Martin Luther – ein Diakoniker?

 
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Reformation in Vortrag und Musik“ des Pfarrbezirks Marburg der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) war am 23. September SELK-Diakoniedirektorin Barbara Hauschild zu Gast in der Marburger Auferstehungskirche. In ihrem Vortrag „Nun gibt es keinen größeren Gottesdienst als die christliche Liebe – Luther und die Diakonie“ ging die Theologin der Frage nach, ob die Äußerungen des Reformators ihn als einen Diakoniker auszeichnen.

Diakonie

Vordergründig ist Martin Luther für das Thema von der Rechtfertigung allein aus Gnaden bekannt. Schließt die Rechtfertigung aus Gnaden nicht von vornherein die Betonung der guten Werke aus, die die Diakonie ausmachen? Dem widerspricht die Referentin. Zwar kommt das Wort „Diakonie“ nur einmal in den Schriften Luthers vor, so Hauschild, nicht desto weniger sind die guten Werke für Luther von immenser Bedeutung – nur: Dass sie für die Annahme durch Gott unnütz sind, war ihm ebenso wichtig.

Luther war entschieden gegen die Armut, die durch die Institution des Almosengebens am Leben erhalten wurde. So waren die Reichen verpflichtet, von dem, was sie von Gott geschenkt bekommen haben, den Armen abzugeben. Die Armen wiederum waren verpflichtet, für das Seelenheil ihrer Wohltäter zu beten. Somit wurden durch die Almosen die Unterschiede zwischen Reichen und Armen zementiert. Für die Armen war ein Entkommen aus der Armut unmöglich. Nach Luther sollte jeder selbst für seinen Lebenserwerb verantwortlich sein. Wer das nicht kann, dem soll geholfen werden, damit er es kann. Luther vertrat die moderne Position „Hilfe zur Selbsthilfe“, so Hauschild. Die Hilfsinstanz war für Luther die jeweilige Gemeinde vor Ort, wie man aus der „Leisninger Kastenordnung“ (1523) herauslesen kann. Dabei war Luther gegen jede andere Veränderung der sozialen und gesellschaftlichen Ordnungen, was man an seiner ambivalenten Rolle während der Bauernaufstände ablesen könne, so Hauschild.

Dabei betonte die Diakoniedirektorin, dass Luther entschieden gegen die sogenannten geistlichen guten Werke eingetreten ist, die in der damaligen Vorstellung für das Seelenheil sorgten. Dagegen unterstrich er, dass jede Tat, die im Glauben an Jesus Christus geschieht, egal, wie profan und alltäglich sie sein mag, so ein gutes Werk ist. Und umgekehrt: Jede Tat, die ohne diesen Glauben geschieht, ist kein gutes Werk, egal, wie gut und angesehen sie vor Menschen ist. Der größte Gottesdienst – und das passt zum Thema „Diakonie“ – ist nach Luther, seinen alltäglichen Aufgaben im Rahmen der Ordnungen Gottes nachzugehen.

Nach dem Vortrag gab es ein Forum mit Aussprache und Fragen an die Referentin. Für den Großteil des Forums bedeutet es Freiheit, nicht bestimmte gute Werke aus einer Liste abarbeiten zu müssen, sondern mit Liebe und Aufmerksamkeit für den anderen ihm dort zu helfen, wo er es braucht. Die Diakoniedirektorin bezeichnete es als „Diakonie für Fortgeschrittene“, wenn in Kirchengemeinden eine Atmosphäre entstehe, in der die Betroffenen frei von Sorge, verurteilt zu werden, ihre Probleme und Nöte ansprechen könnten. Eine Meldung aus dem Forum empfand die Diakoniedirektorin als eine gelungene Zuspitzung: „Wenn ich die Liebe habe, kann ich machen, was ich will.“

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