geboten, und mindestens eine Ahnung davon gehabt hätten, dass es mit Jesus Großes auf sich habe, seien heute die Möbel gar nicht mehr da! Die klassischen Methoden, über den Glauben zu reden, würden daher auch nicht mehr funktionieren. Wenn aber das „mentale Wohnzimmer leer ist“, müsse sich die Predigt entsprechend anpassen.
Als weitere bedeutsame Veränderung nannte Detje die „Ausdifferenzierung der Gesellschaft“. Systeme wie Religion, Bildung, Wirtschaft und Wissenschaft entwickelten in der Gesellschaft Eigendynamiken, die sich auch widersprechen könnten. „Heute geht zusammen, was früher ein Widerspruch war, und die Menschen leben mit diesen Widersprüchen.“ Das betreffe auch die Gemeinden. Es sei durchaus möglich, im „System Gemeinde“ einerseits die lutherischen Dogmen zu bejahen und gleichzeitig sein Leben nach Spielregeln zu leben, die man in anderen Funktionssystemen gelernt habe. Detje veranschaulichte das mit einem Wasserspiegel: Über der Wasseroberfläche sind der christliche Glaube, christliche Werte angesiedelt, darunter die Spielregeln und Glaubenssätze aus anderen Funktionssystemen, wie beispielsweise „Jeder muss seine eigene Wahrheit finden“ oder „Ich folge dem, was funktioniert“. Dabei habe das, was unter der Oberfläche sei, die Tendenz, das, was oberhalb sei, zu schlucken. Diese Glaubenssätze unterhalb der Oberfläche sichtbar zu machen, sie an die Oberfläche zu holen und sie vom christlichen Dogma her zu hinterfragen und mit dem Evangelium zu verbinden – darum gehe es in der Verkündigung.
Als dritte veränderte gesellschaftliche Bedingung nannte der Referent die Veränderungsprozesse, die in großer Geschwindigkeit neue Anpassungen erforderten. Für Pfarrer in ihrer Leitungsfunktion erfordere das ein Grundverständnis dieser Prozesse. Detje, der zum Thema „Führen und Leiten in der Kirchengemeinde im 21. Jahrhundert“ seine Dissertation an der Universität Greifswald geschrieben hat, deutete an, wie in Gemeinden eine „kreative Spannung zwischen Vision und Wirklichkeit“ erzeugt werden könne. Es gelte, in der Gemeinde eine Kultur zu schaffen, in der alle Sichtweisen auf den Tisch kommen. Pointiert formulierte er, man sollte doch im Kirchenvorstand einstimmige Entscheidungen abschaffen. Detje regte die Fantasie der Konventualen an mit der Aussage, in einer Gemeinde gebe es normalerweise nicht nur eine Kirchenvorstandssitzung im Monat, sondern mindestens vier: eine, während sie vorbereitet werde (unter anderen auch durch vorhergehende Absprachen), eine im Nachhin ein, eine im eigenen Kopf parallel verlaufende und schließlich die eigentliche Sitzung. „Je mehr diese Sitzungen auseinanderklaffen, desto schwieriger wird es“, so der Referent.
Ein Pfarrer müsse nicht der große Veränderungsmotor in einer Gemeinde werden, sagte Detje, aber eine Gemeinde müsse befähigt werden, mit Veränderungen umzugehen. „Eine veränderungsfreudige Gemeinde, die gleichzeitig treu an Bibel und Bekenntnis festhält – davon träume ich“, sagte der Referent abschließend; das könne für die Kirche im 21. Jahrhundert ein möglicher − vierter − Weg sein.
Über die frischen und engagierten Ausführungen wurde anschließend in Gesprächsgruppen diskutiert, ehe der Referent mit herzlichem Dank verabschiedet wurde.
Der 13. Allgemeine Pfarrkonvent im Christlichen Gästezentrum Westerwald in Rehe war am Montag eröffnet worden. Er endet am morgigen Freitag zur Mittagszeit.
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Ein Bericht von selk_news /
Redaktion: SELK-Gesamtkirche /
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