Gastfreundschaft ist gelebte Nächstenliebe
„Gastfreundschaft ist kein einmaliges stressiges Abendessen mit Freunden und Bekannten, Gastfreundschaft ist eine innere Haltung“, schreibt Pfarrer Jochen Roth (Arpke) in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Lutherische Kirche“ (12/2016) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK). In der Bibel finden sich zahlreiche Vorlagen dafür.
Gäste zu haben bedeutet für viele Menschen einfach nur Stress. Da muss das Haus aufgeräumt werden, die Toiletten geputzt, das gute Geschirr rausgeholt und am besten noch ein besonderes Essen aufgefahren werden. Wenn gar der Pastor eingeladen ist, wird vielleicht sogar die verstaubte Familienbibel aus dem Schrank geholt und abgestaubt ...
Doch Gastfreundschaft ist kein einmaliges stressiges Abendessen mit Freunden und Bekannten. Gastfreundschaft ist eine innere Haltung. Es ist eine grundsätzliche Bereitschaft, seine eigenen vier Wände der Begegnung mit Menschen zu öffnen: Das können Freunde sein, es schließt aber auch gerade Fremde mit ein! In der Bibel finden sich zu diesem Thema einige interessante Aspekte.
Abrahams Herz für die Fremden
Im Buch Genesis (1. Mose 18,1-8) wird eine Geschichte erzählt, wie drei Fremde in der größten Mittagshitze bei Abraham auftauchen. Abraham kennt diese Leute nicht, doch anstatt ihnen mürrisch einen „Guten Tag“ zu wünschen oder sie gar wegzujagen, beugt er sich vor ihnen nieder und bittet sie, seine Gäste zu sein. Er bewirtet sie in orientalischer Weise. Es wird groß aufgetischt. Man kann sich die Betriebsamkeit im Hause Abrahams bildlich vorstellen: Da wird Wasser gebracht, damit sich die Gäste waschen können, Sara backt Brot und Kuchen, es wird ein Kalb geschlachtet, dazu gibt es Butter und Milch. Abraham stellt seine gesamte Tagesplanung um, um Zeit für seine Gäste zu haben. Dass es sich bei den Fremden um drei Engel handelt, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er praktiziert einfach Gastfreundschaft, wie er sie gelernt hat und wie er sie wohl jedem anderen auch hätte zukommen lassen. Dass er dabei Engel bei sich aufgenommen hat, war ihm nicht klar. Darum ging es ihm auch nicht.
Gastfreundschaft ist gelebte Nächstenliebe
Im Neuen Testament finden sich ebenfalls einige Hinweise darauf, dass Christen Gastfreundschaft praktizieren sollen. So ermahnt der Autor des Hebräerbriefs ausdrücklich: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ (Hebräer 13,2) Natürlich soll das nicht die Motivation für Gastfreundschaft sein, den einen oder anderen Engel bei sich unter seinem Dach zu bewirten. Aber es zeigt, dass Gastfreundschaft mehr ist, als einfach nur eine nette Geste: Es ist gelebte Nächstenliebe. Für diese Art der Nächstenliebe braucht es keine professionelle Diakonie, keinen Kirchenvorstandsbeschluss, keine langjährige theologische Ausbildung und kein großes Haus mit teurer Einbauküche. Seine Haustür zu öffnen und Menschen einzuladen, das kann jeder. Dabei geht es eben nicht darum, ein Essen in ausschweifender orientalischer Opulenz zu kredenzen. Es geht einfach darum, Gemeinschaft zu haben, Zeit zu schenken, sich zu begegnen, den anderen kennenzulernen und sich immer wieder überraschen zu lassen, wen man denn da vor sich hat. Vielleicht begegnet man auf diese Weise tatsächlich dem einen oder anderen Engel.
Gastfreundschaft ist die Basis für Begegnung
Jesus hat immer wieder die Gastfreundschaft von Menschen in Anspruch genommen. Man achte bei der Lektüre der Bibel mal darauf, wie viele Geschichten, Gleichnisse und Predigten Jesus im Kontext von Tischgemeinschaften erlebt und erzählt hat. Ein Haus, in dem Jesus oft und gern zu Gast war, war das der Geschwister Lazarus, Maria und Martha. Eine Begebenheit sticht hier besonders heraus, aus der man auch viel über Gastfreundschaft lernen kann (Lukas 10,38-48) und die auch oft in der Kunstgeschichte als Gemälde umgesetzt wurde. Jesus war wieder einmal bei den drei Geschwistern eingeladen. Martha wollte, dass es Jesus gut geht. Darum stellte sie sich in die Küche und bereitete ein großes Essen vor, wie es damals auch üblich war. Ihre Schwester Maria dagegen sucht die Gemeinschaft mit Jesus. Beide praktizieren Gastfreundschaft. Martha durch ihre Arbeit in der Küche, Maria, indem sie Zeit mit dem Gast verbringt. Beide haben die Wahl, wie sie ihre Gastfreundschaft zum Ausdruck bringen wollen. Ich finde diese Beobachtung sehr entlastend, weil sie den Druck nimmt, unbedingt erst einmal klar Schiff machen zu müssen in der Wohnung oder sich stundenlang in die Küche zu stellen. Gastfreundschaft kann auch sein, dass ich mir einfach Zeit nehme für meinen Gast und mit ihm einen Kaffee trinke.
Dennoch übersieht Jesus auch nicht die Wichtigkeit von körperlichen Bedürfnissen. Als bei der Bergpredigt die Leute Hunger bekommen (und damit wohl auch die Aufmerksamkeit deutlich abnimmt), sorgt er mit einem Speisungswunder für volle Bäuche, so überliefert es etwa der Evangelist Johannes (Johannes 6,1-15).
Gastfreundschaft als Herausforderung für die Nachfolge
Gastfreundschaft zu praktizieren ist das eine. Sich auf die Gastfreundschaft anderer einzulassen ist das andere. Als geistliche Übung und um den Menschen die Nachricht vom kommenden Reich Gottes weiterzusagen, schickt Jesus seine Jünger mittellos auf Wanderschaft (Matthäus 10,5-10). Sie sind dabei ganz auf die Großzügigkeit und Gastfreundschaft von anderen Menschen angewiesen. Das kann für manchen eine noch größere Herausforderung darstellen. Etwas annehmen, sich beschenken lassen, ohne dafür eine konkrete Sachleistung zurückgeben zu können. Jesu Jünger sollen sich allein auf die Wirkung der Botschaft verlassen, die sie in seinem Namen verkündigen! Für alles andere wird Gott sorgen. Gastfreundschaft hat eben eine geistliche Dimension, die bis hinein ins Abendmahl des Gottesdienstes reicht. Die beiden Jünger aus der Emmausgeschichte (Lukas 24,13-35) begegnen nach der Kreuzigung Jesu einem Fremden auf der Straße. Es ist Jesus, doch die beiden Männer erkennen ihn nicht. Die Jünger sind traurig. Sie kommen mit dem Mann ins Gespräch. Als langsam die Dunkelheit hereinbricht, laden sie den Fremden ein, mit ihnen zu essen. Als Jesus das Dankgebet über den Gaben spricht und das Brot bricht, erkennen sie plötzlich ihren Herrn. Diese Nähe von praktizierter Gastfreundschaft mit gemeinschaftlichem Essen und gottesdienstlicher Abendmahlsfeier wird auch an anderer Stelle deutlich.
Gott als Gast und Gastgeber
Eines der bekanntesten Tischgebete ist folgendes: „Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast und segne alles, was du uns aus Gnaden bescheret hast.“ Ich habe mich immer über den Sinn dieses Gebetes gewundert. Wieso bitten wir Jesus zu uns an den Tisch, obwohl er uns doch alles „aus Gnaden bescheret hat“? Eine Erklärung könnte sein: In unserem Verhältnis zu Gott gilt beides gleichzeitig! Wir sind immer zugleich Gastgeber als auch Gast. In seiner Endzeitrede im Matthäusevangelium führt Jesus aus: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.“ Ohne sich dessen bewusst zu sein, haben diejenigen, die vor Gott als gerecht gelten, Gastfreundschaft gewährt und damit Jesus selbst aufgenommen. Als Gäste Gottes sind wir aber auch eingeladen, zum rauschenden Fest an Gottes Tisch zu kommen. So erzählt es Jesus in seinem Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl. Das besondere an diesen Gästen ist, dass sie nichts Besonderes sind. Sie verdanken ihre Einladung einfach der Großherzigkeit des Gastgebers. Von diesem rauschenden Fest in Gottes Herrlichkeit hergedacht, sind wir als Gäste Gottes reich beschenkt! Vielleicht kann dies eine Motivation sein, selbst die Türen seines Hauses zu öffnen und Gäste willkommen zu heißen.