Die Kirche(n) und ihre Angst vor Demokratie und Konflikt | 15.09.2022

"Die Kirche(n) und ihre Angst vor Demokratie und Konflikt"
SELK: Vortrag von Manfred Holst n Balhorn


Bad Emstal-Balhorn, 15.9.2022 - selk - "Die Kirche(n) und ihre Angst vor Demokratie und Konflikt", so lautete das Thema eines Vortrags von Propst Manfred Holst (Marburg) am vergangenen Samstag im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Balhorn der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). Das Wilhelm-Löhe-Seminar des der SELK zugeordneten Diakonissenwerkes in Korbach hatte zu diesem Vortrag eingeladen. Hörerinnen und Hörer im Gemeindesaal und Online-Teilnehmende konnten den Vortrag verfolgen und anschließend ihre Gedanken dazu äußern.

"Demokratie" sei kein starrer Begriff, sondern er bedürfe der Erläuterung, so der Referent. Es gebe verschiedene Formen von Demokratie, die sich recht stark voneinander unterschieden. Manche recht autoritär geführte Staaten sähen sich als "Demokratie". Dort habe die breite Masse des Volkes kaum Einfluss. Anders die rechtstaatlichen Länder mit echten Wahlen und frei gewählten Volksvertretern.

Holst legte den Schwerpunkt auf die Kirche(n) und ihren eigenen Umgang mit Mehrheitsentscheidungen von der Urkirche her bis heute. Schon im Neuen Testament sei zu lesen, dass es Versammlungen gegeben habe, um sich Einzelfragen zu stellen und gemeinsam zu einer Einigung zu finden. Dies könne man als eine Vorform der Demokratie sehen.

Des Weiteren folgte Holst den Zeitepochen mit ihren oft nicht gewaltfreien Änderungen in den Regierungsformen. So warf er einen Blick auf die Reformationszeit, die durch Glaubens- und Gewissensfragen geprägt gewesen sei. Hier habe der Landesherr entscheidenden Einfluss gehabt. Luther etwa wäre ohne den Schutz seines Landesherrn nie in der Lage gewesen, eine Reformation in seinem Sinne durchzuführen. Der Einfluss der Landesherren falle erst 1918 bei der Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Republik. Damit seien auf die Kirchen neue Aufgabenstellungen zugekommen, nämlich kirchliche Ordnungen in Eigenverantwortung zu schaffen. Dies sei nicht ohne alte "Obrigkeitsgedanken" abgegangen; auch lutherische Kirchen hätten sich von der alten Ständeordnung nur schwer lösen können. Politisch wie kirchlich sei zum Beispiel die Frau untergeordnet geblieben, Demokratie sei fremdgeblieben. Letztlich erst ab 1945 habe sich die Sicht geändert:

Nicht mehr als göttliche Instanz werde die Regierung gesehen, sondern sie sei in Freiheit durch den Volkswillen durch freie und geheime Wahlen auf Zeit eingesetzt. Dabei würden Entscheidungen mehrheitlich gefällt, auch auf die Gefahr hin, dass eine Entscheidung falsch sei und die Minderheit recht habe. Demokratie nehme bewusst die Fehlerhaftigkeit und Unvollkommenheit der Menschen in Kauf. Gleichzeitig werde ermöglicht, durch breit angelegte Diskussionen, durch Presse- und Meinungsfreiheit Einfluss zu nehmen und Fehlentwicklungen entgegenzuwirken.

Heute sei zu beobachten, dass es nicht geringe Kräfte gebe, die der Demokratie ablehnend gegenüberstünden. So sei es in den USA zu beobachten gewesen unter dem vergangenen Präsidenten, der besonders unter evangelikalen Kreisen seine Anhängerschaft gefunden habe. Auch in den westlichen Demokratien sei ein deutlicher Hang zum Völkisch-Nationalen zu beobachten, dies auch in der Bundesrepublik. Aggressives Verhalten einzelner Gruppen und Parteien sei zu beobachten. Auch die Kirchen blieben davon nicht unberührt.

Im Blick auf die SELK hieß es: In ihrer Lebensordnung und auch in anderen Verlautbarungen werde ein deutliches Bekenntnis zur Demokratie abgelegt. Es werde aufgefordert, das demokratische Wahlrecht wahrzunehmen und sich politisch und sozial von den christlichen Grundsätzen her zu engagieren und gegebenenfalls auf Korrekturen zu drängen, etwa bei Menschenrechtsverletzungen. Dennoch sei auch die SELK nicht frei von Menschen mit demokratiekritischer Gesinnung.

Zu beobachten sei in der Bundesrepublik wie weltweit, dass vernünftigen und offenbaren Erkenntnissen und Argumenten heute Verschwörungstheorien und Feindbilder entgegengehalten würden. Es gebe heute einen Hang, einfachen Antworten und Parolen nachzulaufen, ohne sich mit der Sachlage weiter zu beschäftigen.

In der SELK sei zu beobachten, dass Einzelne sehr pointierte Meinungen vertreten würden, wegen derer Mitchristinnen und Mitchristen anderer Meinung scharf angriffen würden. Allerdings, so Holst, sehe er dies auch als Ausdruck, "Gott gehorsam zu sein und sich energisch anderen Zeitströmungen zu widersetzen . Wenn es jedoch zu einer Überbetonung des Gehorsams kommt, erinnert das an die vordemokratische Zeit, in der es nur Untertanen und Herrscher gegeben hat. Die Gefahr besteht darin, dass damit das Ringen und der Streit um den richtigen Weg in einer Gesellschaft und ebenso in der Kirche letztlich verkürzt oder erstickt wird."

Als Fazit stellte der Referent fest: "Eine Kirche muss konfliktfähig sein.

Konflikte dürfen nicht verdrängt und unterdrückt werden; sie müssen ausgetragen werden." Dafür "gibt es Strukturen von der Grundordnung der Kirche über die Gemeindeversammlungen und Bezirkssynoden und Bezirkskonvente bis hin zum Allgemeinen Pfarrkonvent und der Kirchensynode . Wir benötigen Raum für offene Debatten, in denen Sorgen, Ängste und Probleme benannt, Lösungsvorschläge diskutiert und am Evangelium überprüft werden können."

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Ein Bericht von selk_news /
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