Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Blaise Pascal
Anlässlich seines 400. Geburtstags in diesem Jahr wird in Artikeln und Büchern an Blaise Pascal, den genialen Physiker, Mathematiker, Philosophen und Gottsucher erinnert. Der Erfinder einer Rechenmaschine, mit dessen Namen wir noch heute die Einheit des Luftdrucks verbinden, war aber nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch ein religiöser Denker, und in beidem ein „Anwalt der Vernunft“.
Georg Gremels, bis zu seinem Ruhestand 2013 Pastor im Evangelisch-lutherischen Missionswerk Hermannsburg, hat leicht einen Zugang zu Pascals Welt und Denken gefunden, hat er doch selbst Chemie und Theologie studiert und erlebt, dass zwischen Natur- und Geisteswissenschaften kein Widerspruch herrschen muss.
Seine Annäherung an Blaise Pascal hat er in einen Briefwechsel mit einem fiktiven Freund gekleidet. Das ist insofern eine hilfreiche Form, als sie erlaubt, Themen kurz zu fassen und gleichzeitig den Briefempfänger, als ersten Leser, nachfragen zu lassen. Die Form ist allerdings zugleich auch die Schwäche des Buches, denn der Briefwechsel wirkt stellenweise etwas hölzern, konstruiert.
Aber trotz dieser Schwäche gelingt es Georg Gremels, Blaise Pascal als Person anschaulich zu machen und ein paar Eckpfeiler seines Werks in aller Kürze darzustellen.
Die Schmerzen und Krankheiten, unter denen Blaise Pascal schon in jungen Jahren litt, die fast symbiotische Beziehung zu seiner jüngeren Schwester Jacqueline, die ins Kloster geht, nachdem Blaise zweimal erfolgreich eine Heirat von ihr verhindert hat, seine eigene Gotteserfahrung – das alles wird in dem Buch einfühlsam erzählt, gut nachvollziehbar und leicht lesbar. So schildert Gremels beispielsweise die Nacht, in der Pascals „Memorial“ entstand: „Seit Jacqueline ihr feierliches Gelübde am 5. Juni 1653 abgelegt hatte, hatten Blaise seine Fluchtversuche vor Gott und sein inneres Ringen um ihn schon über ein knappes Jahr hin -und hegerissen. Wund gerieben hatte er sich am Ewigen! Dünn war die Wand zwischen ihm und Gott, zwischen seiner messerscharfen Rationalität und dem Transzendenten geworden. Da überwältigte ihn Gott in der Nacht des 23. Novembers 1654. Was er in den zwei Stunden zwischen 22.30 und 0.30 Uhr erlebte, hat er unmittelbar danach auf zwei Blättern festgehalten und sie als sein innerstes Geheimnis immer – vor allen verborgen – bei sich getragen.“
Dieses Memorial ließ Pascal in seinen Mantelsaum einnähen, damit er es immer bei sich habe. Die stammelnden Worte und Satzfetzen sind Pascals Zeugnis seiner Überwältigung durch Gott.
Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung sind die über neunhundert Fragmente entstanden, die nach seinem Tod unter dem Titel Pensées (deutsch: Gedanken) veröffentlicht wurden. Aus dieser Fülle nimmt Gremels einige heraus, stellt sie exemplarisch vor – und macht damit durchaus Lust, sich weiter mit Blaise Pascal zu beschäftigen.
Georg Gremels
Blaise Pascal. Ein Briefwechsel
Francke Verlag 2023, 175 Seiten, 14,00 Euro
Deutsch. Eine Liebeserklärung
Das Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen, soll Mark Twain einmal gesagt haben. Roland Kaehlbrandt beweist mit diesem Buch, dass man das ganz anders sehen muss. Anhand von „zehn Vorzügen unserer erstaunlichen Sprache“ zeigt der Sprachwissenschaftler, wie vielseitig, wie ausdrucksstark, ja wie liebenswert unsere Sprache ist.
Und das sind die zehn Vorzüge der deutschen Sprache laut Kaehlbrandt: sie ist einfühlsam und ausdrucksstark, sie ist geschmeidig in der Wortbildung, sie ist gelenkig im Satzbau, sie ist schnell und kurz, wenn es sein muss, sie ist leserfreundlich in der Rechtschreibung, sie ist normiert als Standardsprache, sie ist verfeinert als Literatur- und Bildungssprache, sie ist vielfältig und weitverbreitet, sie ist aufnahmewillig und integrationsfähig und sie ist aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen.
Wenn Sie jetzt bei dem einen oder anderen Vorzug gedacht haben: Was, ausgerechnet das Deutsche!? dann sollten Sie Kaehlbrandts Liebeserklärung lesen, Sie werden Ihre Sprache mit anderen Augen anschauen.
Ein kleines Beispiel gefällig? Die Partikel, jene Füllwörter, über die in der Schule eher kritisch geurteilt wurde, lobt Kaehlbrandt: „… als wüsste die deutsche Sprache, dass Barschheit bei uns so häufig ist, hat sie uns gerade eine Vielzahl von freundlichen, kommunikationsfördernden Partikeln an die Hand gegeben“.
Denn es klingt doch viel netter, wenn das Kind gefragt wird: „Wie heißt du denn?“ statt nur „Wie heißt du?“ Oder wenn der Vater den Sohn auffordert „Mach’s halt!“ statt nur „Mach’s!“ Oder die Mutter, besorgt um ihre Tochter, fragt „Wo bleibt sie bloß“ statt nur „Wo bleibt sie?“
Ja, schon da ist man dieser liebenswerten Sprache durchaus zugetan, und folgt dem Autor vergnügt weiter, wenn er belegt, dass das Deutsche auch kurz sein kann, nicht nur ellenlang und verschachtelt. Die sozialen Medien bringen einen neuen „Geschwindigkeitsjargon“ hervor. Kaehlbrandts Beispiele beweisen: das Deutsche kann das ab.
Rechtschreibung und Grammatik versteht man nach der Lektüre nicht mehr (nur) als lästige Gängelei, sondern als Norm, die sich bewährt. Nur so ist es nämlich möglich, dass wir Werke früherer Zeiten, von Luther bis Goethe noch lesen und verstehen können.
Aber gutes Deutsch ist mehr als nur richtiges Deutsch. Literatur, eine Predigt, ein wissenschaftlicher Aufsatz, ein Protokoll – jede Gattung verlangt nach einem angemessenen Stil. Auch hier bietet der Autor zahlreiche anschauliche Beispiele, die das Lesen unterhaltsam machen.
Das Porträt der deutschen Sprache, gezeichnet von einem Liebhaber, der die Porträtierte kennt wie kaum einer, und sie erstaunlich schön erscheinen lässt.
Roland Kaehlbrandt
Deutsch. Eine Liebeserklärung
Piper Verlag 2022, 255 Seiten, 12,00 Euro
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