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An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.

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Der Bauernspiegel


2024 10 Cover Gotthelf 200Albert Bitzius war Pfarrer im schweizerischen Emmental. 1837, da war Bitzius schon 40 Jahre alt, erschien sein erster Roman, der „Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben“. Es ist mitnichten die Biografie des Albert Bitzius, aber es ist die Eröffnung eines literarischen Werkes, das er fortan unter dem Namen Jeremias Gotthelf veröffentlichen wird und das am Ende 13 Romane und 75 Geschichten umfassen wird.

Im Diogenes Verlag erscheint nun sein gesamtes Werk in einer neuen Leseausgabe, die hoffentlich dazu beitragen wird, diesen Autor neu zu entdecken, der mit ungeheurer Kraft menschliches Elend, ja die Boshaftigkeit der Welt, darstellt und anprangert, und gleichzeitig so behutsam wie deutlich ihre Hoffnung und den Weg zu ihrer Erlösung zeigt.

Im „Bauernspiegel“ hält Gotthelf der bäuerlichen Welt der Schweiz im 19. Jahrhundert den Spiegel vor. Wir sehen darin, wie der „Verdingbub“ Jeremias jahrelang gleichsam als Leibeigener von Bauern ausgenutzt und drangsaliert wird, wie Lehrer und Politiker, ja auch Pfarrer in diesem brutalen, ungerechten System mitwirken. Wir sehen, wie die Liebe zu seinem Anneli jäh ein Ende findet, als sie bei der Geburt ihres ersten Kindes stirbt, weil der Arzt, aus Sorge um sein Honorar, nicht rechtzeitig kommt. Wir sehen, wie Jeremias fliehen muss und in die französische Armee eintritt, wie er als Kriegsverletzter heimkehrt, und wie schließlich ein gar sonderlicher Schriftsteller aus ihm wird: All das zeigt uns dieser „Bauernspiegel“ mit großer Wucht und Bildern, die man nicht vergisst.

Aber wer sich traut, der sieht in diesem Spiegel noch vielmehr. Der sieht, wie das Böse den Menschen von seiner göttlichen Bestimmung abbringt. Und wie ihm das besonders leicht gelingt, wo Armut, Ungerechtigkeit, wo Gier und Eigennutz herrschen. Der sieht, was Schuld in der Seele anrichtet und wie Lieblosigkeit sie verletzt. Insofern hat Gotthelfs Bauernspiegel bis heute nichts von seiner erschütternden Wirkung verloren.

Hilfreich ist im Anhang des Romans ein umfangreiches Glossar der Mundartausdrücke und eine Tabelle mit Angaben zu Währungen, Gewichten und Maßen.

Jeremias Gotthelf
Der Bauernspiegel oder Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf, von ihm selbst beschrieben
Zürcher Ausgabe, hrsg. Von Philipp Theisohn, mit einem Nachwort von Lukas Bärfuss; Diogenes Verlag 2024, 533 Seiten, 32,00 Euro



Der Ketzer von Konstanz

2024 10 Cover Wolf 200Hundert Jahre vor Martin Luther kritisiert der böhmische Theologe Jan Hus die Kirche und prangert Machtkämpfe und Intrigen in ihren Reihen an. Vor allem erinnert er unermüdlich daran, dass Erlösung durch die Gnade Gottes empfangen wird und nicht erkauft werden kann.

Auf dem Konzil in Konstanz im Jahr 1414 soll Hus seine Lehren verteidigen – das hofft er zumindest, da ihm König Sigismund freies Geleit zugesichert hat. Stattdessen wird er als Ketzer zum Tod verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Corinna Wolf, Psychotherapeutin und Autorin in Konstanz, ist dem Leben und Wirken des Reformators Jan Hus nachgegangen und hat ein bemerkenswert einfühlsames Buch über seinen letzten Weg geschrieben. Kein Sachbuch, sondern einen Roman, der aber, das merkt man, auf gründlicher Recherche beruht. Die Figuren werden einem sehr schnell vertraut, gekonnt formulierte innere Monologe und Gespräche nehmen einen unmittelbar in das Geschehen hinein.

Aber die Autorin geht noch einen Schritt weiter, deutet den Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Engel und Dämonen an, beschreibt Szenen, in denen diese Geister für Jan Hus und seine Getreuen teilweise sogar sichtbar sind. Sie tut das nicht aufdringlich, sondern so, dass es der Dramatik dieser Tage und Wochen damals in Konstanz voller Angst und Hoffnung eine geistliche Tiefe gibt, die einem die Figuren im Glauben noch näherbringen.

Am Ende, kurz vor seinem grausamen Tod auf dem Scheiterhaufen, hadert Hus ein letztes Mal damit, dass er gezweifelt hat, dass er mehr als einmal überlegt hat, ob er doch widerrufen und sein Leben damit retten soll. Er entscheidet sich, lieber in den Tod zu gehen und betrauert gleichzeitig, dass er nicht stärker war. Doch in dem Moment spürt er Jesus neben sich: „Er war nicht allein. Und so konnte er sich seiner Schwachheit ergeben und die Hoffnung in sich spüren, dass Jesus wusste, was er tat.“

Corinna Wolf
Der Ketzer von Konstanz
SCM Hänssler Verlag 2024, 442 Seiten, 23,00 Euro



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