... er erhöht den Armen aus der Asche
Dritter Brief an die Gemeinden in der Coronavirus-Krise
Die Arbeitsgruppe der Kirchenleitung und des Kollegiums der Superintendenten der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), die in diesen Tagen über die je aktuellen Entwicklungen der Coronavirus-Krise berät, hat einen dritten Brief der Kirchenleitung und des Kollegiums der Superintendenten an die Pfarrämter und Gemeinden und auch an Gäste der Gemeinden gerichtet, der am 18. April an alle Pfarrämter der SELK gegangen ist und auch an dieser Stelle dokumentiert wird.
Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN,
… und er erhöht den Armen aus der Asche. (1. Samuel 2,1+8)
Liebe Gemeindeglieder der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche, liebe Gäste der Gemeinden, liebe Leserinnen und Leser!
Nun wird die Zeit lang. Die Belastungen und Spannungen in der Beurteilung der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie nehmen in der Gesellschaft zu. Da wir solche Spannungen an einigen Stellen auch in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) beobachten, wenden wir uns erneut mit einem Schreiben an Sie.
Bei oft strahlendem Sonnenschein haben wir das Osterfest gefeiert und die österliche Freude erfüllt unser Herz. Den oben zitierten Psalm betet Hanna, eine Frau aus der biblischen Geschichte des Alten Testaments, in ihrer unbändigen Freude über die Geburt ihres so lang ersehnten Kindes. Genau deshalb ist dieser alttestamentliche Psalm österlich, weil er der Freude über wunderbar geschenktes Leben Ausdruck gibt.
Unser Herr und Heiland Jesus Christus ist wahrhaftig auferstanden und lebt! „Mein Herz ist fröhlich in dem HERRN.“
Zugleich bleiben jedoch Erinnerungen an die Asche vergangener Tage. Für Hanna war dies die unbändige Sehnsucht, doch noch ein Kind zu bekommen. Asche ist tot. Asche ist verbranntes Leben und damit das Gegenteil von Leben. Das Wechselbad der Gefühle, die Spannung zwischen Jetzt und Einst bringt Hanna hier zum Ausdruck.
Unsere Situation mitten in der Coronavirus-Krise ist ebenfalls von wachsenden Spannungen und Widersprüchen geprägt: viele Geschäfte des Einzelhandels dürfen öffnen, aber die Kirchen sind immer noch geschlossen. Manchen ist das Arbeiten nicht möglich, einige erleben dadurch durchaus erholsame Freiräume, während bei vielen die wirtschaftliche Existenz wegbricht. Für andere ist die durch die Krise bedingte Zunahme an Arbeit kaum zu bewältigen. Die einen sehen überhaupt nicht mehr ein, warum sie sich einschränken sollen, andere haben große Angst vor der Ansteckungsgefahr. Die Situation könnte kaum widersprüchlicher und spannungsvoller sein. Deshalb liegen bei vielen Menschen die Nerven blank.
Im Folgenden möchten wir deshalb einige spannungsvolle Punkte aufgreifen:
1. Wann dürfen wir wieder Gottesdienste feiern?
Wir beobachten, dass die Ungeduld in den Gemeinden und Kirchen zunimmt. Vorwürfe werden laut, die Bischöfe hätten sich nicht laut genug gegen das gottesdienstliche Versammlungsverbot gewandt.
Am 10. April 2020 hat das Bundesverfassungsgericht in großer Klarheit den verfassungsrechtlichen Konflikt beschrieben, auch wenn es zunächst noch das gottesdienstliche Versammlungsverbot im Falle des zugrundeliegenden Antrags bestätigte. Da stellt das Verfassungsgericht klar, dass „die gemeinsame Feier der Eucharistie nach katholischer Überzeugung ein zentraler Bestandteil des Glaubens ist, deren Fehlen nicht durch alternative Formen der Glaubensbetätigung wie die Übertragung von Gottesdiensten im Internet oder das individuelle Gebet kompensiert werden kann. Daher bedeutet das Verbot dieser Feier einen überaus schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz.“ (Dies gilt in gleicher Weise für die lutherische Kirche!)
Dem stellt das Verfassungsgericht das „Grundrecht auf Leben beziehungsweise körperliche Unversehrtheit“ gegenüber, gegenüber dem „das grundrechtlich geschützte Recht auf die gemeinsame Feier von Gottesdiensten derzeit zurücktreten“ muss. Allerdings müsse diese Einschränkung eindeutig befristet sein.
Zwei hohe Werte stehen einander gegenüber: das Grundrecht der Religionsfreiheit und damit das Recht und die Freiheit, Gottesdienste zu feiern und das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Was das Verfassungsgericht tut, ist eine klassische „Güterabwägung“.
Eine Güterabwägung vorzunehmen, bedeutet aber immer auch, dass es kein eindeutiges „Richtig“ oder „Falsch“ gibt. Aus Sicht der Kirchen ist zu fragen, wieso viele Geschäfte nun öffnen aber Gottesdienste noch nicht stattfinden dürfen. Einige Probleme sieht man erst bei genauerem Hinsehen: In Baumärkten wird beispielsweise nicht gemeinsam gesungen. Beim Singen steigt aber die Ansteckungsgefahr durch hohen Luftausstoß und winzige Tropfen ganz erheblich. Auch die Geschäfte dürfen nur unter Einhaltung des Infektionsschutzes öffnen, dabei ist u.a. einen Mindestabstand von 1,5 Meter bis 2 Meter zwischen allen anwesenden Personen zu garantieren. Wie das bei Gottesdiensten gewährleistet werden kann, ist erst noch zu bedenken.
2. Perspektiven zur Ermöglichung von Gottesdiensten
Gestern, am 17. April 2020, fanden in Berlin die von der Bundeskanzlerin angekündigten Gespräche des Bundesinnenministeriums mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften über die Lockerung der momentanen Regelungen im Zusammenhang mit der Coronavirus-Krise statt. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) war auch auf unsere Bitte hin in diese Gespräche wenigstens teilweise involviert. Im Ergebnis dieser Gespräche werden die Kirchen nun konkrete Vorschläge zu Gottesdienstkonzepten mit Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregelungen unterbreiten.
Ziel ist es, Gottesdienste unter diesen Bedingungen möglichst bald nach dem 30. April (Beratungstermin des Bundes-Kabinetts) wieder zuzulassen.
Die mit den aktuellen Entwicklungen der Coronavirus-Krise befasste Arbeitsgruppe von Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten hat deshalb bereits begonnen, solche Regelungen für die Wiederaufnahme von Gottesdiensten im Bereich der SELK zu erarbeiten. Für Anregungen hierzu sind wir dankbar.
Herzlich bitten wir um Geduld. Und wenn wir in der Spannung verschiedener Werte unterschiedliche Meinungen vertreten, dann lasst uns in dieser Zeit besonders auf liebevollen Umgang miteinander achten.
3. Vom Dienst der hauptamtlich Mitarbeitenden in der Kirche
Dankbar nehmen wir weiterhin wahr, wie die geistliche und seelsorgliche Arbeit in den Gemeinden der SELK aufrechterhalten, ja sogar bei allen Einschränkungen intensiviert wird. Das Umstellen von Arbeitsweisen ist für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter unserer Kirche eine große Herausforderung.
Einer unserer Pfarrer erzählte, dass er von einem Gemeindeglied – ganz lieb gemeint – angesprochen worden sei, er habe doch jetzt endlich mal viel Zeit, weil die Gottesdienste ausfallen. Das hat ihn zunächst sehr verletzt, weil das Gegenteil der Fall ist. So ist zwar die Vorbereitung von Gottesdiensten im Grunde die gleiche, aber die Umsetzung ist oft ausgesprochen zeitintensiv. Hinzu kommt, dass häufig das Gefühl für die Relevanz der Pfarramtsarbeit bei beschränkten Kontaktmöglichkeiten schwindet. Vermutlich geht es sehr vielen Berufsgruppen im „Home-Office“ ähnlich, erst recht, wenn dazu noch Kinder zu betreuen sind.
Den haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden gilt deshalb große Dankbarkeit!
So entsteht an vielen Stellen das Gefühl besonders hoher Anspannung bei der zeitgleichen Erwartung von größerer Ruhe, ein Schwanken zwischen „Freude und Asche“, um die Begriffe der Hanna zu verwenden.
Umso mehr dürfen Sie den Dienst der Pfarrer und Pastoralreferentinnen in Anspruch nehmen, denn gerade dies ermöglicht ja ein Stück wohltuender Normalität der Arbeit.
Wir bitten darum, die Kontakte in den Gemeinden auch in den kommenden Monaten nicht einschlafen zu lassen und die Vorstands- und Gremienarbeit über Video- oder Telefonkonferenzen aufrechtzuerhalten.
Nun wird die Zeit doch lang. Gefragt sind Geduld und Liebe.
- Zugleich empfinden wir große Dankbarkeit für den wachsenden Zusammenhalt in der Krise;
- Dankbarkeit für das nach wie vor überraschend hohe Maß an Kreativität in unserer Kirche;
- Dankbarkeit für die verstärkte Wahrnehmung von Glaubensthemen im gesellschaftlichen Diskurs;
- Dankbarkeit für eine viel größere Gesprächsbereitschaft zwischen den Menschen im Land;
- Dankbarkeit, dass Jesus Christus wahrhaftig auferstanden ist.
Im Namen und Auftrag von Kirchenleitung und Kollegium der Superintendenten
ist Ihnen und euch die Arbeitsgruppe in österlicher Freude sehr herzlich verbunden
Ihre
Bischof Hans-Jörg Voigt D.D.
Propst Burkhard Kurz
Kirchenrat Erik Braunreuther
Kirchenrat Florian Wonneberg
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