Stefan Dittmer: Propst im Osten


Stefan Dittmer ist Jahrgang 1964 und wurde am 6. Mai 2023 zum Propst für die Kirchenregion Ost gewählt. Er folgt dabei Gert Kelter aus Görlitz, der in den Ruhestand ging. In der SELK sind die vier Pröpste aus den vier Kirchenregionen Teil der Kirchenleitung. Wir haben mit Stefan Dittmer ein Interview geführt und haben mit ihm über wichtige Herausforderungen der Gegenwart, tröstende Bibelstellen und mutmachende Lieder sowie seine „junge“ Kirchenregion gesprochen.

Dittmer

selk.de-Redaktion:
Lieber Stefan Dittmer, guten Tag! Sie wurden im Mai zum Propst der Kirchenregion Ost gewählt. Seitdem ist nun ein halbes Jahr vergangen – die Schonfrist ist quasi vorbei. Wie waren Ihre ersten Erfahrungen und Erlebnisse als einer von vier Pröpsten unserer Kirche?

Stefan Dittmer: Zunächst erwartete mich eine Wartezeit von der Wahl zum Propst am 6. Mai bis zur Einführung am 13. Juni, erst dann ging es so richtig los. Ich war neugierig, was mich erwartet, konnte bei der ersten Sitzung der Kirchenleitung als designierter Propst hineinschnuppern und ging erwartungsfroh mit einer gewissen Abenteuerlust in mein neues Aufgabengebiet. Meine Tätigkeit als Religionslehrer an der Grundschule musste ich leider aufgeben. Schade, aber neben der Arbeit als Gemeindepfarrer in Dresden kommen nun weitere Aufgaben hinzu, die Zeit und Kraft in Anspruch nehmen.
Dann aber auf der ersten Sitzung der Kirchenleitung holte mich als eingeführter Propst die Realität ein: Entscheidungen müssen getroffen, Probleme müssen bearbeitet und Lösungen für schwierige Sachverhalte gefunden werden. Dazu sind viele Sitzungen, auch per Zoom, nötig, hinzukommen Dienstfahrten und die Zeit der Stille Zuhause. Eine große Herausforderung, die ich mit Gottes Hilfe und mit einer betenden, mir Mut zusprechenden Kirchgemeinde vor Ort annehmen konnte.

selk.de-Redaktion:
Unsere Kirche erlebt eine diskussionsreiche Zeit in einer Gesellschaft, die unter Kontroversen, Kriegen und Katastrophen leidet. Welche Bibelstelle gibt Ihnen Halt und Trost?

Stefan Dittmer:
Mein Konfirmationsspruch aus Psalm 73 gibt die Richtung:
„Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und setze meine Zuversicht auf Gott den HERRN, dass ich verkündige all dein Tun!“
In allen Dingen und Geschehnissen ist es ein anderer, der uns hält, zu dem wir kommen und beten dürfen, an dem wir festhalten und der das Fundament unserer Lebens Handels und Redens ist. Jeden Sonntag wieder neu erfahren wir die lebendige Gegenwart Gottes, der zu uns redet und kommt, ja leibhaft in uns einzieht mit seiner Kraft, seinem Leben und Frieden. In dieser Gewissheit geht es in den Alltag mit allen schönen und dunklen Abschnitten: Und ER ist dabei! Gott sei Dank!

selk.de-Redaktion:
Welche Herausforderungen sehen Sie für unsere Kirche oder die Kirchenregion Ost im Speziellen? Was macht Ihnen dabei Mut?

Stefan Dittmer: Drei Aufgabenbereiche sehe ich für mich als Propst in den nächsten Jahren:
Als erstes möchte ich den Gemeinden, den Pfarrer und der Gesamtkirche den Dienst der Mission ans Herz legen. Es ist ein wunderbarer, verheißungsvoller Dienst, die frohe Botschaft der Rettung des Sünders allein aus Gnade um Christi willen zu verkündigen und zu leben. Eigentlich ist dieses der Auftrag und das Gebot Gottes. Obendrein hat der HERR der Kirche uns die Verheißung gegeben, dass sein Wort niemals leer zurückkommt, sondern das tut, wozu Gott es gesandt hat: um Glauben zu wecken und Menschen zu retten.

Gerade im Osten bietet sich ein großes Potential aufgrund der sozialistischen, atheistischen Vergangenheit. 20% der Bevölkerung im Osten wie im Westen sind Christen und gehören einer Kirche oder christlichen Gruppe an: diese wissen, an wen sie glauben und besuchen die Gottesdienste und Veranstaltungen ihrer Kirchengemeinde. Weitere 20% sind Atheisten oder gehören einer anderen Religion an: hier ist eine missionarische Arbeit sehr schwierig.
Die weitaus größte Gruppe der restlichen 60 % bezeichnen sich im Westen als christlich und gehören nominell zu einer Kirchengemeinde: sie besuchen den Gottesdienst zu Weihnachten, beten vielleicht und haben ein oberflächliches christliches Bewusstsein: diese Gruppe ist schwerlich für den christlichen Glauben ansprechbar.
Dagegen sind 60% der Bevölkerung im Osten offen für die christliche Botschaft, weil sie in ihrer Kindheit kaum etwas davon gehört haben. Wie oft werde ich in der Straßenbahn oder auf Bahnreisen als Pfarrer und Seelsorger angesprochen.

selk.de-Redaktion:
Und welche weiteren herausfordernden Aufgabenbereiche sehen Sie?

Stefan Dittmer: Eine zweite Aufgabe sehe ich darin, die Kirchenregion Ost in der Kirchenleitung und Gesamtkirche zu vertreten. Der Propst wird ja jeweils in einer Kirchenregion gewählt und ist damit für diesen Bereich verantwortlich. So will ich die Belange, die Anliegen und die Besonderheiten des Ostens in die Gesamtkirche einzubringen. Andererseits soll der Propst für die gesamtkirchlichen Aspekte in den Gemeinden und bei den Pfarrern im Osten werben. Dieser doppelten Rolle, hinein in die Kirchenleitung und Gesamtkirche und hinein in die Gemeinden und zu den Pfarrer der Kirchenregion Ost, stelle ich mich als Propst.

Die dritte Aufgabe liegt für mich in den Aufbau von seelsorglichen Kontakten zu den Pfarrern und zu den Gemeinden in der Kirchenregion Ost, um an den guten, schönen sowie an den stressigen, unglücklichen Lebensumständen Anteil zu nehmen. Da der Superintendent jeweils die Dienstaufsicht innehat, kann der Propst zunächst eine andere Rolle wahrnehmen, nämlich die der Begleitung. So beabsichtige ich, Gespräche zu den Pfarrer, deren Familien und zu den Gemeinden in der Kirchenregion Ost in Absprache mit den Superintendenten zu suchen, um den Betroffenen die nötige Wertschätzung zuteilwerden zu lassen und frühzeitig Krisensituationen zu erkennen, zu begleiten sowie bei der Lösung mitzuhelfen.

selk.de-Redaktion:
In diesen Tagen erreicht das heißersehnte, neue Jugendliederbuch „CoSi 4“ Gemeinden und Gemeindeglieder und erfreut sich jetzt schon großer Beliebtheit. Neben dem ELKG2 ist dieses Werk eine große Bereicherung in unserer musikalischen Kirche und ein zweiter „Neuzugang“ innerhalb kurzer Zeit. Welches Lied erfüllt Ihr Herz und lässt Sie im Glauben wachsen?

Stefan Dittmer: Auf dem Nummernschild unseres Autos ist die Nummer eines Liedes zu lesen – ELKG 288 (1. Auflage): „In dir ist Freude, in allem Leide!“ Ganz bewusst haben meine Frau und ich uns dieses Nummernschild ausgesucht. Neben dem Fisch auf der Heckklappe soll auch diese Nummer (wenn auch nur für Insider) von dem Grund unseres Lebens zeugen.

selk.de-Redaktion:
Als Propst sind Sie Teil der Kirchenleitung und in komplexe Abwägungs- und Entscheidungsprozesse involviert. Wer hilft Ihnen bei Entscheidungen und unterstützt Sie? Wie können Sie privat abschalten und zu neuen Kräften kommen?

Stefan Dittmer: Ganz oben steht der sonntägliche Gottesdienst, den ich in Dresden mit der mir anvertrauten Dreieinigkeitsgemeinde feiern darf. Zu wissen und zu erfahren, dass mir als Mensch vergeben wird und der HERR mich stärkt und zurüstet für die Aufgaben in Kirche und Gemeinde, öffnet den Blick in eine getroste Zukunft.
Daneben hat Gott der HERR mir eine Frau und Familie gegeben, die mich in allen Bereichen unterstützt und bisweilen trägt, wenn ich über meine Sorgen und vertrauliche Gedanken wieder einmal nicht erzählen kann und darf.
So nehmen meine Frau und ich immer wieder eine Auszeit in einem guten Restaurant, um bei guten Essen und Trinken in der Zweisamkeit zu reden und belastende Dinge anzusprechen. So manche Tür wurde so sich in schwierigen Sachverhalten geöffnet.

selk.de-Redaktion:
Wussten Sie, dass Sie Propst der jüngsten Kirchenregion der SELK sind? Entgegen jedem Vorurteil sind in der Kirchenregion Ost knapp 15% der Kirchenglieder unter 18 Jahre alt – so viele wie in keiner anderen Region unserer Kirche. Was macht Ihnen an engagierten jungen Gemeindegliedern besonders viel Freude? Welche Projekte mit jungen Menschen liegen Ihnen besonders am Herzen?

Stefan Dittmer: Nicht nur die Gemeindeglieder unter 18 Jahren, sondern ebenso die sich daran anschließende Altersgruppe – die jungen Erwachsenen und Familien – haben eine wichtige tragende Rolle in der Kirche und in den Gemeinden.
Kinderüsten, Konfirmandenfreizeiten und Jugendtreffen, die biblisch fundiert arbeiten, nehmen das Anliegen auf, die heranwachsende Generation im christlichen Glauben zu unterweisen und zu gründen. Das gilt vor allem für die Christenlehre, sprich: den Kinderunterricht, der noch in vielen Gemeinden in der Kirchenregion Ost ab der 3. Klasse gehalten wird.
Für die Veranstaltungen, die von jungen Erwachsenen initiiert wurde und organisiert werden, will ich werben und diese tatkräftig unterstützen, soweit es meine Zeit erlaubt. Zu nennen sind hier die BJT-Plus (Bezirksjugendtage für junge Erwachsene) und die Lutherische Tagung „Gemeinsam Glauben“, die im September diesen Jahres in Erfurt stattgefunden haben. Es ist wunderbar, wenn junge Menschen nach Vertiefung im christlichen Glauben fragen und um Unterweisung im lutherischen Bekenntnis bitten. Dem gilt es Rechnung zu tragen.
Dieses christliche Engagement von jungen Erwachsenen und Familien erlebe ich sehr wohltuend in der eigenen Gemeinde und in der Kirchenregion Ost.

selk.de-Redaktion:
Sie sind nach Ihrer Ordination 1990 – direkt nach der Wiedervereinigung – ins Pfarrvikariat nach Greifswald gegangen und sind seit August 2015 Pfarrer in Dresden. Was schätzen Sie als gebürtiger „Wessi“ am Osten und den Menschen in Ostdeutschland besonders?

Stefan Dittmer:
Obwohl ich im Westen geboren und aufgewachsen bin, liegen die ersten Schritte meines Berufslebens im Dienst der Kirche im Osten:
• Die Kirchenleitung hatte mich 1989 zum Vikariat nach Berlin-Wilmersdorf entsandt. In dieser Zeit konnte ich als Vikar viele Vertretungsdienst in der damaligen DDR absolvieren. Mit dem sogenannten „Dauerlutscher“, dem Visum für West-Berliner, war es für mich leicht, nur für einen Tag in den Ostern zu reisen und dort Dienste zu tun.
• Die ersten eigenverantwortlichen Schritte leistete ich als Pfarrvikar in Greifswald und stand im Dienst der Altlutherischen Kirche. So durfte ich 1991 für den Zusammenschluss der Altlutherischen Kirche mit der SELK stimmen.
• Schließlich lebe und arbeite ich seit 2015 in Dresden.
In der Zeit als Pfarrer in Dresden ist mir wieder einmal bewusst geworden, dass im Osten stetig Früchte des Glaubens in den Gemeinden sichtbar werden und dort von einen missionarischen Aufbruch, wenn auch bisweilen in einem kleinen Ausmaß, zusprechen ist:
• Die Gemeinden wachsen nach innen und außen.
• Die Umlagebeiträge und Einnahmen steigen stetig.
• Gemeindeglieder besuchen zu einem hohen Prozentsatz die Gottesdienst
• Stets dürfen wir Gäste im Gottesdienst begrüßen, die als Gemeindeglieder bleiben.
Diesen Weg gilt es weiterzugehen.

Lieber Stefan Dittmer, wir möchten Ihnen herzlich für das Interview danken und wünschen Ihnen Gottes Segen bei Ihrer Tätigkeit als Propst für die SELK. Bleiben Sie stets behütet!

Das Interview führte Daniel Soluk für die selk.de-Redaktion

© 2024 | SELBSTÄNDIGE EVANGELISCH-LUTHERISCHE KIRCHE (SELK)