Pilgerreise zu Passionsspielen in Oberammergau | 01.07.2022
Pilgerreise zu den 42. Passionsspielen Oberammergau
SELK-Gruppe fasziniert und tief beeindruckt vom Passionstheater
Oberammergau, 1.7.2022 - selk - Es ist überbordend, es ist großes Theater, ein sinnliches und zugleich tiefsinniges Erlebnis. Mit fünf Stunden Spieldauer erschöpfend lang, aber mit der dreistündigen Spielpause zu verkraften - und gleich vorweg: Ja, dieses grandiose Theaterspiel macht einen bewegenden, tiefen Eindruck. Darin waren sich die 21 Besucherinnen und Besucher aus verschiedenen Gemeinden der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) am Ende auch einig: Es hat sich gelohnt!
Die Gruppe besuchte im Rahmen einer fünftägigen Pilgerreise unter Leitung von SELK-Pfarrer i.R. Johannes Dress (Bad Bevensen) am vergangenen Freitag, 24. Juni, die Aufführung im Passionstheater Oberammergau. Eingebettet war dieser Besuch in Gottesdienste, spirituelle Vorträge und meditative Wanderungen, um die Wucht des Spiels geistlich zu begleiten. Gesprächsrunden in der Gruppe vertieften das Erlebte.
Das Passionsspiel entfaltet sich in 12 Akten mit Szenen des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu sowie Episoden aus dem Leben Jesu, vor allem seine Auseinandersetzung mit der jüdischen Gesetzesreligion. Eingebettet werden diese Szenen in "lebende Bilder" mit Darstellungen aus dem Alten Testament, die Bezüge zum Passionsgeschehen herstellen. Wie eingefroren verharren die Darstellerinnen und Darsteller. Die Bilder zeigen etwa Isaaks Opferung, den Durchzug durchs Rote Meer oder die Verspottung des Hiob. Am eindrücklichsten ist die riesige eherne, rotglitzernde Schlange, die sich um Moses Kreuz windet.
Die Passionsgeschichte selbst nimmt den größten Raum ein: Von seinem Einzug nach Jerusalem, der Gefangennahme und dem Verhör bis zu Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Das Spiel zeigt sie so, dass man ins Nachdenken und Staunen kommt. Dabei gibt es mehr zu schauen, als die Augen bewältigen können: Bei den Massenszenen stehen bis zu 800 darstellende und musizierende Personen auf der Bühne, Kinder flitzen herum, und inmitten all des Gewimmels finden auch noch Schafe, Ziegen, Tauben und Kamele Platz. Statthalter Pontius Pilatus reitet auf einem prächtigen Pferd ein, die römischen Soldaten marschieren mit Brustpanzer, Helmen und Lanzen über die Bühne, der Hohe Rat trägt Festgewänder.
Bemerkenswert ist die hohe Gesangsqualität der Gesangssolostimmen und des Volkschors. Man käme nicht auf die Idee, dass hier größtenteils keine Berufsmusizierenden, sondern Laien am Werk sind. Die Musik, ursprünglich aus dem 18. Jahrhundert, ist nicht nur untermalendes, sondern handlungstragendes Element wie bei einem Oratorium. Bach und Händel klingen hier an, manchmal auch ein wenig Mozart. Markus Zwink, musikalischer Leiter der Passion, hat sie noch einmal überarbeitet und ergänzt.
In seiner mittlerweile vierten Inszenierung hat Spielleiter Christian Stückl auch dieses Mal zahlreiche Veränderungen am Grundtext des 19. Jahrhunderts vorgenommen. Er bleibt dabei aber recht nah an der Bibel. Es fällt auf, wie Stückl jede Darstellerin und jeden Darsteller auf der übergroßen Bühne an den Platz stellt, der ihm die beste Geltung verschafft. Und die großen Volksszenen sind ohnehin eine exakt austarierte Choreografie der Masse.
Mehrere hundert Menschen gleichzeitig bevölkern die Bühne und schreien, aufgestachelt von der Hohen Priesterschaft, ihr "Kreuzigt ihn", während eine andere Gruppe sich als Fürsprecherin Jesu Gehör zu verschaffen versucht.
Im Mittelpunkt steht ein kämpferischer, streitbarer Jesus, der seine Jünger und das Volk, vor allem aber den Hohen Rat zu Barmherzigkeit, Genügsamkeit und Verantwortung für die Schwachen auffordert und ihnen darin ein Leitbild geben will. Bereits in der letzten Passion hatte Christian Stückl die antisemitischen Anspielungen aus dem Text gestrichen und er zeigt Jesus auch dieses Mal in einer eindringlichen Szene als Juden, der im Tempel die Thora enthüllt und "Sch'ma Israel", das wichtigste Gebet der Juden, anstimmt. Bei der Abendmahlsszene fehlen allerdings die Einsetzungsworte im genauen Wortlaut der Bibel. Sie sind in die Form eines jüdischen Lobpreises gefasst.
Damit verliert die Bedeutung des Abendmahls an klarer Aussagekraft.
Eine starke Rolle wurde Judas auf den Leib geschrieben. Er hasst die Römer und wünscht sich von Jesus, dass dieser Widerstand leistet und nicht auf eine Zukunft vertröstet, "die mir zu weit und in dunkler Ferne liegt". Dem Feind die andere Wange hinhalten? Judas zieht das "Auge um Auge"-Prinzip vor. Dass Judas Jesus verrät, erscheint in diesen Passionsspielen als großes Missverständnis. Stückl zeigt einen leidenden Judas, der seinen Verrat bitterlich bereut. Dabei ist Petrus ebenso ein Verräter wie Judas. Doch der eine wird später Kirchenleiter, der andere weiß am Ende keinen anderen Ausweg, als den Strick um seinen Hals.
Der Höhepunkt des Passionsspiels ist die Kreuzigungsszene. Unmittelbar vorher will der Hohepriester Kaiphas den Statthalter Pontius Pilatus dazu bringen, über Jesus die Todesstrafe zu verhängen. Doch er lehnt ab. In Jerusalems Gassen verbreitet sich Aufruhr. Das Volk ist uneins. Auf der einen Seite stehen die Priester, auf der anderen Seite die Jesus-Anhänger, angeführt von Josef von Arimathäa. "Er sterbe!", rufen die einen. "Jesus ist ohne Schuld!", die anderen. Fast kommt es zum Straßenkampf. Pilatus hat genug gesehen. Unter dem Druck der Masse wandelt er seinen Freispruch in ein Todesurteil. So ist Jesu Leidensweg nicht nur ein Mysterium, sondern auch Ränkespiel, Schauprozess und Justizskandal. Eine enthemmte Meute macht sich über Jesus her. Von den römischen Soldaten wird er verspottet, bespuckt, geschlagen und gegeißelt. Pilatus' Frau versucht erfolglos, die grausame Folter zu beenden. Mit letzter Kraft schleppt Jesus sein Kreuz zum Galgenhügel und wird zwischen zwei Übeltätern gekreuzigt.
Etwas knapp gerät das Ende der Passion mit dem Osterereignis. Das liegt zum einen daran, dass die Auferstehung eines Toten eigentlich nicht darstellbar ist. Aber die Frauen am Grab scheinen auch weder besonders verschreckt noch erstaunt, als sie das Grab des Gekreuzigten leer vorfinden. Die Beglaubigung des schier Unglaublichen übernimmt der Schlusschor. Er jubelt seine Hallelujas in höchste Höhen, so dass klar wird: Hier ist gerade das größte aller anzunehmenden Wunder geschehen.
Mit einem herkömmlichen Laienspiel oder unbeholfenem Bauerntheater hat die 42. Oberammergauer Passion nicht viel gemein. Schon von ihrer Dimension her:
Über 2.000 Mitwirkende stehen vom alten Mann bis zum Kleinkind, vom Hauptdarsteller bis zur Chorsängerin auf der Bühne. Fazit: Die Bewohnerinnen und Bewohner des Dorfes Oberammergau legen ein klares Bekenntnis zur Heilsgeschichte Jesu ab. Die Spiele finden seit dem 14. Mai und bis zum 2. Oktober statt. Geplant sind 103 Aufführungen; gespielt wird fünfmal die Woche.
Das Passionsspiel fand erstmals 1634 statt. Es geht auf ein Gelübde von 1633 zurück. Damals schworen die Bewohnerinnen und Bewohner, regelmäßig das Leiden und Sterben Christi aufzuführen, sofern niemand mehr an der Pest stirbt.
Das Passionsspiel wurde 2014 von der UNESCO in die Liste des Immateriellen Erbes der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen.
Oberammergau hat rund 5.500 Einwohnerinnen und Einwohner. Alle 2.000 Mitwirkenden sind in Oberammergau geboren oder leben - mit Ausnahme der Kinder - mindestens seit 20 Jahren dort. Neben den Schauspielrollen wirken die Bürgerinnen und Bürger in Chor und Orchester mit, engagieren sich im Einlassdienst oder als Garderobieren.
Die 20 Hauptrollen sind doppelt besetzt. Zudem gibt es weitere 120 Sprechrollen. Erwartet werden bis zum 2. Oktober 450.000 Gäste aus aller Welt.
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Ein Bericht von selk_news /
Redaktion: SELK-Gesamtkirche /
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