
Lesepredigten: 25. Jahrgang
Andreas Schwarz ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Baden (ELKiB), die mit der SELK seit 1981 in Kirchengemeinschaft steht. Er gibt seit 1999 die Reihe „Lesepredigten“ in gedruckter und digitaler Form heraus, die eine wertvolle Sammlung von Predigten für Lektorinnen und Lektoren in der SELK, aber auch für andere Interessierte darstellt. Mit dem aktuellen 97. Band der Lesepredigten startet die Serie in ihren 25. Jahrgang – ein Grund zum Feiern! Wir haben Pfarrer Andreas Schwarz für ein Interview befragt.
selk.de-Redaktion:
Herzlichen Glückwunsch, lieber Andreas Schwarz, zu 25 Jahrgängen der „Lesepredigten“. Wie feiern Sie diese beständige und wichtige Arbeit, die Sie für die SELK leisten und was war Ihre schönste Erfahrung in all den Jahren?Andreas Schwarz: Danke für die Glückwünsche, die ich gerne annehme. Ehrlicherweise gab und gibt es keine Feier aus dem Anlass, mir war das gar nicht so bewusst. Wichtig waren meine Gedanken, als die vierte 6-Jahres-Beauftragung in diesem Jahr zu Ende ging. Denn es galt für die Kirchenleitung der SELK und mich zu entscheiden, ob es noch einmal 6 Jahre und damit deutlich in meinen Ruhestand hinein weitergehen soll. Wir haben das gemeinsam so entschieden. Meine größte Freude ist, einen sichtbaren Teil unserer Kirchengemeinschaft zwischen der SELK und der ELKiB darstellen zu dürfen. Denn es tragen Verfasser aus der ELKiB mit zu den Predigten bei und in den Gemeinden unserer Kirche werden die Predigten fleißig genutzt. Eine schönste Erfahrung kann ich nicht benennen. Aber wenn ich sehe, wer 1999 zum Kreis der Verfasser gehörte und wie sich dieser Kreis heute zusammensetzt, dann freut es mich, dass viele junge Prediger dazu gekommen sind. Und von denen gibt es zum Teil wundervolle Predigten, die so sind, wie ich sie mir persönlich wünsche.
selk.de-Redaktion:
Sie sind seit 2001 Pfarrer der ELKiB in Pforzheim und waren zuvor für die SELK in Witten, Saarbrücken/Walpershofen und Uelzen aktiv. Was schätzen Sie besonders an unserer Kirche und wie gestaltet sich Ihre derzeitige Verbindung zur SELK? Sie halten doch sicherlich nach wie vor einen aktiven Kontakt zu Pfarrern unserer Kirche, oder?
Andreas Schwarz: Die Frage möchte ich gern wieder ausdehnen darauf, was ich an unseren Kirchen (Plural) schätze. Es ist die Stärke großen persönlichen Engagements von Gemeindegliedern, denen ihre Kirche wichtig ist, die sich gern mit ihrer Kraft und Zeit für den Gottesdienst einsetzen wollen und dazu begleitet werden möchten. Die Selbständigkeit unserer Kirchen, die in besonderer Weise von den Gemeinden und ihren Gliedern nicht nur finanziert, sondern eben auch inhaltlich getragen wird. Mündigkeit und die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, schätze ich. Meine Beziehung gestaltet sich auf drei Ebenen. Zum einen gehören unsere Familien und Freunde weiterhin zur SELK, wenn auch zum Teil mit zunehmender Sorge. Als Zweites sind da alle die Menschen, mit denen ich zusammen studiert und musiziert habe und zu denen der Kontakt auch freundschaftlich lebendig geblieben ist. Und drittens leben wir hier im Bereich Nordbaden die Kirchengemeinschaft so eng, dass es im Grund genommen kirchlich eines ist. Gemeinsame Gottesdienste, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen, Kanzeltausch zwischen unseren Kirchen sind selbstverständlich bzw. anders gar nicht denkbar oder möglich. Auf dem Wege, Predigten zu bekommen, ist der Kontakt natürlich ebenfalls unverzichtbar. Viele der Verfasser kenne ich persönlich, im Lauf der Jahre sind viele dazu gekommen, die ich nicht mehr selbst in meiner Zeit in der SELK erlebt habe. Da beschränkt sich der Kontakt auf die digitale Kommunikation.
selk.de-Redaktion:
Die Publikationen „Lesepredigten“ hatten schon viele in der Hand, insbesondere Lektorinnen und Lektoren. Wie genau gelangen Sie an die Predigten? Wie entscheiden Sie, welche Predigten sich am besten für das Heft eignen?
Andreas Schwarz: Wenn ich die erste Frage beantworte, hat sich die zweite von selbst erledigt. Als ich 1999 in diese Arbeit eingestiegen bin, hat der Geschäftsführende Kirchenrat Michael Schätzel alle Pfarrer der SELK um Mitarbeit gebeten. Daraus ist ein Pool von ca. 40 Verfassern geworden. Konzipiert ist es so, dass im Jahr 4 Hefte mit je 8 Predigten erscheinen, also 32 Verfasser benötigt werden. Jeder kommt so nach 1 ¼ Jahr wieder dran. Ich erteile konkrete Aufträge, was den Sonn- oder Feiertag und den Bibeltext angeht. Ich entscheide also nicht zwischen mehreren mir vorliegenden Predigten, sondern habe immer genau so viele Predigten, wie benötigt werden. Nach meiner Wahrnehmung eignen sich die Predigten aus der Sicht von Lektoren, für die wir die Arbeit tun, sehr unterschiedlich. Nur zweimal haben wir vorgelegte Predigten nicht abgedruckt. Das war aber keine theologische oder gar persönliche Entscheidung. Es ging und geht grundsätzlich um die Verwendung durch die Lektoren. Wir waren der Überzeugung, dass die entsprechenden Predigten zum Vorlesen im Gemeindegottesdienst nicht geeignet waren. Das waren aber absolute Ausnahmen, grundsätzlich spiegeln die Predigten die Unterschiedlichkeit der Verfasser wieder. So wird in der SELK und der ELKiB gepredigt.
selk.de-Redaktion:
In unserer Kirche sind Lektorinnen und Lektoren wichtige Säulen in der gottesdienstlichen Versorgung unserer Gemeinden. Welche Erfahrungen haben Sie in der Vergangenheit gemacht bzw. machen Sie aktuell in Bezug zum wertvollen Ehrenamt des Lektorendienstes?
Andreas Schwarz: Zunächst halte ich es grundsätzlich für gut und wichtig, dass Gemeinden auch ohne Pfarrer einen Gottesdienst halten können, wenn sie dazu vorbereitet, angeleitet und ausgestattet werden. Unter dem Stichwort des Priestertums der Glaubenden ist das ein angemessenes Zeichen für lebendige Gemeinde der Heiligen. Konkret erlebe ich diesen Schatz hier vor Ort. In meiner Urlaubszeit darf ich mich darauf verlassen, dass Gemeindeglieder in einem Team Gottesdienste mit der Gemeinde feiern, sich dabei das Verlesen der Predigt, die gesungene Liturgie, Lesungen und Gebete untereinander aufteilen. Das stärkt das Selbstbewusstsein der Gemeinde, befördert das Engagement und nimmt ihnen die Sorge vor der Möglichkeit, keinen Pfarrer zur Vertretung zu finden. Und da es hier im Bereich Nordbaden kaum Emeriti gibt, ist das Engagement der Gemeindeglieder für den Gottesdienst ein Schatz und Zeichen göttlichen Segens.
selk.de-Redaktion:
Können Sie sich in der Vergangenheit an eine besonders eindrucksvolle Predigt erinnern, die Ihnen im Gedächtnis geblieben ist und die ihren Weg in die „Lesepredigten“ gefunden hat?
Andreas Schwarz: Das kann und möchte ich so nicht sagen. Aber zuletzt gab es einen erfreulichen Austausch mit einem meiner theologischen Begleiter bei der Korrektur der Lesepredigten. Der sagte: Ich habe eine Predigt lesen dürfen, die hätte ich genauso übernehmen und selbst auch halten können. Wir waren uns in der Wahrnehmung einig.
selk.de-Redaktion:
Wir gehen nun ins 25. Jahr der „Lesepredigten“, der 25. Jahrgang startet derzeit mit Band 97. Wie sehen die kommenden 5 oder 25 Jahre aus? Was bleibt bestehen, weil es sich bewährt hat, und wird sich das Heft verändern?
Andreas Schwarz: Für mich geht es tatsächlich um fünf Jahre. Da wird sich nicht viel ändern, voraussichtlich. Der Stamm an Verfassern sieht stabil aus. Auch bei denen, die mir helfen, Predigten zu korrigieren – zwei Theologen und fünf Gemeindeglieder – sieht es verheißungsvoll aus. Die sind alle motiviert und hilfsbereit, selbst aktive Prediger oder Hörer. Und nicht zuletzt wird die ganze Arbeit am Ende von einer professionellen Lektorin bearbeitet. Das ist mir eine riesengroße Hilfe und bis zum Ende der aktuellen Beauftragung zugesichert. Was sich ändern wird, ist womöglich der Bedarf an gedruckter Predigt, vermutlich wird das digitale Angebot zunehmen. Aber auch das wird aktuell schon wunderbar geleistet. Wenn in fünf Jahren ein Nachfolger gefunden wird, gibt es aber vielleicht auch völlig neue Ideen.
selk.de-Redaktion:
Derzeit sind Sie als ELKiB-Pfarrer in Pforzheim eingesetzt und gelten als Predigtliebhaber und -experte. Was macht für Sie - ganz persönlich - eine gute Predigt aus?
Andreas Schwarz: Ich persönlich halte die theologisch saubere, wissenschaftlich-fundierte Vorbereitung für unerlässlich. Mit den uns zur Verfügung stehenden Methoden und Hilfsmitteln gilt es, den Text zu erschließen: Wer hat wann was warum zu wem gesagt? Ein Verständnis des Textes in seinem historischen Umfeld, in seiner Bedeutung für die, die das zuerst gehört haben. Dann braucht es ebenso sauber homiletische Arbeit; also wo sind die Bezüge zu uns und unserem Leben in unseren Lebensumständen? Grundsätzlich gilt für mich, eng am biblischen Text zu bleiben. Bilder und Beispiele engen die Weite des Textes oft unnötig ein, legen ein Verständnis nahe und blenden vieles andere aus. Wichtig ist, dass Menschen hören, dass sie mit ihrem Leben im Blick sind und vorkommen, dass sie angesprochen, getröstet und gestärkt werden. In zunehmend schwierigen Zeiten umso mehr.
Ich erlebe Predigthörerinnen und -hörer in unseren Kirchen als sehr aufmerksam und mit viel Erwartung. Die benötigen keine Geschichten für Kinder, sondern wollen als erwachsene und mündige Christen ernstgenommen werden. Viele von ihnen wissen auch einfach richtig gut Bescheid und hoffen auf qualifizierte, gut vorbereitete Predigten. Und dann liegt mir Sprache am Herzen. Ich freue mich an klarer und sauberer Sprache, damit genau das gesagt wird, was gemeint ist. Außerdem sollten aus meiner Sicht Predigten inhaltlich nicht besserwisserischen, bevormundenden oder von oben herab belehrenden Charakter haben. Es braucht nicht den Erweis von Wissen, Fremdworte helfen auch wenig. Verständlich und ‚normal‘ vom Heiligen und Fremden reden. Als Prediger immer auch selbst vom Wort angesprochen zu sein. Das sind nur ein paar Stichworte.
Lieber Andreas Schwarz, wir möchten Ihnen herzlich für das Interview danken und wünschen Ihnen Gottes Segen bei Ihrer Tätigkeit als Herausgeber der Reihe „Lesepredigten“.
Bleiben Sie stets behütet!
Das Interview führte Daniel Soluk für die selk.de-Redaktion
Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Leb deine Wahrheit …„Eine objektive Wahrheit gibt es nicht, also leb deine eigene Wahrheit.“ Das klingt gut und befreiend, oder? Genau wie „Nutze die Zeit, du lebst nur einmal“ oder „Du bist dein eigener Herr“ oder „Du sollst nicht urteilen“ oder „Nur die Liebe zählt“? Ja, solche wohlfeilen Sprüche klingen gut, und sie sind auch unter Christen mittlerweile populär.
Alisa Childers entlarvt solche plakativen Ratschläge in ihrem Buch als Lügen, die uns eben nicht frei machen, sondern ängstlich, selbstbezogen und erschöpft. Sie flüstern uns ein, dass wir uns selbst, unsere Gefühle, an die erste Stelle setzen sollen, dass wir alles in uns selbst suchen und finden können, dass wir uns selbst genügen.
An zehn gängigen Slogans zeigt die Autorin, wie leicht wir uns von Gottes Wort, aber auch von Logik und Verstand abbringen lassen. Sie rückt die „dekonstruierten“ Glaubensinhalte im Blick auf die Bibel zurecht, stellt sie wieder vom Kopf auf die Füße.
Gerade weil diese kulturellen Lügen positiv besetzte Wörter benutzen, ist es nicht immer einfach, zu erkennen, wie sie deren Bedeutung umdefinieren. „Christus nachzufolgen in einer Welt, die einem sagt, man solle sich selbst an erste Stelle setzen, ist ein schwieriger Weg“, konstatiert die Autorin daher am Schluss.
Ausgehend von persönlichen Anekdoten oder von (in den USA) beliebten Filmen und Büchern, deckt Childers wunde Punkte in manchen Argumentationsketten auf. Dass man nicht urteilen soll, zum Beispiel, ist schon fast zum Mantra in unserer Gesellschaft geworden. Dabei ist die Aufforderung, nicht zu urteilen, unrealistisch, ja sie kann sogar gefährlich werden. Und sie ist garantiert nicht biblisch.
Dass es aber unbequem werden kann, wenn man sich traut, etwas zu beurteilen, beschreibt Childers am Beispiel einer Rezension, die sie in ihrem Blog veröffentlichte. Sie kritisierte darin ein populäres Buch einer christlichen Autorin, weil sie zu der Überzeugung gelangt war, dass die Kernbotschaft dieses Buches das genaue Gegenteil des biblischen Evangeliums war. Mit der Unmenge an Hassbotschaften, die sie in den folgenden Wochen bekam, hatte sie nicht gerechnet. Die Botschaft war klipp und klar, so Childers: „… es sei falsch von mir, unbiblische Ideen in einem populären Buch zu kritisieren. Schließlich wäre Jesus nie ein solcher ‚Richterfuzzi‘ gewesen.“
Ja, es kann gelegentlich wehtun, sich den gängigen Slogans zu verweigern und sie zu demaskieren. Alisa Childers tut das nicht nur bibelkundig und geistreich, manchmal macht es ihr auch ganz offensichtlich Freude. Ihr dabei zu folgen auch.
Alisa Childers
Leb deine Wahrheit und andere Lügen; Typische Täuschungen, die unser Leben in die Enge treiben
Fontis Verlag 2023, 240 Seiten, 19,90 Euro
Die atheistische Gesellschaft und ihre KircheWas für die Kirche im Osten Deutschlands längst Realität ist, wird auch im Westen zunehmend erkennbar: die Gesellschaft ist weitgehend atheistisch. Die neuste Studie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat es gerade wieder bestätigt: Der Prozess der Entkirchlichung in Deutschland schreitet nicht nur weiter voran, er beschleunigt sich sogar rasant. Dabei zeigte sich in der Studie bei den Antworten der Kirchenmitglieder ein überraschendes Ost-West-Gefälle: Ostdeutsche Evangelische fühlen sich mit 82 Prozent deutlich stärker mit ihrer Kirche verbunden als Kirchenmitglieder im Westen (65 Prozent). „Die zunehmende christliche Minderheitensituation in Ostdeutschland geht inzwischen offenbar mit einer Stärkung kirchlicher Mitgliedschaftsidentität bei den verbliebenen Kirchenmitgliedern einher“, heißt es in der Studie.
Justus Geilhufe, 1990 als Pfarrerskind in Sachsen geboren, hat die Kirche der Nachwendezeit erlebt. Heute ist er Pfarrer der Domgemeinde im sächsischen Freiberg. In seinem interessanten Essay versucht er zu ergründen, was die Kirche aus den Erfahrungen der Gemeinden im Osten lernen könnte.
Die erwartbaren Verlautbarungen der Kirche zu politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen stießen kaum noch auf Interesse, so Geilhufe, ja, er selbst möchte nicht hören, „wie das richtige Leben hier in dieser Welt funktionieren kann“.
Die Kirche verwende alle Kraft darauf, die Gesellschaft zu verändern und selbst „ein Angebot vom richtigen Leben“ zu machen. Am Ende bleibe aber keine Kraft mehr übrig, um die Menschen mit all ihren Widersprüchen zu lieben und ihnen eine Heimat zu geben in der Wahrheit, Güte und Schönheit des Glaubens. Das könne die Kirche neu lernen, wenn sie nach Osten schaue. „Zu den Gemeinden, von denen die Gesellschaft schon lange nichts mehr will. Zu den Kirchen, die den vollständigen Zusammenbruch längst hinter sich haben.“
Protestantismus heiße, so Geilhufe, „sich immer wieder neu darauf zu konzentrieren, dass das Richtige nur als das, was Gott getan hat, verkündet werden kann. Mehr nicht.“ Die Kirche des Ostens habe über die Zeit getragen, was mit kirchlicher Tradition gemeint ist. „Das ruhige Vertrauen auf die Form, die überliefert ist, das Wissen darum, dass die Herausforderung von heute keine wesentlich neue ist, den Anspruch, auch angesichts einer veränderten Zeit das zu sagen, was schon immer wahr war.“
Ein sehr anregender Essay, der Mut macht, auf die Verheißungen Gottes zu vertrauen, auch in einer kleiner werdenden Kirche.
Justus Geilhufe
Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche
Claudius Verlag 2023, 133 Seiten, 20,00 Euro
Weitere Buchtipps finden Sie im Archiv.
Unser Bekenntnis – Artikel 8: Über die Wirklichkeit der Kirche
Das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) ist die grundlegende Bekenntnisschrift der im Konkordienbuch (1580) abgedruckten verbindlichen Bekenntnisse der Kirche der lutherischen Reformation. In loser Folge lesen Sie hier Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln von Dr. Gottfried Martens D.D., Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Berlin-Steglitz.
Obwohl die Kirche eigentlich die Versammlung der Heiligen und wahrhaft Glaubenden ist, so darf man doch, da in diesem Leben viele Heuchler und Schlechte daruntergemischt sind, die Sakramente gebrauchen, auch wenn sie von Schlechten verwaltet werden, nach dem Worte Christi: „Es sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer auf dem Stuhle Moses usw.“ Die Sakramente und das Wort sind wirksam wegen der Anordnung und des Befehls Christi, auch wenn sie durch Schlechte gespendet werden. Sie verurteilen die Donatisten und ihresgleichen, welche sagten, man dürfe in der Kirche den Dienst der Schlechten nicht hinnehmen, und meinten, der Dienst der Schlechten sei unnütz und wirkungslos.
Kurz bevor im Jahr 313 der christliche Glaube von Kaiser Konstantin zu einer erlaubten Religion erklärt wurde, hatte es unter seinem Vorgänger Diokletian noch einmal eine ganz heftige Christenverfolgung gegeben. Sie war so brutal gewesen, dass nicht wenige Christen, ja auch Priester, zeitweilig ihren Glauben widerrufen oder zumindest heilige Schriften oder heilige Geräte den Schergen des Kaisers ausgeliefert hatten. Als die Verfolgungszeit nun vorbei war, stellte sich der Kirche die dringende Frage, wie mit denen umzugehen sei, die während der Verfolgung vom Glauben abgefallen (lapsi) waren oder die heiligen Gegenstände herausgerückt hatten (traditores), nun aber in die Kirche zurückkehren wollten. Dabei ging es vor allem um diejenigen, die selbst ein kirchliches Amt versehen hatten und nun wieder nach ihrer Rückkehr dieses Amt in der Kirche versehen wollte. Der Streit entbrannte im Winter 312/313 in Karthago: Eine Gruppe erkannte den neugeweihten Bischof Caecilianus nicht an, weil unter denen, die ihn zum Bischof geweiht hatten, angeblich auch ein „traditor“ gewesen sei. Gegenspieler Caecilians war ein gewisser Donatus, der vierzig Jahre lang die später nach ihm benannten „Donatisten“ anführte, die sich von der Kirche getrennt hatten und behaupteten, ein Priester, der sich schwerer persönlicher Verfehlungen schuldig gemacht habe, könne die Sakramente nicht gültig spenden.
Bereits im 4. Jahrhundert wurde diese Irrlehre der Donatisten verworfen. Das Augsburger Bekenntnis stellt sich hier ganz bewusst in die kirchliche Tradition und macht zugleich deutlich, warum es falsch und gefährlich wäre, die Gültigkeit der Sakramente von der Würdigkeit des Spenders abhängig zu machen:
Der Glaube des Christen braucht etwas ganz Festes, an das er sich halten, an dem er hängen kann. Dieses Feste, das den Glauben schafft und an dem der Glaube hängen kann, sind die Sakramente und das Wort Gottes. Wenn nun die Gültigkeit und Wirksamkeit der Sakramente von der Würdigkeit dessen abhinge, der sie verwaltet, könnte der Glaube ja nie gewiss sein, ob er ein gültiges Sakrament empfängt. Wer weiß, was für ein würdiges oder unwürdiges Leben derjenige, der die Sakramente verwaltet, in Wirklichkeit führen mag! Nein, gültig und wirksam sind die Sakramente einzig und allein, wenn und weil sie gemäß der Anordnung und Stiftung Christi gespendet werden. Das reicht – und das muss reichen, um der Glaubensgewissheit der Empfangenden willen!
Auch wenn es die altkirchlichen Donatisten heute nicht mehr gibt, ist donatistisches Gedankengut auch heute noch weit verbreitet:
Dies geht schon damit los, dass es nicht wenige christliche Gruppen gibt, die versuchen, eine wirklich „reine Kirche“ zu schaffen, zu der nur diejenigen gehören, die auch tatsächlich „mit Ernst Christen sind“. Und so zieht man sich naserümpfend aus der größeren Gemeinschaft der Kirche zurück in kleine, fromme Zirkel, in der die Schar der wahrhaft Glaubenden sichtbar und auch leicht überschaubar ist und in der man mit den „Heuchlern“ in den großen Gemeinden nichts mehr zu schaffen hat. Es ist faszinierend, wie immer wieder sehr fromm erscheinende Gruppierungen diesem Irrtum verfallen, wo Jesus in seinem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Matthäus 13,24-30) doch schon so eindringlich davor gewarnt hatte, vor dem Tag des Jüngsten Gerichts die Scheidung zwischen wahrhaft Glaubenden und Heuchlern erkennbar machen und eben damit eine reine Kirche schaffen zu wollen. Unmöglich ist der Vollzug dieser Scheidung, weil diese Scheidung doch letztlich durch jeden einzelnen Christen hindurchgeht, der, solange er lebt, immer Sünder und Gerechter zugleich ist.
Auch eine scheinbar reine Gemeinde kann die Sünde eben nicht draußen vor der Tür lassen – im Gegenteil: In einer Gemeinde, die sich besonders rein vorkommt, besteht die besondere Gefahr, dass Christen sich in ihr sehr viel mehr wie der Pharisäer statt wie der Zöllner in Jesu Gleichnis in Lukas 18,9-14 verhalten. Die Unmöglichkeit dieser Scheidung zwischen wahrhaft Glaubenden und Heuchlern beschränkt sich dabei, so betont es das Augsburger Bekenntnis ausdrücklich, auf „dieses Leben“. Christus wird diese Scheidung am Ende sehr wohl zu vollziehen vermögen. Die Zugehörigkeit zu einer Institution namens Kirche allein vermag am Ende in Gottes letztem Gericht nicht zu retten. Rettung verheißt allein der Glaube, die Gemeinschaft mit Christus, die allerdings wiederum durch die Sakramente und die Verkündigung des Evangeliums vermittelt wird. Entsprechend ist und bleibt die Kirche die Versammlung der Heiligen und wahrhaft Glaubenden, weil sie dort erkennbar wird, wo Christen sich um Christus und seine Gaben sammeln.
Der Fokus des 8. Artikels des Augsburger Bekenntnisses liegt nun jedoch nicht darauf, dass es in einer christlichen Gemeinde immer auch nicht wenige „Namenschristen“ gibt, die in Wirklichkeit gar nicht mehr an Jesus Christus glauben. Das ist allemal traurig genug. Sondern der Fokus liegt, wie schon bei den donatistischen Streitigkeiten in der Alten Kirche, auf den Spendern der Sakramente, auf den Pfarrern: Darf ich von einem Pfarrer das Sakrament empfangen, der mir ein zweifelhaftes moralisches Leben zu führen scheint oder der sich nach meiner Einschätzung immer wieder wenig christlich benimmt?
Ja, ich darf es, sagt das Augsburger Bekenntnis, und darf dabei ganz von der Würdigkeit des Spenders wegblicken. Auf die kommt es nicht an. Entscheidend ist einzig und allein, dass die Sakramente nach der Ordnung und Einsetzung Christi verwaltet werden, dass das Wort Gottes so gepredigt wird, wie es der Heiligen Schrift entspricht. Ein Pfarrer kann weder durch seine Ausstrahlung der Wirksamkeit der Gnadenmittel etwas hinzufügen, noch kann er die Wirksamkeit der Gnadenmittel durch sein anstößiges Verhalten mindern.
Das ist gleichermaßen ein Trost für den Pfarrer, der um seine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten weiß: Was er austeilt, ist in seiner Gültigkeit und Wirksamkeit nicht von seiner eigenen Vollkommenheit abhängig. Und es ist ein Trost für die Gemeindeglieder: Sie dürfen gewiss sein, dass die Gnadenmittel bewirken, was sie sagen, weil allein die Anordnung und der Befehl Christi ihre Gültigkeit und Wirksamkeit gewährleisten. Von daher kann ich auch die Glieder unserer Gemeinde nur ermutigen, die Sakramente in unserer Gemeinde zu empfangen, auch wenn sie sich von dem, der sie austeilt, vielleicht eher abgestoßen fühlen.
Die Aussagen des 8. Artikels des Augsburger Bekenntnisses sind kein Freibrief für Pfarrer, dass sie sich persönlich verhalten können, wie sie wollen, da dies ja der Objektivität der Gabe des Sakraments keinen Abbruch tut. Dass auch Pfarrer Menschen ein gewaltiges Ärgernis sein und bereiten können, bedenkt Christus auch im Evangelium und spricht besonders den Fall an, dass jemand den „Kleinen“ ein Ärgernis bereitet: „für den wäre es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“ (Matthäus 18,6) Der Pfarrer predigt natürlich auch mit seinem Lebenswandel – aber er predigt dabei natürlich zuerst und vor allem dadurch, dass er zeigt, wie er selbst immer wieder umkehrt und aus der Vergebung lebt.
Die Aussagen des 8. Artikels des Augsburger Bekenntnisses warnen umgekehrt jedoch sehr wohl davor, dass Gemeindeglieder ihren Glauben statt an die Zusage Gottes in den Gnadenmitteln an einen Pfarrer hängen, den sie vielleicht besonders mögen, und ihm zutrauen, er könne über die Wirksamkeit der Gnadenmittel hinaus Menschen zum Glauben zu bringen. Pfarrer vermögen Menschen ein Ärgernis bereiten und ihnen damit den Weg zu Christus verstellen; den Glauben in einem Menschen hervorzurufen vermögen sie dagegen nicht. Von daher ist es durchaus auch als problematisch anzusehen, wenn in den Ankündigungen evangelischer Gottesdienste regelmäßig der Name des Predigers extra erwähnt wird und die Leser dadurch nur allzu leicht dazu verführt werden, ihre Entscheidung zur Teilnahme am Gottesdienst von der Persönlichkeit des jeweiligen Predigers oder seinen Predigtkünsten abhängig zu machen.
Ist es nach dem, was das Augsburger Bekenntnis hier sagt, also grundsätzlich egal, in welche Kirche und zu welchem Pfarrer ich in den Gottesdienst gehe? Problematisch ist es schon, wenn ich zu einer Kirche gehöre, bei der ich meine Entscheidung zur Teilnahme am Gottesdienst deshalb von einem Pfarrer abhängig machen muss, weil ich befürchten muss, dass bei anderen Pfarrern derselben Kirche oder gar Gemeinde die Orientierung an der Anordnung und dem Befehl Christi nicht gewährleistet ist. Dies entspricht gewiss nicht der „Einmütigkeit“ der Evangeliumsverkündigung und Sakramentsverwaltung, von der der 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses zuvor als Kennzeichen der wahren Kirche zu berichten wusste.
Wo aber die Anordnung und der Befehl Christi in der Verkündigung des Evangeliums und in der Verwaltung der Sakramente verletzt werden, da sollen wir in der Tat fernbleiben, weil damit in der Tat Gültigkeit und Wirksamkeit der Sakramente in Frage gestellt werden und weil es dann entsprechend auch ein „anderes Evangelium“ (vgl. Galater 1,8+9) wäre, was uns verkündigt wird. Anordnung und Befehl Christi werden beispielsweise verletzt, wenn man bei einer Taufe die Worte der Taufformel durch selbstgebastelte Kreationen ersetzt oder an die Stelle des fließenden Wassers ein feuchter Finger des Pfarrers tritt. Anordnung und Befehl Christi werden auch dort verletzt, wo bei der Feier des Heiligen Mahles die Abendmahlselemente des ersten Abendmahls Christi durch andere ersetzt werden oder wo aus dem Mahl des Leibes und Blutes Christi ein nettes Erinnerungs- oder Gemeinschaftsmahl gemacht wird.
Anordnung (lateinisch: ordinatio) und Befehl Christi werden aber auch dort verletzt, wo man glaubt, ohne die ordinatio Christi, ohne die Ordination, die Feier des Heiligen Mahls leiten zu können.
In all diesen Fällen geht es nicht bloß um die persönliche Schuld dessen, der das Sakrament austeilt und von der wir als Empfangende wegschauen sollen und dürfen. Sondern es geht um das, was das Sakrament zum Sakrament macht: um Christi Befehl, dem wir zu folgen haben. Dabei entscheidet dann auch in der Tat nicht die Mehrheit über die Wahrheit. Da kann es dann sehr wohl sein, dass man angefeindet wird, nur weil man sich nicht am kirchlichen „Mainstream“ beteiligt, sondern um der Anordnung und des Befehls Christi willen eine Kirche verlassen muss, deren Verkündigung und Praxis der Sakramentsverwaltung man nicht länger mitzutragen vermag. Dabei geht es dann nicht um die „reine Kirche“, wohl aber um das reine Evangelium. Und eben daran darf es niemals einen Abstrich geben. Und wie gut, wenn diejenigen, die uns das Evangelium rein und unverfälscht verkündigen und die Sakramente nach der Stiftung Christi verwalten, dann auch mit ihrem Leben bezeugen, was sie verkündigen und austeilen! Genau so stellt sich auch der 8. Artikel des Augsburger Bekenntnisses Kirche vor, auch wenn er darum weiß, dass ihr Erscheinungsbild nicht immer so eindeutig ist. Doch Hauptsache, dies eine bleibt klar: Es geht nicht um den Pastor; es geht um Wort und Sakrament!
Weitere Artikel zum Thema "Unser Bekenntnis" finden Sie im Archiv. | © Foto: Andrea Otto
Ewigkeitssonntag
„Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.“ (Offenbarung 21,2)
Man kann den Ewigkeitssonntag als Hochzeit feiern oder als Beerdigung. In meiner Kindheit herrschte am letzten Sonntag des Kirchenjahres eindeutig die Beerdigungsstimmung vor. Schwarzgekleidete Menschen, das Verlesen der Namen der Verstorbenen und das Lied „O Ewigkeit, du Donnerwort …“. Dieses endet mit: „Ich weiß vor großer Traurigkeit nicht, wo ich mich hinwende!“ Ja, das allerdings wusste ich als Kind bei solchen Gottesdiensten auch nicht. Und dann behaupteten die Leute noch, das wäre der zweithöchste evangelische Feiertag, gleich nach Karfreitag.
Ja, irgendwie evangelisch war das wohl schon, jedenfalls seit König Friedrich Wilhelm III als höchster Bischof seiner preußischen Landeskirche dieser 1816 einen Totensonntag verordnet hat. In liturgischer Hinsicht sachgerecht war das nicht unbedingt, weshalb die Gottesdienstordnungen seit 1950 sich bemühen, diese Verknüpfung von einen Gedenktag der Verstorbenen und dem letzten Sonntag im Kirchenjahr wieder zu lösen.
Bis heute gibt es den Brauch, dass Angehörige von Verstorbenen am „Totensonntag“ in den Gottesdienst gehen. Das ist gut, denn wo sollen all die Menschen denn anders auch hin, die wirklich nicht wissen, an wen sie sich mit ihrer Trauer wenden können? Aber ich wünsche mir, dass sie nicht nur ihre Gefühle und Erfahrungen von Ende und Verlust zur Sprache bringen dürfen, sondern dass sie darüber hinausgeführt werden.
Der Ewigkeitssonntag beantwortet Trauer nämlich nicht mit noch mehr Trauer, er verstärkt nicht das Dunkel, sondern er verstärkt das Licht.
Nicht Schwarz ist die liturgische Farbe dieses Sonntags, sondern strahlendes Weiß. Wir bekennen Christus auf dem Thron seiner Herrlichkeit, der der Erste und der Letzte ist. Er ist Alpha und Omega, darum schmücken wir traditionell jede Osterkerze mit diesen griechischen Buchstaben, weil Christus in der Auferstehung den Tod besiegt, vernichtet, überwunden hat. Wenn Christen an den Tod denken, dann denken sie an einen geschlagenen Feind.
Nicht umsonst vergleichen die Lesungen des Ewigkeitssonntags das ewige Leben bei Gott mit einer Hochzeit. Da ist von Festmahl und Brautschmuck die Rede, von Festfreude in einer Stadt, die aus Gold, Perlen und Edelsteinen gemacht ist, von Chören ohne Zahl, von Braut und Bräutigam im Festsaal. Ewigkeitssonntag – wie das funkelt und glänzt, jubiliert und feiert!
Das ist das, was alle, die an Christus glauben, erwartet! Hochzeitsfreude, das ist die Stimmung des Ewigkeitssonntags. Unsere Toten sind nicht in ein bodenloses, schwarzes Nichts gefallen. Sie haben, so sie im Glauben gestorben sind, gehört, was Christus im Gleichnis sagt: „Wohl dir, du tüchtiger und treuer Knecht. Geh ein zu deines Herrn Freude.“ (Matthäus 25,21)
Wir feiern Ewigkeitssonntag, das sollen alle sehen und hören. Die Kirche kann den Menschen, die mit Angst und Trauer und Unsicherheit ringen, etwas sagen und zeigen, was ihnen niemand sonst sagen kann und was den entscheidenden Unterschied macht. Den kann man so beschreiben, wie das andere Lied von der Ewigkeit, das es leider nicht ins neue SELK-Gesangbuch geschafft hat, es tut:
O Ewigkeit, du Freudenwort,
das mich erquicket fort und fort,
o Anfang ohne Ende.
O Ewigkeit, Freud ohne Leid,
ich weiß vor Herzensfröhlichkeit,
gar nichts mehr vom Elende,
weil mir versüßt die Ewigkeit,
was mich betrübt in dieser Zeit. (ELKG 325,1)
Pastoralreferentin Dr. Andrea Grünhagen
Referentin für Theologie und Kirche
Bollerwagen & Sprudelwasser
Pfarrer Harald Karpe von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist vor wenigen Monaten in den Ruhestand gegangen und mit seiner Frau nach Radebeul bei Dresden gezogen. Schon immer hatte der rührige Seelsorger ein Herz für missionarische Einsätze. Daran hat sich auch im Ruhestand nichts geändert, wie sich im Interview mit selk.de zeigt.
SELK.de: Herr Pfarrer Karpe, man sieht sie neuerdings mit einem Bollerwagen in Dresdens Innenstadt. Was hat es damit auf sich?
Pfarrer Karpe: Mit meinem Ruhestand bin ich in unsere Dresdner Dreieinigkeits-Gemeinde als Gemeindeglied gekommen. Dort sprach mich ein Mann an und fragte mich, ob ich mit ihm in den Fußgängerzonen Bibeln verteilen könne. Er wollte das nicht allein machen und hatte noch keine Erfahrung damit.
SELK.de: Wie sind Sie auf die Idee mit der Bollerwagenstation gekommen?
Pfarrer Karpe: Nun, ich habe dem Mann gesagt, dass man dazu einen Aufhänger braucht. Einfach so hinstellen und Bibeln verteilen, das kann ich mir schlecht vorstellen. Pfarrer Matthias Tepper (SELK) hat als Aufhänger für seinen Missionsdienst in Plauen seine Kaffeekarre. Das erschien mir zu aufwendig. So bin ich auf die Idee mit dem Wasser und dem Bollerwagen gekommen. Einen kleinen Campingtisch haben wir auch noch mitgenommen. Vor der Frauenkirche steht ein Lutherdenkmal. In dessen Schatten haben wir uns platziert und haben kostenlos Wasser zum Trinken angeboten. Wenn wir dabei mit Leuten ins Gespräch gekommen sind, konnten wir ihnen auch gelegentlich ein Neues Testament schenken.
SELK.de: Brauchte das Projekt eine besondere Vorbereitung?
Pfarrer Karpe: Kaum. Ein Bollerwagen war schnell gefunden. Anne-Sophie Schmidt aus unserer Gemeinde hat ihn mit Schriftfolien gestaltet. Die Gideons haben ihre Genehmigung gegeben, dass wir ihre Ausgaben des Neuen Testaments verteilen können, Faltblätter unserer Gemeinde waren vorrätig und Wasserflaschen haben wir im Supermarkt gekauft. Eine wichtige Vorbereitung war uns das Gebet.
SELK.de: Wie ist die Resonanz auf das Angebot, kostenloses Wasser zu bekommen?
Pfarrer Karpe: Sehr unterschiedlich. Viele haben demonstrativ weggeschaut. Einige haben das Angebot abgelehnt und gesagt, dass niemand was verschenkt, da muss ein Haken dran sein. Viele haben gesagt, dass dies eine super Idee sei – vor allem bei der Hitze. Die meisten waren verwundert, dass jemand wirklich etwas verschenkt. Dabei bekommen wir das Wichtigste immer nur geschenkt: unser Leben, Liebe, das ewige Heil.
SELK.de: Berichten Sie uns von ersten bemerkenswerten Erlebnissen, bitte!
Pfarrer Karpe: Ein 80-Jähriger aus dem Ruhrpott hat auf seine Frau gewartet und kam zu uns. Er schimpfte sofort auf Kirche, aus der er bereits mit 18 ausgetreten sei. Es wurde ein längeres Gespräch, bei dem er immer nachdenklicher wurde. Ich konnte ihm dann zum Abschied noch ein Neues Testament schenken, das er dankend annahm. Als seine Frau kam und das sah, hat sie sich bei uns bedankt. Wir haben auch Touristen gesprochen, die in ihrer Gegend SELK-Gemeinde kannten (z. B. aus Kiel). Etliche Dresdner, die bei uns Wasser getrunken haben, kannten unsere Kirche am Großenhainer Platz. Wir konnten also Samen in der Nähe und der Ferne ausstreuen. Spannend war auch, wie viele Sprachen an unserem Stand gesprochen wurden.
SELK.de: Haben Sie schon Pläne für die kältere Jahreszeit?
Pfarrer Karpe: Ja, einige. In diesem Jahr stand die Arbeit unserer Gemeinde unter dem Thema „Gottesdienst“. Nächstes Jahr habe wir den Schwerpunkt „Mission“. Ich habe schon beim Singchorleiter angefragt, ob sich einige Sangeskräftige trauen würden, in der Straßen- oder S-Bahn bei einem Flashmob mitzumachen. Also spontan einen Choral zu singen. Ich würde danach einen Psalm lesen (z. B. Psalm 23 vom guten Hirten) – und fertig. 3-4 Haltestellen später einen anderen Choral und ein anderer Psalm. Das ist kein großer Aufwand, Faltblätter unserer Gemeinde und Neue Testamente haben wir – es braucht nur ein wenig Mut. Ich denke, dass es genügend Ideen gibt. Je mehr mitdenken, umso mehr Ideen kommen. Dann muss man nur ausprobieren, was geht und wozu wir den Mut haben.
SELK.de: Vielen Dank und herzliche Segenswünsche für Ihre weiteren Aktionen und Einsätze!
Unser Bekenntnis – Artikel 7: Über die Kirche
Das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) ist die grundlegende Bekenntnisschrift der im Konkordienbuch (1580) abgedruckten verbindlichen Bekenntnisse der Kirche der lutherischen Reformation. In loser Folge lesen Sie hier Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln von Dr. Gottfried Martens D.D., Pfarrer der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Berlin-Steglitz.
Es wird auch gelehrt, dass allezeit die eine, heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss. Sie ist die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. Denn das genügt zur wahren Einheit der christlichen Kirche, dass das Evangelium einmütig im rechten Verständnis verkündigt und die Sakramente dem Wort Gottes gemäß gereicht werden. Für die wahre Einheit der christlichen Kirche ist es daher nicht nötig, überall die gleichen, von den Menschen eingesetzten kirchlichen Ordnungen einzuhalten – wie Paulus an die Epheser schreibt: „Ein Leib und ein Geist, wir ihr auch durch eure Berufung zu einer Hoffnung berufen seid, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“ (Epheserbrief, Kapitel 4, Verse 4 und 5).
Am 29. Juli 1928 predigte der gerade 22jährige Vikar Dietrich Bonhoeffer in der evangelischen Auslandsgemeinde von Barcelona über 1. Korinther 12: „Es gibt ein Wort, das bei dem Katholiken, der es hört, alle Gefühle der Liebe und der Seligkeit entzündet, das in ihm alle Tiefen des religiösen Empfindens von Schauer und Schrecken des Gerichtes bis zur Süßigkeit der Gottesnähe aufwühlt, das ihm aber ganz gewiss Heimatgefühle wachruft, Gefühle wie sie nur ein Kind der Mutter gegenüber in Dankbarkeit, Ehrfurcht und hingegebener Liebe empfindet; Gefühle, wie sie einen überkommen, wenn man nach langer Zeit einmal wieder sein Elternhaus, seine Kinderheimat betritt. Und es gibt ein Wort, das bei den Evangelischen den Klang von etwas unendlich Banalem hat, etwas mehr oder weniger Gleichgültigem und Überflüssigem, das einem das Herz nicht höherschlagen lässt, mit dem sich so oft Gefühle der Langeweile verbinden, das aber zum mindesten unseren religiösen Gefühlen keine Flügel verleiht. Und doch ist unser Schicksal besiegelt, wenn wir nicht diesem Wort einen neuen oder vielmehr den uralten Sinn wieder abzugewinnen vermögen. Weh uns, wenn uns dies Wort – das Wort von der Kirche – nicht in Bälde wieder wichtig, ja, ein Anliegen unseres Lebens wird. Ja, ‚Kirche’ heißt dies Wort, dessen Sinn wir vergessen haben und von dessen Herrlichkeit und Größe wir heute etwas schauen wollen.“
Um nicht weniger geht es auch heute, wenn wir als lutherische Christen auf der Basis des 7. Artikels des Augsburger Bekenntnisses danach fragen, was denn die Kirche sei und was sie für uns und unseren Glauben bedeutet: Wenn wir von Kirche sprechen, dann haben wir auf der einen Seite ein Selbstverständnis von Kirche vor Augen, wie es in der römisch-katholischen Kirche vertreten wird, wonach Kirche im Vollsinn eigentlich nur in der Gemeinschaft mit dem Papst als dem Oberhaupt der Kirche vorhanden ist. Auf der anderen Seite sind wir konfrontiert mit dem protestantischen Missverständnis von Kirche, wonach Kirche sich bildet „durch das Zusammentreten der einzelnen Wiedergeborenen zu einem geordneten Aufeinanderwirken und Miteinanderwirken“, wie es der Kirchenvater des modernen Protestantismus, Friedrich Schleiermacher, so treffend formuliert hat. Kirche geht ihm zufolge auf die Initiative der einzelnen Gläubigen zurück; sie muss sich immer wieder erst hier und da „bilden“ und gründet sich letztlich auf die Gläubigkeit ihrer einzelnen Mitglieder. Kein Wunder, dass Kirche auf diesem Hintergrund als etwas mehr oder weniger Gleichgültiges empfunden wird und sie nur hier und da einmal gebraucht wird, wenn man ein „Bedürfnis“ nach ihr verspürt!
Dagegen formuliert der 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses gleich zu Beginn ganz klar und eindeutig: Kirche „bildet“ sich nicht erst hier und da; sondern die Kirche geht immer schon dem Glauben und dem einzelnen Glaubenden voraus. Sie ist ihrem Wesen nach „katholisch“, das heißt: alle Zeiten und den gesamten Erdkreis umfassend. Eine Kirche, die in diesem Sinne nicht „katholisch“ ist, sondern sich erst Jahrhunderte oder gar erst 1.500 Jahre nach dem ersten Pfingstfest gebildet hat, ist ganz gewiss nicht Kirche Jesu Christi, sondern eine Sekte. Melanchthon macht dagegen im 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses ganz deutlich: Wir sind keine neue Kirche, und wir gründen keine neue Kirche. Sondern was wir lehren, ist Lehre der einen, heiligen, christlichen Kirche aller Zeiten. Wir klinken uns nicht aus der Tradition der Kirche aus, sondern stehen ganz bewusst in ihrer Einheit, auch und gerade da, wo wir Missstände in ihr kritisieren. Und zugleich wissen wir: Die Zukunft der Kirche hängt nicht an uns und unseren Bemühungen; sie lebt von der Verheißung des Herrn, dass die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Mit den Worten Martin Luthers: „Wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten, unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen, unsere Nachkommen werden es auch nicht sein, sondern der ist’s gewesen, ist’s noch und wird es sein, der da spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Doch wo und wie kann man nun diese Kirche erkennen, die unserem Glauben immer schon vorausgeht und die „die Mutter“ ist, „die einen jeglichen Christen zeugt und trägt“, wie es Martin Luther im Großen Katechismus formuliert? Das Augsburger Bekenntnis beantwortet diese Frage weder mit dem Hinweis auf eine kirchliche Hierarchie noch mit dem Hinweis auf die Gläubigkeit derer, die glauben, sie könnten sich zu einer Kirche zusammenschließen. Sondern es verweist ganz konsequent auf den Gottesdienst als den Ort, wo die eine heilige katholische Kirche erkennbar und sichtbar wird: Kirche ist ihrem Wesen nach „Versammlung“; sie ist geschart um Wort und Sakrament. Nicht die Gläubigen versammeln „sich“, sondern Christus versammelt seine Herde (dies Wort steckt im lateinischen Wort für „Versammlung“), um sie mit seinen Gaben zu beschenken. Das Augsburger Bekenntnis entfaltet also, mit einem Fachausdruck formuliert, eine sogenannte „eucharistische Ekklesiologie“, eine Lehre von der Kirche, die ganz von der gemeinsamen Feier des Heiligen Mahles in der Gemeinde vor Ort ausgeht – ganz ähnlich übrigens, wie dies heutzutage auch in der orthodoxen Theologie beschrieben wird. Statt „Versammlung der Gläubigen“ formuliert der lateinische Text des Augsburger Bekenntnisses „Versammlung der Heiligen“ und macht damit deutlich, dass nicht die Kirche durch den Glauben ihrer Mitglieder erschaffen wird, sondern die Gottesdienstteilnehmer durch Wort und Sakrament „geheiligt“ werden, in die Gemeinschaft mit Christus eingebunden werden und eben dadurch glauben.
Weil Christus die Gaben seines Heils durch Menschen austeilen lässt, geht er damit zugleich das Risiko ein, dass eben diese Menschen seine Gaben verfälschen und verdunkeln. Wo dies geschieht, da wird die eine, heilige, christliche Kirche nicht mehr erkennbar, da ist sie eben dort nicht mehr oder zumindest nicht mehr eindeutig zu finden. Die Kirche Jesu Christi ist dort, wo das Evangelium „rein gepredigt“ und die Sakramente „dem Evangelium gemäß“, also der Stiftung Christi gemäß gereicht werden, betont der 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses; sie ist nicht unbedingt dort, wo einfach „irgendetwas“ gepredigt wird und wo die Sakramente „irgendwie“ gefeiert werden. Von daher kann es geschehen, dass sich eine Institution Kirche nennt, ohne es in Wirklichkeit noch zu sein. Dort, wo nicht Christus, sein Sterben und Auferstehen uns zugut, verkündigt wird, dort, wo Menschen nicht mit dem Zuspruch der Vergebung der Sünden getröstet werden, sondern stattdessen nur darüber belehrt werden, was sie als Christen zu tun haben – vielleicht gar, welche politischen Auffassungen sie zu vertreten haben, dort ist nicht die Versammlung derer, bei denen das Evangelium rein gepredigt wird, sprich: dort ist nicht die Kirche, von der das Augsburger Bekenntnis hier spricht. Dort, wo aus dem Gnadengeschenk der Taufe ein Bekenntnisakt des Menschen gemacht wird, wo aus der Speise des heiligen Leibes und Blutes Christi ein Mahl der mitmenschlichen Gemeinschaft gemacht wird, wo die Vergebung der Sünden nicht mehr vollmächtig zugesprochen wird, sondern durch Formen menschlicher Seelenmassage ersetzt wird, dort ist nicht die Versammlung derer, bei denen die Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden. Damit soll nicht denen, die in ihrer konkreten Gemeinde von solchen Missständen betroffen sind, grundsätzlich der Glaube an Christus abgesprochen werden. Martin Luther hat gerade mit Verweis darauf, dass es die eine, heilige, christliche Kirche zu allen Zeiten gegeben hat und gibt, betont, dass auch in den dunkelsten Zeiten der Verfälschung des Evangeliums in der Kirche Christus dennoch immer wieder Wege gefunden hat, Menschen mit seinem Wort und Sakrament zu erreichen und sie dadurch selig zu machen.
Doch als Christen, die in Gottes Wort unterrichtet sind, haben wir in der Tat die Aufgabe, darauf zu achten, dass wir uns zu einer Kirche und Gemeinde halten, in der tatsächlich das Evangelium rein gepredigt wird und die Sakramente nach der Einsetzung Christi gereicht werden. Maßstab meiner Zugehörigkeit zu einer Kirche darf nicht die äußere Größe einer Kirche sein, auch nicht die Gewohnheit, dass ich doch immer schon zu einer bestimmten Kirche gehört habe. Sondern es darf immer wieder nur um diese eine Frage gehen: Wird hier das Evangelium unverfälscht gepredigt, werden hier die Sakramente so gereicht, wie dies der Stiftung Christi entspricht? Und da kann es sehr wohl sein, dass sich Christen genötigt sehen, „ihre“ Kirche zu verlassen, eben um in der Einheit der einen, heiligen, katholischen Kirche zu bleiben und diese Einheit nicht preiszugeben.
Die Existenz verschiedener „Kirchen“ ist keine Frage der Folklore, sondern ein Skandal, der dem Wesen der Kirche Jesu Christi, eine zu sein, ganz und gar widerspricht. Und doch lässt sich dieser Skandal nicht dadurch beseitigen, dass man Kirchen, die Unterschiedliches lehren und praktizieren, organisatorisch einfach zusammenschließt zu einer Union. Sondern wahre Einheit der Kirche ist nur da vorhanden, wo Einmütigkeit in der Verkündigung des Evangeliums und in der Lehre und Verwaltung der Sakramente besteht. Diese Einheit kann nicht von Menschen geschaffen, sondern immer wieder nur erbeten und geschenkt werden – und soll dann auch dankbar wahrgenommen und anerkannt werden, wo sie besteht.
Die Einheit der Kirche kann nicht durch kirchliche Ordnungen gesichert werden, wenn ihre innere Einheit nicht besteht oder längst zerbrochen ist, so macht es das Augsburger Bekenntnis hier abschließend deutlich. Umgekehrt ist die wahre Einheit der Kirche so stark, dass sie auch unterschiedliche kirchliche Ordnungen ertragen kann und nicht auf Einheitlichkeit in allen Ordnungsfragen drängen muss. Melanchthon musste damals verteidigen, weshalb die Nichtbefolgung bestimmter kirchlicher Ordnungen und Traditionen nicht bedeutet, dass man sich damit aus der Einheit der Kirche Christi ausschließt. Dies darf für uns heute aber kein Argument sein, der „Häresie der Formlosigkeit“ zu verfallen, die der Schriftsteller Martin Mosebach mit Recht in der Kirche beobachtet und beklagt hat. Gerade wenn wir um die Fortdauer der einen, heiligen, katholischen Kirche durch alle Zeiten hindurch wissen, tun wir gut daran, diese Fortdauer auch in der Art und Weise deutlich werden zu lassen, wie wir unsere Gottesdienste feiern: Nicht wir schaffen die Kirche durch unser „Zusammentreten“, durch unsere Gestaltung von Gottesdiensten. Sondern wir leben als Christen von dem, was uns schon vorgegeben ist, wir leben von der Kirche, die schon vor uns da war und in der allein wir bekommen, was wir brauchen, um selig zu werden: Gottes Geist, Gottes Vergebung durch Gottes Wort und Sakrament. Doch jede Form wäre hohl, wenn sie nicht mit dem Inhalt dessen gefüllt wäre, was allein Kirche als Kirche erkennbar werden lässt: mit der unverfälschten Verkündigung des Evangeliums und der rechten Verwaltung der Sakramente.
Foto: St. Thomas-Kirche der SELK in Widdershausen
Freizeit in der Toskana
Vom 22. Juli bis zum 3. August fuhren 34 Jugendliche aus verschiedenen Kirchenbezirken der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) im Alter von 13 bis18 Jahren zusammen mit einem sechsköpfigen Team in die Toskana auf Freizeit. Die Freizeit wurde geleitet von Diakonin Jaira Hoffmann (Gießen) und Pfarrer Daniel Schröder (Steeden).
Im Team mit dabei: Ernestine Peter (Köln, Heilerziehungspflegerin und Studentin Sozialer Arbeit), Lars Bartholomäus (Bielefeld, in der Jugendarbeit aktiv seit 2011), Jonas Werner (Göttingen, ist seit seiner Konfirmation im JugendMitarbeiterGremium aktiv und war 2,5 Jahre Student der Theologie) und Leonie Otto (Kassel, hat gerade ihren Bachelor in „Religionspädagogik und Soziale Arbeit“ beendet). Die Freizeit lief über freizeitfieber, das Jugendfreizeitnetzwerk im Jugendwerk der SELK, und wurde vom Kirchenbezirk Hessen-Süd veranstaltet. Für selk.de beantwortet Diakonin Jaira Hoffmann Fragen zur Freizeit und zur Freizeitarbeit überhaupt.
SELK.de: 13 Tage Jugendfreizeit in der Toskana liegen hinter Ihnen. Wie lautet Ihr Fazit?
Jaira Hoffmann: Erfüllt, müde, dankbar. Es war eine gesegnete Zeit!
SELK.de: Was waren die Highlights der Freizeit?
Jaira Hoffmann: Das ist schwer zu beantworten. An Aktionen waren das sicherlich der Tagesausflug nach Rom, unser Krimidinner, das Übernachten am Strand oder der Wellness-Abend. Aber auch unser Camp im Pinienwald, fast direkt am Mittelmeer, war ein Highlight!
Mich bewegt jedes Jahr wieder, dass die Teilnehmenden als Gruppe zusammenfinden. Ich bin dankbar, dass das auch in diesem Jahr wieder funktioniert hat und ist damit auch ein persönliches Freizeithighlight für mich. Deutlich wird mir das jedes Mal am Unterschied von Freizeitbeginn und -ende.
SELK.de: Dazu wüssten wir gerne mehr!
Jaira Hoffmann: Es ist erstaunlich: Am Abfahrtsort sammeln wir Jugendliche ein, die sich untereinander nicht unbedingt kennen und die auch für uns bis dahin nur Namen auf der Liste sind. Einige kommen als Gruppe, andere stehen vereinzelt am Rand. Und dann ist man so viele Tage intensiv miteinander unterwegs und lernt sich kennen: Beim Sonnen am Strand, bei abendlichen Gesprächen in der Hängematte, bei Kleingruppenarbeiten. Und wenn man dann nach knapp zwei Wochen wieder in Frankfurt (unserem Abfahrort) ankommt, ist die Stimmung ganz anders: Die Jugendlichen lachen miteinander, teilen Erinnerungen und Insider.
SELK.de: Und das Team?Jaira Hoffmann: In unserer Feedback-Abfrage konnte man verschiedene Dinge kommentieren. Ein Punkt, der immer wieder genannt wurde, war das Team: „Super tolles Team“, „Das beste Team, das man sich vorstellen kann“, „Teamgeist ist alles“. Und dem kann ich mich von Herzen anschließen: Wie auch in den letzten Jahren hatte ich das Glück, wieder viele jugendarbeitserfahrene, professionelle Leute fürs Freizeitteam zu gewinnen. Alle haben auf ihre Weise eigene Talente und Ideen eingebracht und damit den Rahmen der Freizeit ganz wesentlich bestimmt. Dass wir auf so schöne Tage zurückblicken können, liegt daran, dass diese Leute sich so engagiert haben!
SELK.de: Gab es besondere Herausforderungen zu bestehen?
Jaira Hoffmann: Vor großen Unfällen sind wir bewahrt worden. Herausfordernd waren ein paar der Rahmenbedingungen, über die man aber eigentlich auch nicht meckern möchte. 😉 Zu nennen ist beispielsweise die Hitze oder das stetige Zirpen der Zikaden, gegen das man immer anreden musste.
SELK.de: Die Freizeit hatte das Thema „Gerecht ist anders“. Wie wurde es umgesetzt?
Jaira Hoffmann: Jeder Tag wurde mit Andachten gerahmt. Dazu haben wir uns in drei Workshopphasen sowie dem Abschlussgottesdienst mit dem Thema beschäftigt.
Das Thema haben Daniel Schröder und ich in der Vorbereitung ausgewählt, weil das Thema „Gerechtigkeit“ eines ist, das viele Jugendliche umtreibt: Klimagerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, (Un-)Gerechtigkeit in Schule und Familie. Immer wieder stehen wir im Alltag vor der Feststellung „Gerecht ist anders“.
In unseren thematischen Einheiten haben wir versucht den Blick dafür zu schärfen, inwiefern Gott gerecht handelt. Mit Blick in die Psalmen haben wir entdeckt, dass Gottes Gerechtigkeit dort tatsächlich ganz anders assoziiert wird. In Kleingruppen haben die Jugendlichen für die zweite Freizeithälfte Andachten vorbereitet, die sich mit Aspekten von Gottes „anderer Gerechtigkeit“ auseinandersetzten und sehr eindrücklich waren. Mit den Andachten haben wir das „Anders“ versucht zu füllen: Gerecht ist „Treue“, „Barmherzigkeit“, „Befreiung“, „Pateiisch“.
SELK.de: Warum sind gesamtkirchliche Auslands-Sommerfreizeit nach wie vor wichtige Angebote?Jaira Hoffmann: Auf Freizeit fahren bedeutet vielleicht, zum ersten Mal ohne die Eltern zu verreisen. Vielleicht zum ersten Mal ins Ausland zu fahren. Das sind wichtige Erfahrungen! Stückweises Erlernen von Selbstständigkeit, Auseinandersetzen mit und Zusammenwachsen in der Peergroup – aus pädagogischer Sicht könnte ich noch viele Stärken von Freizeitarbeit aufzählen.
Aber auch religionspädagogisch liegt da ein großer Wert drin: Die Jugendlichen, die in ihren Heimatgemeinden oft eher allein sind, erleben die Geborgenheit einer christlichen Gemeinschaft. Sie erleben in den anderen Jugendlichen und in dem Freizeitteam Vorbilder im Glauben. Es ist Gelegenheit zum Austausch über Lebens- und Glaubensfragen. Überregionale Gemeinschaft bedeutet immer auch ein Zusammenwachsen innerhalb der Kirche über Gemeinde- und Bezirksgrenzen hinweg. Im besten Fall erleben es die Teilnehmenden, getreu dem Motto von freizeitfieber „unterwegs mit Gott“ zu sein und können daraus für ihren Alltag schöpfen.
Viele der Teilnehmenden engagieren sich in ihren Heimatbezirken in der Jugendarbeit und konkret im jeweiligen JugendMitarbeiterGremium (JuMiG). Dieses Jahr haben wir ein Gruppenbild mit allen JuMiG’ler/innen gemacht und haben festgestellt, dass sich knapp ein Drittel der Teilnehmenden in einem JuMiG engagiert. Dazu kommen die vielen, die in ihren Gemeinden bei Kinder-Bibel-Tagen, auf Kinderfreizeiten oder im Kindergottesdienst mithelfen.
Sommerfreizeiten sind Orte, wo etwas für diese aktiven Jugendlichen gestaltet wird, sodass Sommerfreizeiten immer auch „Mitarbeitenden-Pflege“ sind.
SELK.de: Vielen Dank für das Interview – und weiterhin Gottes Segen für Ihre gemeindlich-kirchliche Arbeit.
Überraschend in Südafrika
Tobias Schütze (28) war bis Ende Februar dieses Jahres als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Lutherischen Theologischen Hochschule (LThH) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Oberursel tätig. Eigentlich hätte sein Dienst dort noch länger dauern sollen, aber das südafrikanische Partnerseminar der LThH, das Lutheran Theological Seminary in Pretoria, brauchte ihn dringend als theologischen Lehrer … Und so kam es zu diesem Wechsel. Für selk.de erzählt Tobias Schütze kurzweilig die ganze Geschichte.
Liebe Leserinnen und Leser von SELK.de,
im letzten März bin ich aus dem wunderschönen Hochtaunus ins ganz andere, aber ebenso ‚lekkere‘ Pretoria in Südafrika gezogen, um dort am Partnerseminar der Lutherischen Theologischen Hochschule in Oberursel (LThH), dem Lutheran Theological Seminary (LTS) zu arbeiten. Hatte ich in Oberursel schon seit anderthalb Jahren als Assistent Bibelkunde und Systematische Theologie unterrichtet, war dieser Schritt vielleicht von außen recht logisch. Allerdings war er doch sehr überraschend. Hatte ich als Missionsstudent schön länger mit einem Wechsel nach Südafrika geliebäugelt (die südafrikanischen Kommilitonen im Studium waren da nicht ganz schuldlos), kam die Anfrage im letzten Januar doch mehr als unerwartet und – vielleicht typisch Kirche oder Mission – in einem äußerst unvorhergesehenen Moment.Der eigentlich für den Unterricht, der am LTS immer im Februar startet, vorgesehene Dozent hatte VISA–Probleme (mittlerweile konnte er unsere Fakultät bereichern), sodass schnell Ersatz hersollte. Trotzdem war es, so sieht es zumindest für mich aus, eher eine etwas zufällige Idee, mich zu fragen. Schnell zu kommen war für mich theoretisch kein Problem, habe ich doch die südafrikanische Staatsangehörigkeit, und brauchte somit im Grunde nur noch ein Flugzeug. Überhaupt auf die Idee zu kommen, an das LTS zu wechseln, lag aber wohl eher daran, dass ich bereits im Januar aus Anlass der Hochzeit meines Cousins nach Südafrika gereist war. Dort traf ich auf meinen Onkel Missionar Christoph Weber, der sogleich die Möglichkeit beim Schopf ergriff und mich, während ich gerade beim Abwaschen war, fragte, ob ich nicht einfach ‚in drei Wochen‘ mal kurz nach Südafrika ziehen wolle. Die Wege des Herrn sind unergründlich!
Danach ging alles sehr schnell – und musste sehr schnell gehen. Ich hatte eigentlich noch ein halbes Jahr in Oberursel und musste nun von dort losgelassen werden in die weite Welt. Ich bin sowohl sehr dankbar dafür, dass die Fakultät mir auf der einen Seite keine Steine in den Weg gelegt hat, obwohl es für mich nicht direkt einen neuen Assistenten in den Startlöchern gab und ich noch für Unterricht und andere Arbeiten eingeplant war. Auf der anderes Seite bin ich ihr aber auch dankbar, dass sie mich trotzdem nicht allzu leicht haben gehen lassen und der Gang nach Pretoria somit weder Flucht noch Vertreibung war.
Obwohl das Semester in Pretoria schon im Februar losging, kam ich erst Anfang März. Zum einen ging aber mein Unterrichtssemester in Oberursel noch bis Mitte Februar und zum anderen hatte ich noch drei Stadionbesuche auf meiner To-do-Liste, sodass ich erst dann ‚rübermachen‘ konnte.
Am LTS unterrichte ich nun hauptsächlich Dogmatik und Symbolik bzw. Bekenntniskunde, habe aber in diesem Semester auch die Einleitung in das Neue Testament übernommen, die das Äquivalent zur Bibelkunde in Oberursel darstellt, sodass ich zumindest ein wenig auf Bekanntes und schon einmal Unterrichtetes zugreifen kann. Da ich nebenbei immer noch mit einer Dissertation beschäftigt bin und sowohl die Oberurseler Fakultät als auch die Kirchenleitung der SELK sehr deutlich gemacht haben, dass diese doch gern irgendwann mal fertig werden dürfe (noch bin ich kein Dauerdoktorand, würde ich sagen), bin ich neben dem Unterricht nicht wirklich mit administrativen Aufgaben etc. belastet, sondern kann mich auf den Unterricht und die Doktorarbeit konzentrieren. Ich überlege zurzeit, was ich wohl nach meiner Promotion machen muss, um weiterhin keine Admin-Arbeit machen zu müssen.
Das Seminar selbst ist dem in Oberursel gar nicht unähnlich, wohnen doch die Studenten allesamt auf dem Campus, wenngleich ich der einzige Dozent bin, der dort wohnt. In den drei Jahren des Studiums werden im Großen und Ganzen die gleichen Fächer, die wir auch in Deutschland studieren, studiert, inklusive Hebräisch und Griechisch. Dabei ist zurecht ein Fokus auf die exegetischen Fächer, Altes und Neues Testament gelegt. Gleichwohl könnten aus meiner Sicht noch einige systematisch-theologische Fächer dazukommen (wobei ich dann natürlich mehr unterrichten müsste; also lieber doch nicht).
Das Seminar wird getragen von den beiden südafrikanischen Schwesterkirchen der SELK, der Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika und der Freien Evangelisch-Lutherischen Synode in Südafrika, sowie der Lutherischen Kirchenmission (oder im Volksmund: „Bleckmarer Mission“). Die Studenten aber kommen nicht allein aus diesen Kirchen, sondern auch aus unterschiedlichsten afrikanischen Ländern und auch aus verschiedenen lutherischen Kirchen, insbesondere, seit die lutherische ‚Landeskirche‘ in Südafrika ihr eigenes Seminar geschlossen hat. Wir haben also als Seminar die Möglichkeit, unterschiedlichste Studenten für unterschiedliche Kirchen zu unterrichten (und natürlich auch selbst von ihnen zu lernen), ganz nach der ‚Mission‘ des Seminars: „Die LTS ist ein Missionswerk, das sich um die Ausbildung von Multiplikatoren für die Lutherische Kirche in Afrika bemüht.“ Dies wiederum geschieht, wie die ‚Vision‘ des Seminars sagt, durch die „Bereitstellung von qualitativer konfessionell-lutherischer Ausbildung.“ – Zu der ich meinen Beitrag leisten darf.
Persönlich muss ich mal schauen, wie es für mich weitergeht. Wie oben bereits eingebracht passiert in der Mission und Kirche einiges anders, als man es mal geplant hat. Zunächst werde ich aber hier weiterarbeiten und hoffentlich im kommenden April mein Vikariat starten – wo das dann genau sein wird, werden wir sehen. Weiter als das Vikariat mag ich noch gar nicht denken – das ist noch zu lange hin. Hier bin ich schon aufgeregt auf unseren Neubau, sind die Unterrichtsräume doch schon sehr in die Jahrzehnte gekommen. Mal sehen, ob ich den Neubau noch ‚live und vor Ort‘ miterleben werde (ich durfte ja schon in Oberursel die bauliche Revolution mit dem Christiane-Kluge-Haus miterleben).Zunächst freue ich mich erst einmal auf den Sommer in Südafrika (es wird zurzeit doch nachts ganz unafrikanisch kalt), wenngleich ich den ganzen Dezember im kalten Deutschland in Bibliotheken verbringen werde, damit ich auch meine Doktorarbeit in einer angenehmen Zeit vollendet kriege. Trotz meiner Geringschätzung des deutschen Winters (vielleicht der Hauptgrund, warum ich umgezogen bin), gibt es natürlich auch so einiges, worauf ich mich auch in Deutschland schon wieder freue. So ist natürlich bereits eine Fußballtour in die (vorrübergehenden?) Niederungen der Landesliga Niederrhein geplant.
Liebe Grüße und einen gesegneten Restsommer aus Pretoria – genießt die langen Abende, solange es sie in diesem Jahr noch gibt,
Tobias Schütze
Syn-AG-Frauen: Imagefilm
Die 14. Kirchensynode der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) hat auf ihrer konstituierenden Tagung 2019 in Bad Emstal-Balhorn eine synodale Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit Anliegen von Frauen in der SELK (Syn-AG-Frauen) befasst. Dieser Arbeitsgruppe gehören an, im Bild von links: Ursula Koschlitzki (Gemeinde Frankfurt am Main), Superintendent Michael Otto (Essen), Miriam Anwand (Allendorf/Ulm), Anne-Christin Heuer (Göttingen) und – als Vorsitzende – Kirchenrätin Dörte Pape (Tübingen). Nun hat die AG einen Imagefilm veröffentlicht und gibt dazu den Besucherinnen und Besuchern von selk.de im Folgenden Informationen über ihre Arbeit.
Mit einem kurzen Imagefilm gewährt die Synodale Arbeitsgruppe für Anliegen von Frauen in der SELK Einblick in die Arbeit, die sie seit 2020 leistet.
Von der 14. Kirchensynode der SELK erhielt die Arbeitsgruppe den Auftrag, Anliegen von Frauen in der SELK zu sammeln und zu bündeln. Sie ist dafür eingesetzt worden, vor allem die Themen aufzunehmen, die den Dienst und das Engagement von Frauen in der SELK betreffen. Von Pastoralreferentinnen, über Frauen von Pfarrern, über Kirchenvorsteherinnen, Küsterinnen und Kindergottesdienstmitarbeiterinnen bis hin zu vielen, vielen weiteren Frauen, die – in welcher Form auch immer – die SELK mitgestalten: Um all diese Personen geht es. Ihre Lage, ihr Ergehen und ihre Meinungen sollen zu Wort kommen. Auch Männer sind aufgerufen, ihre Sicht auf die Lage von Frauen in der SELK zu schildern.Die offene Ausrichtung der Arbeitsgruppe hat einen Zweck: Es gibt nicht nur eine Meinung zu all den Fragen, die rund um die Arbeit von Frauen in unserer Kirche auftreten. Die Einschätzungen sind vielfältig. Diese Vielfalt ist eine Herausforderung, der die Kirchensynode mithilfe der Syn-AG-Frauen versucht gerecht zu werden. Kräfte gezielt und effektiv dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden, ist das Ziel.
Sie interessiert, wie die Syn-AG-Frauen arbeitet und welche Personen dahinter stecken? Dann schauen Sie in diesen Film: bitte hier klicken
Kontakt:
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Telefon: 07071-934678
Internet: SELK.de/Frauen
Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Blaise PascalAnlässlich seines 400. Geburtstags in diesem Jahr wird in Artikeln und Büchern an Blaise Pascal, den genialen Physiker, Mathematiker, Philosophen und Gottsucher erinnert. Der Erfinder einer Rechenmaschine, mit dessen Namen wir noch heute die Einheit des Luftdrucks verbinden, war aber nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch ein religiöser Denker, und in beidem ein „Anwalt der Vernunft“.
Georg Gremels, bis zu seinem Ruhestand 2013 Pastor im Evangelisch-lutherischen Missionswerk Hermannsburg, hat leicht einen Zugang zu Pascals Welt und Denken gefunden, hat er doch selbst Chemie und Theologie studiert und erlebt, dass zwischen Natur- und Geisteswissenschaften kein Widerspruch herrschen muss.
Seine Annäherung an Blaise Pascal hat er in einen Briefwechsel mit einem fiktiven Freund gekleidet. Das ist insofern eine hilfreiche Form, als sie erlaubt, Themen kurz zu fassen und gleichzeitig den Briefempfänger, als ersten Leser, nachfragen zu lassen. Die Form ist allerdings zugleich auch die Schwäche des Buches, denn der Briefwechsel wirkt stellenweise etwas hölzern, konstruiert.
Aber trotz dieser Schwäche gelingt es Georg Gremels, Blaise Pascal als Person anschaulich zu machen und ein paar Eckpfeiler seines Werks in aller Kürze darzustellen.
Die Schmerzen und Krankheiten, unter denen Blaise Pascal schon in jungen Jahren litt, die fast symbiotische Beziehung zu seiner jüngeren Schwester Jacqueline, die ins Kloster geht, nachdem Blaise zweimal erfolgreich eine Heirat von ihr verhindert hat, seine eigene Gotteserfahrung – das alles wird in dem Buch einfühlsam erzählt, gut nachvollziehbar und leicht lesbar. So schildert Gremels beispielsweise die Nacht, in der Pascals „Memorial“ entstand: „Seit Jacqueline ihr feierliches Gelübde am 5. Juni 1653 abgelegt hatte, hatten Blaise seine Fluchtversuche vor Gott und sein inneres Ringen um ihn schon über ein knappes Jahr hin -und hegerissen. Wund gerieben hatte er sich am Ewigen! Dünn war die Wand zwischen ihm und Gott, zwischen seiner messerscharfen Rationalität und dem Transzendenten geworden. Da überwältigte ihn Gott in der Nacht des 23. Novembers 1654. Was er in den zwei Stunden zwischen 22.30 und 0.30 Uhr erlebte, hat er unmittelbar danach auf zwei Blättern festgehalten und sie als sein innerstes Geheimnis immer – vor allen verborgen – bei sich getragen.“
Dieses Memorial ließ Pascal in seinen Mantelsaum einnähen, damit er es immer bei sich habe. Die stammelnden Worte und Satzfetzen sind Pascals Zeugnis seiner Überwältigung durch Gott.
Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung sind die über neunhundert Fragmente entstanden, die nach seinem Tod unter dem Titel Pensées (deutsch: Gedanken) veröffentlicht wurden. Aus dieser Fülle nimmt Gremels einige heraus, stellt sie exemplarisch vor – und macht damit durchaus Lust, sich weiter mit Blaise Pascal zu beschäftigen.
Georg Gremels
Blaise Pascal. Ein Briefwechsel
Francke Verlag 2023, 175 Seiten, 14,00 Euro
Deutsch. Eine LiebeserklärungDas Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen, soll Mark Twain einmal gesagt haben. Roland Kaehlbrandt beweist mit diesem Buch, dass man das ganz anders sehen muss. Anhand von „zehn Vorzügen unserer erstaunlichen Sprache“ zeigt der Sprachwissenschaftler, wie vielseitig, wie ausdrucksstark, ja wie liebenswert unsere Sprache ist.
Und das sind die zehn Vorzüge der deutschen Sprache laut Kaehlbrandt: sie ist einfühlsam und ausdrucksstark, sie ist geschmeidig in der Wortbildung, sie ist gelenkig im Satzbau, sie ist schnell und kurz, wenn es sein muss, sie ist leserfreundlich in der Rechtschreibung, sie ist normiert als Standardsprache, sie ist verfeinert als Literatur- und Bildungssprache, sie ist vielfältig und weitverbreitet, sie ist aufnahmewillig und integrationsfähig und sie ist aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen.
Wenn Sie jetzt bei dem einen oder anderen Vorzug gedacht haben: Was, ausgerechnet das Deutsche!? dann sollten Sie Kaehlbrandts Liebeserklärung lesen, Sie werden Ihre Sprache mit anderen Augen anschauen.
Ein kleines Beispiel gefällig? Die Partikel, jene Füllwörter, über die in der Schule eher kritisch geurteilt wurde, lobt Kaehlbrandt: „… als wüsste die deutsche Sprache, dass Barschheit bei uns so häufig ist, hat sie uns gerade eine Vielzahl von freundlichen, kommunikationsfördernden Partikeln an die Hand gegeben“.
Denn es klingt doch viel netter, wenn das Kind gefragt wird: „Wie heißt du denn?“ statt nur „Wie heißt du?“ Oder wenn der Vater den Sohn auffordert „Mach’s halt!“ statt nur „Mach’s!“ Oder die Mutter, besorgt um ihre Tochter, fragt „Wo bleibt sie bloß“ statt nur „Wo bleibt sie?“
Ja, schon da ist man dieser liebenswerten Sprache durchaus zugetan, und folgt dem Autor vergnügt weiter, wenn er belegt, dass das Deutsche auch kurz sein kann, nicht nur ellenlang und verschachtelt. Die sozialen Medien bringen einen neuen „Geschwindigkeitsjargon“ hervor. Kaehlbrandts Beispiele beweisen: das Deutsche kann das ab.
Rechtschreibung und Grammatik versteht man nach der Lektüre nicht mehr (nur) als lästige Gängelei, sondern als Norm, die sich bewährt. Nur so ist es nämlich möglich, dass wir Werke früherer Zeiten, von Luther bis Goethe noch lesen und verstehen können.
Aber gutes Deutsch ist mehr als nur richtiges Deutsch. Literatur, eine Predigt, ein wissenschaftlicher Aufsatz, ein Protokoll – jede Gattung verlangt nach einem angemessenen Stil. Auch hier bietet der Autor zahlreiche anschauliche Beispiele, die das Lesen unterhaltsam machen.
Das Porträt der deutschen Sprache, gezeichnet von einem Liebhaber, der die Porträtierte kennt wie kaum einer, und sie erstaunlich schön erscheinen lässt.
Roland Kaehlbrandt
Deutsch. Eine Liebeserklärung
Piper Verlag 2022, 255 Seiten, 12,00 Euro
Weitere Buchtipps finden Sie im Archiv.
Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Der Fremde aus dem MeerEine Luxus-Yacht explodiert weit draußen auf dem Meer, nur zehn Reisende überleben auf einem Rettungsboot. Sie haben wenig Nahrung und Wasser, und kaum Hoffnung auf Rettung. Da ziehen sie einen Mann aus dem Wasser, den niemand kennt. Er trägt keine Schwimmweste, hat keine Schrammen, und er behauptet, „der Herr“ zu sein.
Ja klar, könnte man jetzt denken, Jesus kommt aufs Boot, stillt den Sturm und rettet die Schiffbrüchigen. Wäre es so, müsste man das Buch tatsächlich nicht lesen. Aber der amerikanische Bestseller-Autor Mitch Albom strickt keine simple Jesus-ist-immer-da-Geschichte. Sein Zugang zu Glaubensfragen ist subtil, einfühlsam, unaufdringlich, und immer wieder überraschend.
Im Vordergrund steht die spannende Geschichte der Überlebenden. Geschickt erzählt Albom sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Einer der Überlebenden hält das Geschehen in einem Tagebuch fest. So sitzt der Leser quasi mit im Boot. Die Außenperspektive wird durch eingefügte Medienberichte eingenommen sowie durch den Fund des Rettungsbootes und des Tagebuchs ein Jahr nach dem Unglück. Wie diese Ebenen verwoben werden, wie immer wieder unerwartete Wendungen die Spannung erhalten, das ist großartig gemacht.
Und der Herr? Erklärt sich nicht. Er tut wenig und sagt noch weniger. Hat Hunger und trinkt von dem wenigen Wasser, das sie übrighaben. Schafft kein Flugzeug herbei, das sie rettet. Ja, er lässt zu, dass sie sterben, einer nach dem anderen.
Wie kann ein Gott so etwas zulassen? Warum greift er nicht ein, wo er es doch könnte?
Und doch passieren merkwürdige Dinge auf dem Boot. Als sie kein Wasser mehr haben, regnet es, buchstäblich aus heiterem Himmel. Aber eben nur kurz, so dass es für den nächsten Tag reicht. Als eine der Frauen im Sterben liegt und nicht mehr ansprechbar ist, bittet ihr Mann den Herrn eindringlich, dass sie nochmal aufwacht, damit er sich von ihr verabschieden kann. Das geschieht tatsächlich, zur Verwunderung aller anderen.
Ein fesselnder, bezaubernder Roman, der den eigenen Glauben, das eigene Vertrauen in Jesus, den Erretter, anfragt.
Mitch Albom
Der Fremde aus dem Meer oder Die Macht des Glaubens
Allegria Verlag 2023, 317 Seiten, 19,99 Euro
Streitsache Assistierter SuizidGibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben? Das Bundesverfassungsgericht hat dies 2020 in einem Urteil bejaht und damit die Debatte über Sterbehilfe in Deutschland neu entfacht. Denn das postulierte Recht beinhaltet laut Gericht auch die Gewährleistung „bei der Umsetzung der Selbsttötung auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen“, und zwar ohne Vorgaben oder Bedingungen, also etwa einer Krankheit. Allein der freie Wille soll Voraussetzung sein.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland hatte nach dem Urteil zu vier digitalen Vorträgen eingeladen, die nun in diesem Band abgedruckt sind.
Zunächst führt der Jurist Michael Germann in die Urteilsbegründung des Verfassungsgerichts ein und erläutert dessen Argumentation. Er macht deutlich, dass das Gericht dem Schutz des freien Willens oberste Priorität einräumt. Es setzt nicht bei dem Grundrecht auf Leben an, sondern beim Persönlichkeitsrecht, „ohne die beiden Grundrechte auch nur voneinander abzugrenzen“, so Germann. Nach seinen Ausführungen versteht man, welch paradoxe Aufgabe dem Gesetzgeber damit auferlegt wurde, einerseits zu gewährleisten, dass der „freie Wille zur Selbsttötung“ – und die Hilfe Dritter dabei – gewährleistet ist, und andrerseits zu verhindern, dass der Suizid zur normalen „Hilfe“ am Lebensende wird und damit geschäftsmäßig organisiert.
Wie frei ist denn der menschliche Wille wirklich und was bedeutet das eigentlich: Selbstbestimmung? Dieser Frage geht der Theologe Dietrich Korsch in seinem Beitrag nach und verbindet sie mit der Frage nach dem Gefühl der Sinn-losigkeit bei Sterbewilligen.
Aus der Sicht der Diakonie ordnet Annette Noller, Vorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, das Urteil ein. Während Autonomie und Selbstbestimmung den Menschen als in sich selbst und nach eigenen Maßstäben agierendes Subjekt betrachteten, komme die Ethik der Achtsamkeit zu dem Ergebnis, dass Menschen radikal aufeinander angewiesen sind, schreibt sie. Eindringlich weist sie darauf hin, dass sich für diakonische Einrichtungen, insbesondere Pflegeheime und Hospize, die Frage stellen werde, „ob die Durchführung von geschäftsmäßig geförderten Selbsttötungen zukünftig geduldet, erlaubt oder auch prinzipiell untersagt werden kann.“
Ulrich Körtner schließlich, Ordinarius für Systematische Theologie in Wien, fragt nach dem Beistand im Sterben, theologisch, medizinisch, ethisch, und er blickt dabei auch in angrenzende Länder und in die Ökumene.
Die Beiträge machen deutlich, wie nötig Information und Sachkenntnis in der Diskussion sind, denn das Thema Sterbehilfe ist zu komplex, als dass es sich für ein Pro und Contra eignet.
Kristina Kühnbaum-Schmidt (Hrsg.)
Streitsache Assistierter Suizid. Perspektiven christlichen Handelns
Evangelische Verlagsanstalt 2022, 128 Seiten, 19,00 Euro
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Lesenswert
An dieser Stelle werden auf selk.de regelmäßig Bücher vorgestellt: zum Lesen, zum Verschenken, zum Nachdenken, zum Diskutieren – Buchtipps für anregende Lektürestunden. Die hier veröffentlichten Buchvorstellungen hat Doris Michel-Schmidt verfasst.
Night DriverIn den 1990er Jahren ist Chad Bird ein ehrgeiziger Student der Theologie im amerikanischen Indiana. Er heiratet, schließt zielstrebig sein Studium ab, wird von einer kleinen Gemeinde als Pastor berufen und Vater von zwei Kindern. Mit 31 Jahren ist er Professor an dem theologischen Seminar, an dem er selbst studiert hat und jüngstes Mitglied der Fakultät. Das war genau das, was er wollte. „Alles fügte sich zusammen“, schreibt Bird, und: „… während alles sich zusammenfügte, begann alles auseinanderzufallen.“
Fünf Jahre später sitzt er allein auf dem Boden eines Einzimmerapartments, einen Revolver in der Hand, um sich das Leben zu nehmen. Sein Stolz, seine Ichsucht, Ehebruch und Lügen hatten seine Familie, seine Karriere, sein ganzes bisheriges Leben zerstört. Die nächsten 15 Jahre arbeitet er als LKW-Fahrer in den texanischen Ölfeldern – und ringt mit Gott.
Chad Bird erzählt seine Geschichte, die geprägt ist von Schuld, Scham, Wut und Enttäuschung. Aber eigentlich erzählt er die uralte Geschichte des Menschen, der immer wieder versucht, sich Gottes Liebe zu verdienen, mit fleißiger Arbeit, mit Engagement in der Kirche, mit einem anständigen Leben, sogar mit aufrichtiger Reue.
Und wenn dieser Gott dann trotzdem alles zerschlägt, was man aufgebaut hat? Wenn er einem alles nimmt? Ja, Chad Bird hadert mit Gott, der ihn scheinbar angelogen hatte, wo es um Hoffnung ging, der ihn demütigte, dem er vollkommen egal zu sein schien. „Wo zur Hölle bist du, Gott?“ schreit er in die Nacht. In den Psalmen findet er biblische Vorlagen für seine Klage. In dieser Schule der Psalmen schärft er seine eigene Sprache, in die er seinen Zorn, seine Verzweiflung übersetzen kann.
In seinem schonungslosen Ringen lässt Chad Bird keinen wohlfeilen Ausweg gelten. Keine faulen Kompromisse. Keine gut gemeinten Zugeständnisse. Keine geistlichen Sackgassen. Was Luther in seinem eigenen Kampf letztendlich erkannt hat, die Rechtfertigung allein aus Gnaden, das dekliniert Chad Bird messerscharf neu durch. Und er tut dies nicht nur an seiner eigenen Geschichte, sondern er findet dieses unermüdliche Bemühen, göttliche Anerkennung durch eigenes Tun zu erlangen – und sei es durch die „richtige Buße“ –, auch in biblischen Geschichten. Beim verlorenen Sohn zum Beispiel, der überzeugt ist, dass sein Vater ihn nur dann wieder aufnimmt, wenn er aufrichtige Reue zeigt und demütig eine Anstellung als Knecht annimmt. Vergebung des Vaters ja – aber nur unter Bedingungen?
Das provoziert, das tut auch weh, weil es tief ins Herz trifft und einem den Spiegel vorhält. Und genau deshalb ist dieses Buch ein wunderbares Zeugnis der Liebe Gottes. Unbedingt lesen!
Chad Bird
Night Driver – Prediger. Ehebrecher. Begnadigter.
Brunnen Verlag 2022, 144 Seiten, 16,00 Euro
Erholung für müde SeelenUm ehrlich zu sein: Die ersten 40 Seiten dieses Buches kann man auch überblättern. Sie tragen Versatzstücke zusammen aus der Psychologie, der Philosophie und der Theologie zum Thema Seele, wie man sie in so manchen Ratgebern finden kann.
Wirklich zur Sache kommt Rolf Sons im Hauptteil des Buches, wo er aufzeigt, wie die Seele mit den Psalmen meditieren, klagen kann, wie sie entlastet, getröstet wird und zur lobenden, gesegneten Seele wird. Hier spürt man die eigene Erfahrung des Autors mit den biblischen Texten, hier geht es tiefer hinein in die Seelennot. Und hier, in Gottes Wort, findet sich auch die „Erholung für müde Seelen“, die der Titel des Buches verspricht.
Vielleicht erwartet man bei diesem Titel nicht unbedingt, dass der Autor einen zu den Psalmbetern – und in einem letzten Kapitel zu den Wüstenvätern – führt, und der Untertitel tut dies erst recht nicht: „Wohltuendes in christlicher Weisheit entdecken“ verspricht eher leicht temperierte Wohlfühl-Floskeln aus dem christlichen Schatzkästchen. Möglich, dass der Verlag sich dabei eine verkaufsfördernde Wirkung ausrechnete, dem Inhalt des Buches wird der Titel nicht gerecht.
Rolf Sons, Pfarrer der württembergischen Landeskirche und Autor mehrerer Bücher, braucht nicht lange, um anhand der Psalmen deutlich zu machen, woran unsere Seele krankt, warum sie unruhig ist. Er zeigt, wie das Beten der Psalmen der Angst eine Sprache verleiht, so dass sie nach außen treten darf, erkannt und angesehen werden kann. Das ist heilsam, die Klage ist heilsam, weil sie nicht nur die Gefühle der Schwermut oder Traurigkeit zur Sprache bringt, sondern auch die Erfahrung von Unrecht und Verletzung.
All dies findet sich in den Psalmen in ungeschminkter, ehrlicher Weise. Vor Gott brauchen wir uns nicht zu verstellen, nichts schönzureden. Wo wir ihm unsere Wunden, unseren Schmerz, unsere Einsamkeit, unsere Schuld hinhalten, da wird er nicht schweigen. „Was bleibt uns in aller Schuld, Verzweiflung und in aller Zerbrochenheit anderes als Gott? Er ist die einzige Adresse, bei der wir Güte und nicht Verurteilung, Annahme und nicht Vorhaltungen erwarten dürfen.“
Das ist die Vergebung, die wir letztlich suchen, das ist die Erlösung, die unsere Schuld nicht nur verzeiht, sondern sie tatsächlich auslöscht. „Der Ort, an dem dies geschieht, ist das Kreuz Jesu Christi“, schreibt Sons. Dorthin geht der Weg zur Heilung, zur Dankbarkeit und zur Freude und zum Lob. Dort findet die müde Seele nicht nur Erholung, sondern Heil.
Rolf Sons
Erholung für müde Seelen; Wohltuendes in christlicher Weisheit entdecken
Brunnen Verlag 2023, 206 Seiten, 12,00 Euro
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