Lesenswert


An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.

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Die Melodie der Gnade


Cover Newton„Amazing Grace“ – eines der weltweit bekanntesten Kirchenlieder rührt vielleicht auch deswegen die Herzen so vieler Menschen bis heute, weil seine Entstehungsgeschichte mit einem Mann verbunden ist, der besonders eindrucksvoll die erstaunliche Gnade Gottes verkörperte.

John Newton wurde von seiner Mutter christlich erzogen; aber sie starb, als er sechs Jahre alt war. Sein Vater, der als Kapitän meist auf See war, schickte ihn ins Internat und vermittelte ihn später auf ein Handelsschiff. Für John begann damit das Drama seines Lebens als Matrose, Sklavenaufseher, er wurde selbst zum Sklaven und schließlich gar zum Sklavenhändler.

In ihrer Romanbiografie zeichnen der Historiker Bruce Hindmarsh und der Autor Craig Borlase Newtons Leben nach. Sie haben sich dafür in Newtons umfangreiche Aufzeichnungen sowie weitere Quellen vertieft. Auf diesen biografischen Fakten und historischen Rahmenbedingungen gründen die Episoden und Dialoge, die zwar fiktiv sind, aber die fast filmische Erzählweise erlaubt es dem Leser, Newtons Entscheidungen, all die Hoffnungen, vor allem aber die Leiden, die sein Leben prägten, nachzuvollziehen. Was Sklavenhandel bedeutete, wird hier in aller Schärfe klar. Was Menschen einander an Grausamkeiten antun können, wird brutal konkret.

John Newton hatte seinen Glauben auf See sehr schnell hinter sich gelassen, war gar zum Spötter des Christentums geworden, wie es unter den Männern auf den Schiffen Usus war. Dass er nach all den Irrwegen seine große Liebe Polly heiraten kann, dass er völlig umkehrt, Pastor wird und seine Stimme gegen den Sklavenhandel erhebt, ist ein Zeichen der wunderbaren Barmherzigkeit Gottes. Das ist es, was Newton in dem Lied „Amazing Grace“ zum Ausdruck brachte und was die Menschen bis heute berührt:

Amazing grace! (how sweet the sound),
That saved a wretch like me!
(Erstaunliche Gnade! (welch lieblicher Klang),
die einen Sünder wie mich gerettet hat!

Eine eindrucksvolle Geschichte, glänzend geschrieben, berührend, lehrreich, glaubensstärkend.

Bruce Hindmarsh, Craig Borlase
Die Melodie der Gnade.
John Newton und die erstaunliche Geschichte hinter dem Lied „Amazing Grace“
Hänssler Verlag 2025, 302 Seiten, 23,00 Euro



Die Schattenkinder von Kirgistan

Cover BühneNach dem Abitur geht Jonathan Bühne für ein Freiwilliges Soziales Jahr nach Kirgistan in Zentralasien, in ein christliches Kinderheim. Die Geschichten der Kinder und Jugendlichen, ihre Not, ihre Verwahrlosung, ihre Aggression, ihre Angst, ihre Einsamkeit – all das trifft den jungen Freiwilligen ins Herz.

In seinem Buch erzählt Jonathan Bühne Erlebnisse in dem Heim, die manchmal erschreckend sind. Er tut das mit großer Zugewandtheit, Rücksicht und ja, Liebe. Er scheut sich auch nicht, seine Hilflosigkeit, sein Befremden zu beschreiben, seine Wut auf Eltern, die ihre Kinder missbrauchen, im Elend allein lassen, scheinbar gleichgültig gegenüber deren Schicksal. Er erfährt vom Niedergang ganzer Familien durch Trennung, Alkohol, Arbeitslosigkeit, Gewalt. Und er erlebt, wie schwer es ist, zu helfen. „Der Gedanke, dass die verantwortlichen Autoritäten es gut mit ihnen meinen könnten und ihnen tatsächlich helfen wollten, war für die Kinder in unserem Heim fremd. Für sie lautete das Grundmuster, nach dem das Zusammenleben von Menschen aufgebaut ist: Stärkere herrschen über Schwächere.“ Und trotzdem bleibt da auch immer die Hoffnung, dass Heilung möglich ist.

Es ist beeindruckend, wie Jonathan Bühne die Erlebnisse in Kirgistan reflektiert, mit biblischen Geschichten und theologischen Einsichten verbindet.
Er sei ein anderer Mensch geworden in diesem Jahr, schreibt Bühne, der mittlerweile in Leipzig Religionswissenschaft studiert und daneben als Journalist und Autor tätig ist. Eine seiner Erkenntnisse: Dass es bei seiner Reise nach Kirgistan nicht darum gegangen sei, „dass ich dort allzu viel bewirkt hätte, sondern dass ich meinen Teil zu den Heilungsgeschichten dieser Kinder beitragen konnte, dass ich ihnen für eine kurze Weile in ihrem Leiden beistehen durfte.“ Denn, so Bühne, „ich bin überzeugt, dass auch kleine, scheinbar unbedeutende Akte der Nächstenliebe unabsehbare Konsequenzen haben können.“

Jonathan Bühne
Die Schattenkinder von Kirgistan.
Meine Reise in eine vergessene Welt
Fontis Verlag 2025, 255 Seiten, 19,90 Euro




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