„Da riss der Vorhang von oben bis unten entzwei“
Ein kaum beachtetes Moment, und doch so beredt und anschaulich: Im Moment des Todes Jesu reißt der Tempelvorhang mitten entzwei. SELK-Pfarrer Michael Bracht (Wuppertal) hat dazu eine Kunstinstallation geschaffen, die dieses Geschehen eindrücklich veranschaulicht.
Es ist ein Detail, aber alle synoptischen Evangelien berichten übereinstimmend, dass der Vorhang im Tempel zerriss im Augenblick des Todes Jesu. Pfarrer Michael Bracht (Wuppertal) holt dieses Detail mit seiner Installation ins Zentrum des Betrachtens. Rund fünf Meter hoch und drei Meter breit ist der Vorhang, der noch bis Ostern – in zwei Teilen – in der Apsis der Ev. Kirche in Meerbusch-Osterath hängt.
In der Bibel wird dieser Vorhang beschrieben in der Anweisung für die Gestaltung der Stiftshütte: „Du sollst einen Vorhang machen aus blauem und rotem Purpur, Scharlach und gezwirnter feiner Leinwand und sollst Cherubim einweben in kunstreicher Arbeit …“ (2. Mose 26,31)
Blau und rot ist denn auch Michael Brachts Vorhang, feine Leinwand hat er benutzt. Und die Cherubim sind eingewebt – in Form von zwei Flügeln, goldumrandet. Dass Cherubim in der Bibel erstmals in der Genesis (1. Mose) auftauchen, wo sie nach dem Sündenfall und der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten Eden von Gott als Wächter vor dessen Zugang aufgestellt werden: Was für Sinnbild angesichts des Karfreitagsgeschehens. Jesu Erlösungstat eröffnet den Zugang zu Gott; der Vorhang ist zerrissen. „Die Anwesenheit Gottes, die im Alten Bund nur verborgen hinter dem Vorhang geglaubt wurde, wird in dem durch Jesus begründeten Neuen Bund unmittelbar, unverhüllt sichtbar“, so Michael Bracht. Ihm fiel in diesem Zusammenhang schnell das Weihnachtskirchenlied ein: „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“, wo es am Schluss heißt: „der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis!“ (Evangelisch-Lutherisches Kirchengesangbuch Nummer 21, Strophe 6). Es war in der Weihnachtszeit, als Michael Bracht die Leinwand für sein Kunstwerk im Gemeinderaum seiner Gemeinde auf dem Boden liegen hatte – und er lag auch mehrfach selbst am Boden, bis er schließlich rausgefunden hatte, mit welcher Technik die Farbe so, wie er sie haben wollte, aufgetragen werden konnte.
Die Reduzierung ist immer wieder ein Mittel, das sich in Michael Brachts Kunst findet. 2017 wollte er im Rahmen des Reformationsjubiläums 95 Tintenkleckse darstellen. Am Ende hing im Altarraum, hinter dem Kreuz, ein einziger großer Tintenklecks. Auch das ein Symbol mit großer und die Fantasie anregender Aussagekraft.
Für Kunst interessierte sich Pfarrer Bracht „eigentlich schon immer“, wie er sagt. Initialzündung für das eigene Schaffen waren dann unter anderem die Begegnungen mit dem Maler Edgar Hofschen (1941–2016), dessen Frau Gemeindeglied der Martini-Gemeinde in Radevormwald ist, deren Pastor Michael Bracht von 1990 bis 1998 war. Die Werke Hofschens inspirierten Bracht, auch selbst künstlerisch tätig zu werden. Besonders gern arbeitet er mit Tusche, oft lassen sie einen spirituellen, asiatischen Hintergrund erkennen, ein Thema, das der Künstlerpfarrer seit einigen Jahren für sich entdeckt und das ihn in seinem Leben beeinflusst.
Nicht in allen seinen Kunstwerken verbinden sich seine „beiden Berufungen“, die des Pfarrers und die des Künstlers, aber wo sie es tun, freut ihn das besonders, denn er ist überzeugt, dass in unserer Zeit, die von Bildern regiert wird, und das Wort es eher schwer hat, die visuelle Vermittlung einen wichtigen Zugang zur biblischen Botschaft darstellen kann.
Zu seiner aktuellen Installation hat der Organist Jürgen Gottmann (Wuppertal) eigens ein Stück komponiert mit dem Titel „Rumperendum“, Assoziationen zum Rezitativ Nr. 63 aus der Bachschen Matthäuspassion, das im Rahmen der der Vernissage uraufgeführt wurde. Verkündigung, die die Sinne anspricht: Die Besucher waren begeistert. Es ist zu wünschen, dass der zerrissene Tempelvorhang von Michael Bracht auch andernorts noch oft seine Wirkung entfalten kann.
Und natürlich hat Michael Bracht auch schon Ideen für neue Projekte im Kopf und in der Planung; man darf gespannt sein.
Weitere Informationen: kunstinkirchen.info