Karfreitag
„O große Not! Gott selbst liegt tot! Am Kreuz ist er gestorben.“
Gedanken zum Karfreitag
Gott selbst liegt tot? Kann man das wirklich so sagen und singen? Johannes Rist (1607-1667), der Dichter der Strophen 2-6 des Liedes „O Traurigkeit, o Herzeleid“ (Ev.-Luth. Kirchengesangbuch / ELKG² Nr. 435) tat es jedenfalls.
Während die 1. Strophe Friedrich von Spee zugeschrieben wird, textete Rist fünf weitere Liedverse als „Grablegungsgesang Jesu“. Offenbar tief ergriffen von dem Drama des Karfreitags, an dem „der Kosmos den Atem anhielt.“
Am Karfreitag ist alles anders als sonst. Wo die Karfreitagsliturgie so gefeiert wird, wie es die Ev.-Luth. Kirchenagende (S. 291 ff.) vorsieht, kann man das mit allen Sinnen spüren: Der Altar ist bis auf das Kruzifix und vielleicht eine Dornenkrone nackt und leer. Kein Altartuch, keine Kerzen, keine Blumen. Die Orgel schweigt. Auch dort, wo sonst sonn- und festtäglich das Heilige Abendmahl gefeiert wird, unterbleibt am Karfreitag die Sakramentsfeier. Nur an diesem Tag werden die sog. Improperien, die Anklagen Jesu an sein Volk (in Anlehnung an Micha 6,3-4) gesungen oder gesprochen. In vielen Gemeinden wird die ganze Passion nach dem Evangelisten Johannes, vielleicht mit verteilten Rollen, verlesen. Höhepunkt der Lesung ist das letzte Wort Jesu am Kreuz: „Es ist vollbracht!“ (Johannes 19, 30) Und auf den Nachsatz „…und neigte sein Haupt und verschied“ kniet man nieder und verharrt im schweigenden Gebet.Am Karfreitag ist alles anders als sonst. Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten, dass in der Todesstunde Jesu eine Sonnenfinsternis eintrat. Schwarz wie die Nacht wird das ganze Universum angesichts des Todes des Sohnes Gottes. Schwarz ist die liturgische Farbe am Karfreitag.
„O große Not! Gott selbst liegt tot! Am Kreuz ist er gestorben.“
Wäre das der letzte Satz, das letzte Wort, wäre es ein trostloses Wort, ja sogar eine Irrlehre.
Johannes Rist hat das wohl gespürt und es bei diesem Satz nicht belassen, sondern gleich hinzugefügt: „…hat dadurch das Himmelreich uns aus Lieb erworben.“
Wie auch bei einer totalen Sonnenfinsternis die schwarze Sonnenscheibe von einem strahlenden Ring, dem sog. Diamantring-Effekt, umgeben ist, so ist diese schockierende Spitzenaussage „Gott selbst liegt tot“ umringt vom Diamantring-Effekt der Liebe und Erlösung: Ostern leuchtet bereits auf!
Oder: Die Mitte der Nacht ist der Anfang eines neuen Morgens.
Am Karfreitag ist alles anders. Ja. Aber vor allem: Damit wurde alles anders. Früher sagte man, der Karfreitag sei der „höchste evangelische Feiertag“. Und man hört das gelegentlich immer noch. Wäre Karfreitag der „höchste Feiertag“, wäre er durch nichts mehr zu überbieten. Dann käme nichts mehr danach.
Doch danach wurde es Ostern. Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein: Christ will unser Trost sein!
© Fotos:
Dornenkrone: Lisa Thornberg | iStockphoto.com
Sonnenfinsternis: Spaceaero2 | wikimedia.org