Passion und Auferstehung: Kindern zumutbar?
Können Kinder fassen, was zu Ostern passiert? Was geht in ihnen vor, wenn sie die brutale Passion von Jesus Christus und seinen qualvollen Tod am Kreuz entdecken? Kinder würden zwangsläufig Erfahrungen mit Leid und Tod machen, schreibt Pfarrer Benjamin Anwand (Widdershausen) von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Lutherische Kirche“. Und gerade, wenn das Leiden und die Auferstehung von Jesus Christus mit den eigenen Erfahrungen der Kinder in Beziehung gesetzt werde, spanne sich ein hilfreicher Deutungsrahmen, der es möglich mache, über schwere Dinge im eigenen Leben zu reden.
„So, du bist jetzt Jesus!“ Mit ausgestreckten Armen liegt der Dreijährige im Wohnzimmer auf dem Teppich. Sein älterer Bruder hält den Hammer aus der Kinderwerkzeugkiste in der Hand. Die Buntstifte markieren die Nägel. „Jetzt geht’s los!“ Die Schläge des Plastikhammers erfüllen das Wohnzimmer. Nach wenigen Sekunden die entscheidende Frage: „Bin ich jetzt tot?“ „Ich glaube schon. Jetzt kommst du gleich in eine Höhle.“ „Und dann?“ „Dann? Dann wirst du irgendwie wieder lebendig.“ „Cool! – Wollen wir jetzt mit der Eisenbahn spielen?“ Und schon sind die beiden auf ihrem Weg ins Kinderzimmer.
Szenenwechsel. Zwei Mütter unterhalten sich, ob es Sinn macht, an Karfreitag mit den Kindern in den Gottesdienst zu gehen. „Das verstehen die nie. Das ist viel zu brutal. Davon kriegt man nur Alpträume.“ Ist das so? Dass Kindern die Passion von Jesus Christus nicht zuzumuten ist?
Kinder wissen, was „Leiden“ bedeutet
Kinder haben in Wahrheit meist viel Erfahrung mit Leid. Auch in jungen Jahren. Da finden die Kinder im Garten einen toten Marder. Die Zunge hängt aus dem kleinen Maul. Die Augen stehen schief. Es schaudert und fasziniert sie zugleich. Der Vater wird den Spaten holen, sie gehen ein Stück Richtung Waldrand. Es wird ein Loch ausgehoben. Der tote Körper vorsichtig hineingelegt. Alle stehen um das notdürftige, schmucklose Grab.
Und die Kinder stellen ihre Fragen. „Was passiert mit dem Marder?“ „Es hat sich ganz komisch angefühlt, den toten Marder zu sehen. Warum hat der gestunken?“ „Kriegt der da in der Erde Luft?“ „Kommt ihr eigentlich auch alle zu meiner Beerdigung?“
Wer mit Kindern zusammen lebt, kennt solche Situationen. Die Traurigkeit, die in Kindern ausgelöst wird, wenn ein geliebtes Haustier stirbt. Die Fragen, die kommen, wenn jemand in der Familie schwer krank ist. Im Kinderunterricht wird am Ende immer miteinander gebetet. Jedes Kind darf Gebetsanliegen benennen. Und es zeigt sich: Kinder spüren, dass es dem Opa schlecht geht. Sie spüren die Angst, wenn die Großen von „Krebs“ reden, der die Großmutter so schwach und matt macht. Kinder kennen das Leid, und sie lernen auch den Tod kennen.
Häufig taucht in Verbindung mit dem Sterben eines Familienmitglieds die Frage auf: „Können wir unseren Kindern zumuten, mit zur Beerdigung zu kommen?“ Und wie oft entscheiden Eltern, dass Kindern das nicht zuzumuten sei. Zumeist aus der Unsicherheit heraus, wie das Kind reagieren wird. Aus Angst, keine Antworten zu haben. Oder die falschen Antworten zu liefern.
Was für eine verpasste Chance. Denn Kinder geben das Tempo und das Maß an Interesse selber vor. Sie stellen ihre Fragen. Ihrem Alter und ihrem Interesse gemäß. Sie können beobachten. Wahrnehmen. Fragen. Und Eltern geben ehrlich Antwort.
„Was ist das für ein Holzkasten?“ – „Das ist ein Sarg. Da liegt der tote Körper von Oma drin.“ – „Und was hat die Oma an?“ – „Ihre Lieblingssachen. Die weiße Bluse und die schöne Kette. Auch ihre Haare sind schön gekämmt.“ – „Das ist ja toll. Ich möchte mal meinen Lieblingsschlafanzug anziehen! Den mit der Feuerwehr.“
Andere Kinder stellen andere Fragen. Ein Siebenjähriger wird anders fragen als ein Dreijähriger. Aber es ist tatsächlich erfüllend, mit Kindern über diese großen Fragen des Lebens zu reden, die ja zumeist in kleiner Münze daher kommen. Deshalb ist es gewinnbringend, Kindern das Erleben von Beerdigungen nicht vorzuenthalten. Gerade dann, wenn Beerdigungen zu Auferstehungsfesten werden. So, wie es Menschen in den Gemeinden der SELK so häufig erleben.
Horrorclowns und Halloween
Und zu bedenken bleibt ja auch Folgendes: Was muten Eltern ihren Kindern sonst alles an „Leiderfahrungen“ zu? Durch einen freien Zugriff auf Fernbedienung und Tablett? Welche Details wissen Kleinkinder von den Machenschaften irgendwelcher Horrorclowns zu berichten, und wie zugerichtet sehen bereits Kindergartenkinder nach der Schminkaktion zu Halloween aus?
Kinder haben zwangsläufig Erfahrungen mit Leid und Tod. Und für Eltern ist es gut, die Fragen der Kinder aufzunehmen. Auch Gelegenheiten zu schaffen, in denen sich solche Gespräche ergeben können. Zeit zu haben. Bei Spaziergängen oder Autofahrten, auf dem Spielteppich im Kinderzimmer, beim ins Bett bringen.
Und dabei wird sich zeigen: Zumeist übernehmen die Kinder die Emotionalität ihrer Eltern. Sagt die Mutter: „Oh Gott, wir sollen da zur Beerdigung? Ist ja schrecklich. Nein – was machen wir bloß? Auf dem Friedhof ist immer so eine trübe Stimmung, die zieht mich voll runter!“, dann wird das Kind einen ähnlichen Zugang zum Umgang mit Sterben und Beerdigungen entwickeln. Geht eine Familie selbstverständlich zur Beerdigung der Großmutter, alle gemeinsam, dann kann man das auch gemeinsam angemessen gestalten. Was Schickes anziehen. Über die Oma reden. Gottesdienst feiern. Zwischendrin weinen. Sich von der kleinen Enkelin ein Taschentuch zustecken lassen. Laut am Grab „Christ ist erstanden“ singen. Tapfer Fragen beantworten. Beim Trauerkaffee lecker Kuchen essen.
Sicher: Wenn ein Kind ein Elternteil verliert, wenn es sich um ein dramatisches Sterben handelt, dann liegen die Dinge mit einer deutlich größeren Heftigkeit auf dem Tisch. Dann ist oft auch professionelle Hilfe und Begleitung notwendig. Und dennoch hilft einem Kind der offene Umgang. Das Dabeisein. Damit die Bilder, mit denen es konfrontiert wird, begreifbar werden. Damit ein Kind seine Fragen stellen kann und Antworten und Orientierung bekommt. So unfertig das Gesagte sein mag. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, was für eine innere Kraft doch Kinder aufbringen können. Vom Sterbebett und aus der Schockstarre der Großen heraus läuft das Kind, wenn ihm irgendwann danach ist, wieder ins Kinderzimmer, um die Legoburg fertig zu bauen.
Ohne Karfreitag kein Ostern
Wie aber lässt sich nun konkret mit Kindern Leiden, Tod und Auferstehung von Jesus Christus angemessen erleben? Zunächst gilt es auch hier, einen Raum zu schaffen, in dem Kinder diese Geschichten hören und ihre Begegnungen machen können. Heißt konkret: Sie mit zu den Gottesdiensten zu nehmen. Gerade auch am Karfreitag. Dort hören sie im Kindergottesdienst die Geschichte von Verrat und Verhör, von den Schlägen und fiesen Sprüchen und vom Sterben am Kreuz. Und sie werden ihre Anknüpfungspunkte finden. In einem bestimmten Alter haben Kinder sogar gerade an den grausamen Details der Passion ein großes Interesse. Völlig normal.
Auf der Rückfahrt werden die Fragen aus den Kindersitzen im Akkord kommen.
„Warum hat der das mit sich machen lassen? Jesus ist doch der Stärkste! Der könnte die doch alle umschmeißen!“ – „Das stimmt. Aber sein himmlischer Vater hat gesagt: Das ist dein Weg. Du wirst auch sterben. Aber danach – danach mach ich dich wieder lebendig!“ – „Aber warum hat das denn sein Vater gesagt? Das ist doch gemein! Das tut doch weh!“ – „Du hast vollkommen recht. Ganz schön schwer zu verstehen. Aber Jesus ist diesen Weg gegangen, weil auch wir einmal sterben müssen. Er ist den Weg für uns vorgegangen. Und wir werden ihm einmal folgen.“ – „Hm. Hoffentlich tut es bei mir nicht so dolle weh … Und dann hat Gott Jesus einfach wieder lebendig gemacht?“ – „Genau! Ich weiß nicht wie. Aber Gott kann das. Tot lag Jesus im Grab. Aber sein Vater hat ihn wieder lebendig gemacht.“ – „Das ist toll. Mama und Papa – wenn ich mal im Grab liege und ihr alle ganz dolle traurig seid und der Posaunenchor auch da ist, dann macht mich Gott auch wieder lebendig – stimmt`s? Ich bin dann im Himmel.“ – „Genauso ist es. Und wir werden dann alle zusammen dort sein. Weil wir getauft sind. Mama, Papa, deine Geschwister! Das wird toll“ – „Aber etwas ist dann blöd!“ – „Was denn?“ – „Meine Eisenbahn. Die kann ich ja nicht mitnehmen“ – „Hey, im Himmel gibt es ganz viel Spielzeug. Das wird großartig!“ Und dann findet das Gespräch nur noch schwer ein Ende. „Und Fußball? Und grillen wir dort auch? Und können wir da immer lange aufbleiben? …“
Kinder verstehen Ostern wohl deutlich leichter als wir Großen. Und gerade, wenn das Leiden und die Auferstehung von Jesus Christus mit den eigenen Krankheits – und Todeserfahrungen der Kinder in Beziehung gesetzt wird, dann spannt sich ein hilfreicher Deutungsrahmen, der Orientierung schenkt und auch sprachfähig macht, über schwere Dinge im eigenen Leben zu reden.
Es ist wunderbar, Ostern mit den Kindern zusammen in den Gottesdiensten zu erleben. Wie besonders ist es, wenn die Eltern ihre Kinder zeitig am Ostermorgen wecken. Schnell anziehen. Nur ein Glas Milch trinken, dann los. Durch die dunklen Straßen zur Kirche. Mit müden Augen dasitzen. Dann kommen die coolen Jugendlichen mit dem Pastor und der großen Kerze. Und sie singen, was die Kleinen längst wissen: „Christus, Licht der Welt.“ Und später alle zusammen: „Der Herr ist auferstanden. Halleluja!“