Prof. da Silva gestaltet Ringvorlesungsabend an LThH | 10.12.2021
Die Perspektive des Gegenübers einnehmen
Prof. da Silva gestaltet Ringvorlesungsabend an SELK-Hochschule
Oberursel, 10.12.2021 - selk - Der Inhaber des Lehrstuhls für Historische Theologie an der Lutherischen Theologischen Hochschule Oberursel (LThH) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Prof. Dr. Gilberto da Silva, gestaltete gestern den dritten Abend der diesjährigen Ringvorlesung, die unter dem Oberthema "Jenseits der einfachen Antworten - Polarisierungen überwinden" steht.
Dabei rückte er eine "perspektivische Hermeneutik" eines Zeitgenossen Martin Luthers, Bartolomé de Las Casas (1484-1566), in den Fokus, der sich im Kontext Lateinamerikas bemüht hat, den Gesprächspartner nicht vom eigenen Standpunkt her zu verstehen, sondern aus dessen Perspektive.
Gegenüber der damaligen Mainstream-Meinung, nach der die Indios als götzendienerische Menschenschlachter und -fresser wahrgenommen wurden, die für die Ehre Gottes und Spaniens sowie zum Besten der Indios selbst erobert und zivilisiert werden müssten, vertrat Las Casas eine für die damalige Zeit überraschend andere Position. Dabei ging er aus von der Gleichheit aller
Menschen: "Alle Völker der Welt bestehen ja aus Menschen, und für alle Menschen und jeden einzelnen gibt es nur eine Definition, und diese ist, dass sie vernunftbegabte Lebewesen sind; alle haben eigenen Verstand und Willen und Entscheidungsfreiheit, weil sie nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind."
Die Praxis des Menschenopfers legitimierte der Dominikaner zwar nicht, erkannte in ihr aber nicht bloß eine Verirrung, sondern entdeckte, dass die Indios nichts anderes als das Logischste und Frömmste aus ihrer Weltsicht taten, indem sie Gott (beziehungsweise das, was sie für Gott hielten) mit dem Kostbarsten dieser Welt anbeteten, nämlich durch das Opfer des menschlichen Lebens.
Daraus ergebe sich als Leitmaxime: Bei der Betrachtung und Beurteilung des Gegenübers solle man nicht bei der einfachen Tat, sondern bei der Motivation des Handelns ansetzen. Und so kommt Las Casas zu der Einschätzung: "Die Indios opfern ihren Göttern unter der Absicht und der stillschweigenden Voraussetzung, sie opfern alles dem wahren Gott. Denn die Heiden suchen mit ihrem natürlichen, wenn auch verwirrten Menschenverstand immer den wahren Gott. Wenn sie ihn aber nicht für den wahren Gott gehalten hätten, hätten sie ihm auch nicht geopfert."
Nur von einem Verstehen des Gegenübers von seinen eigenen Voraussetzungen her könne die Christianisierung als "sanfte Einladung des Evangeliums" erfolgen. Dabei kann dann bei Las Casas gerade das Handeln der vermeintlich frommen Eroberer selbstkritisch als Götzendienst mit dem Gott "Reichtum, Macht und Ruhm" in den Blick geraten.
Den Ertrag der Las Casas'schen Überlegungen für die Gegenwart fasste der Referent folgendermaßen zusammen: "Auf den Menschen hinter dem Wort, auf den Menschen hinter der Tat zu schauen, seine eigene Logik zu verstehen, von seiner Perspektive aus das Geschehene zu betrachten zu versuchen, von der Tat zur Person die Aufmerksamkeit zu lenken und darin das Positive zu suchen, würde vielleicht manche Polarisierung überwinden beziehungsweise vermeiden."
Im Vortrag und der sich daran anschließenden Aussprache wurde allerdings auch deutlich, dass Las Casas selbst seine Überlegungen nur bedingt realisiert hat, was sich insbesondere in der scharfen Kritik an seinen kirchlichen Gegnern gezeigt habe. Auch Überlegungen, wie die römisch-katholischer Theologie entspringenden Gedanken für lutherische Theologie transformiert werden könnten, wurden an dieser Stelle ausgetauscht.
Der Vortragsabend fand erneut komplett im digitalen Raum statt. Der nächste Abend der Ringvorlesung ist für den 20. Januar, dann erneut um 19.30 Uhr, geplant. Diesen Abend wird die neue Bürgermeisterin der Stadt Oberursel, Antje Runge, gestalten. Thematisch wird es dabei um "Diversitätsorientierte Teilhabe und wertschätzende Kommunikation" gehen. In der Veranstaltung soll es darum gehen, wie Diversitätskonzepte und eine wertschätzende Kommunikation den Zusammenhalt in der Bevölkerung stärken können. Dazu gehören das Einbeziehen verschiedener Interessen und Lebensstile ohne Ausschlüsse, transparente Informationen sowie ein breites Spektrum von Fakten und Meinungen. Es wird auch für diesen Abend die Möglichkeit geben, im Rahmen einer Videokonferenz teilzunehmen. Zugangsdaten können angefordert werden unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
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