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SELK-Aktuell

Stellungnahme: 200 Jahre „Kabinettsordre“ Friedrich Wilhelms III.


Genau am heutigen 27. September 2017 jährt sich zum 200. Mal der Erlass der „Kabinettsordre“ durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III., die am Anfang eines notvollen Weges der Kirchwerdung selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in den damaligen preußischen Landen stand. Für die Entstehung der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) ist dieses Datum von zentraler Bedeutung. Dies gilt auch für die lutherischen Bekenntniskirchen in den anderen deutschen Ländern, deren Gründung in letzter Konsequenz eine Reaktion auf die rigide preußische Religionspolitik war. Alle diese Kirchen gehören zu den Vorgängerkirchen der 1972 gebildeten SELK. SELK-Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover) greift das historische Datum in einer Stellungnahme auf.

Kabinettsordre

I. Es ist mein Anliegen, den Tag nicht unbemerkt vorübergehen zu lassen, sondern mit dieser Stellungnahme darauf aufmerksam zu machen. Grund zum Feiern gibt es für uns nicht, denn der 27. September 1817 ist der historische Ausgangspunkt für die Unterdrückung lutherischer Gemeinden und ihrer Pfarrer in Preußen. Dieser Tag ist der Ausgangspunkt für Flüchtlingsbewegungen lutherischer Familien zum Beispiel nach Nordamerika oder Australien, die dort lutherische Kirchen gründeten, die heute zu den Schwesterkirchen der SELK zählen.

Wenn kein geringerer als Dr. Martin Luther 1529 in Marburg am Ende der Einigungsgespräche zu Huldrych Zwingli wegen dessen symbolischen Abendmahlsverständnisses mit großem Bedauern sagen muss: „Ihr habt einen anderen Geist!“, so nennt König Friedrich Wilhelm III. in seiner Kabinettsordre dies einen „damaligen unglücklichen Sekten-Geist“, der in der Person Luthers eben „unüberwindliche Schwierigkeiten fand“. Die lutherische und die reformierte Kirche sieht der König dreihundert Jahre später als „nur noch durch äußere Unterschiede getrennte(n), protestantische(n) Kirchen“. Damit beginnt die Marginalisierung der lutherischen Kirche zunächst in Preußen.

Am 27. September 1817 meint der König noch: „Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgeht, und sie nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen, nach ächt biblischen Grundsätzen, ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat.“ Davon rückt Friedrich Wilhelm III. später ab und gibt 1830 einen „Erlass“ zur Einführung der von ihm selbst verfassten Unionsagende, in der reformierter und lutherischer Gottesdienst zusammengeführt werden.

Eine regelrechte Verfolgung nimmt ihren Anfang: Schlesische Gemeinden erinnern sich an die Verfolgung durch die Habsburger, die damals kaum 100 Jahre zurücklag. So wussten sie noch, was zu tun war und gingen zum Gottesdienst wieder in den Wald. Gemeinden im damaligen Pommern und in den Rheinprovinzen folgten ihrem Beispiel. Es gab Zeiten, in denen dort alle lutherischen Pfarrer im Gefängnis saßen.

Ich möchte an diese Leidensbereitschaft und an den Glaubensmut der Mütter und Väter unserer Kirche erinnern. Sie waren bereit, sich intensiv mit Glaubensfragen zu beschäftigen, ihnen war das Heilige Abendmahl so wichtig, dass sie unter keinen Umständen auf die Gewissheit von Leib und Blut Christi in Brot und Wein verzichten wollten. Sie waren bereit, nach der Legalisierung der lutherischen Kirche ab 1845 weiterhin zu landeskirchlichen Kirchensteuern verpflichtet zu sein und zusätzlich mit eigenen Kirchenbeiträgen zum Bau neuer lutherischer Kirchen und Pfarrhäuser beizutragen sowie für die Zahlung von Pfarrergehältern zu sorgen. Diese Opferbereitschaft in karger Zeit ist beispielhaft. Von dieser Opferbereitschaft lebt unsere Kirche bis heute.

II. Es ist wertvoll, diese Erinnerungen zu bewahren und wachzuhalten. Zugleich ist es für unsere Kirche auch wichtig, nicht in einer Opferrolle zu verharren. So haben wir in den vergangenen Jahren mit der Union Evangelischer Kirchen (UEK) in der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Dialog geführt, in dem wir erstmals seit 200 Jahren diese unsere gemeinsame Geschichte betrachtet haben. Ein „Gemeinsames Wort“ und ein „Brief an die Gemeinden“ sind erarbeitet worden, die sich derzeit noch auf dem Weg der Verabschiedung befinden. Beide Papiere sollen in einem ökumenischen Buß- und Dankgottesdienst am Buß- und Bettag, 22. November, in Berlin unterzeichnet und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In diesen Papieren werden bleibende Unterschiede zwischen unseren Kirchen klar benannt, aber auch gemeinsame Blickpunkte dankbar ausgesprochen.

Ausgangspunkt dieser Gespräche war eine sehr bewegende Predigt von Franz-Reinhold Hildebrandt, damals Leiter der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (EKU), die dieser vor 50 Jahren (1967) gehalten hat. In dieser Predigt heißt es: „Mit Kolbenstößen von Soldaten, gewaltsamem Öffnen von Kirchentüren und Verhaftungen von Pfarrern, wie dies damals geschah, lud unsere Kirche eine Schuld auf sich, die noch heute nachwirkt. Damals sind viele Familien aus ihrer Heimat nach Australien und Nordamerika ausgewandert, um ihren lutherischen Glauben rein zu bewahren, den sie in der Union gefährdet sahen. Und wenn Schuld allein durch Vergebung bedeckt werden kann, so wollen wir diesen Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne unsere altlutherischen Brüder um solche Vergebung zu bitten.“

Wir Heutigen stehen in einer bleibenden Verantwortung für unsere Geschichte. Weil wir am Segen unserer Kirche teilhaben, tragen wir auch bleibende Verantwortung für das Leid und die Schuld der Geschichte. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, menschliche Vergebung auszusprechen, selbst zu erbitten und zu gewähren.

So erfüllt mich der heutige Tag einerseits mit trauriger Erinnerung und tiefem Respekt vor dem Leid der Mütter und Väter unserer Kirche. Anderseits aber bin ich erfüllt mit großer Dankbarkeit für die lutherische Kirche, in die ich hineingetauft bin, die SELK. Ich bin erfüllt mit Dankbarkeit für die tiefgehenden respektvollen Gespräche mit der UEK, die beiden Kirchen ermöglichen werden, einander in Zukunft anders wahrzunehmen als bisher.

 

Dokumentation:
Kabinettsordre Friedrich Wilhelm III. vom 27.9.1817

Heft„Schon Meine, in Gott ruhende erleuchtete, Vorfahren, der Kurfürst Johann Sigismund, der Kurfürst Georg Wilhelm, der große Kurfürst, König Friedrich 1. und König Friedrich Wilhelm 1. haben, wie die Geschichte ihrer Regierung und ihres Lebens beweiset, mit frommem Ernst es sich angelegen sein lassen, die beiden getrennten protestantischen Kirchen, die reformirte und lutherische, zu Einer evangelisch christlichen in Ihrem Lande zu vereinigen. Ihr Andenken und Ihre heilsame Absicht ehrend, schließe Ich Mich gerne an Sie an, und wünsche ein Gott gefälliges Werk, welches in dem damaligen unglücklichen Sekten-Geiste unüberwindliche Schwierigkeiten fand, unter dem Einflusse eines besseren Geistes, welcher das Außerwesentliche beseitigt und die Hauptsache im Christenthum, worin beide Confessionen Eins sind, festhält, zur Ehre Gottes und zum Heil der christlichen Kirche, in Meinen Staaten zu Stande gebracht und bei der bevorstehenden Säcular-Feier der Reformation damit den Anfang gemacht zu sehen! Eine solche wahrhaft religiöse Vereinigung der beiden, nur noch durch äußere Unterschiede getrennten, protestantischen Kirchen ist den großen Zwecken des Christenthums gemäß; sie entspricht den ersten Absichten der Reformatoren; sie liegt im Geiste des Protestantismus; sie befördert den kirchlichen Sinn; sie ist heilsam der häuslichen Frömmigkeit; sie wird die Quelle vieler nützlichen, oft nur durch den Unterschied der Confession bisher gehemmten Verbesserungen in Kirchen und Schulen.

Dieser heilsamen, schon so lange und auch jetzt wieder so laut gewünschten und so oft vergeblich versuchten Vereinigung, in welcher die reformirte Kirche nicht zur lutherischen und diese nicht zu jener übergehet, sondern beide Eine neubelebte, evangelische christliche Kirche im Geiste ihres heiligen Stifters werden, steht kein in der Natur der Sache liegendes Hinderniß mehr entgegen, sobald beide Theile nur ernstlich und redlich in wahrhaft christlichem Sinne sie wollen, und von diesem erzeugt, würde sie würdig den Dank aussprechen, welchen wir der göttlichen Vorsehung für den unschätzbaren Segen der Reformation schuldig sind, und das Andenken ihrer großen Stifter, in der Fortsetzung ihres unsterblichen Werks, durch die That ehren.

Aber so sehr Ich wünschen muß, daß die reformirte und lutherische Kirche in Meinen Staaten diese Meine wohlgeprüfte Ueberzeugung mit mir theilen möge, so weit bin Ich, ihre Rechte und Freiheit achtend, davon entfernt, sie aufdringen und in dieser Angelegenheit etwas verfügen und bestimmen zu wollen. Auch hat diese Union nur dann einen wahren Werth, wenn weder Ueberredung noch Indifferentismus an ihr Theil haben, wenn sie aus der Freiheit eigener Ueberzeugung rein hervorgeht, und sie nicht nur eine Vereinigung in der äußeren Form ist, sondern in der Einigkeit der Herzen, nach ächt biblischen Grundsätzen, ihre Wurzeln und Lebenskräfte hat.

So wie Ich Selbst in diesem Geiste das bevorstehende Säcularfest der Reformation, in der Vereinigung der bisherigen reformirten und lutherischen Hof- und Garnison-Gemeinde zu Potsdam zu Einer evangelisch christlichen Gemeine feiern, und mit derselben das h. Abendmahl genießen werde: so hoffe Ich, daß dies Mein Eigenes Beispiel wohlthuend auf alle protestantischen Gemeinen in Meinem Lande wirken, und eine allgemeine Nachfolge im Geiste und in der Wahrheit finden möge. Der weisen Leitung der Consistorien, dem frommen Eifer der Geistlichen und ihrer Synoden überlasse Ich die äußere übereinstimmende Form der Vereinigung, überzeugt, daß die Gemeinen in ächt christlichem Sinne dem gerne folgen werden, und daß überall, wo der Blick nur ernst und aufrichtig, ohne alle unlautere Neben-Absichten auf das Wesentliche und die große heilige Sache selbst gerichtet ist, auch leicht die Form sich finden, und so das Aeußere aus dem Innern, einfach, würdevoll, und wahr von selbst hervorgehen wird. Möchte der verheißene Zeitpunkt nicht mehr ferne sein, wo unter Einem gemeinschaftlichen Hirten Alles in Einem Glauben, in Einer Liebe und in Einer Hoffnung sich zu Einer Heerde bilden wird!

Potsdam, den 27. Septbr. 1817.
Friedrich Wilhelm.
An die Consistorien, Synoden und Superintendenturen.“

(Quelle: Klän, Werner / Da Silva, Gilberto (Hrsg.), Quellen zur Geschichte selbstständiger evangelisch-lutherischer Kirchen in Deutschland. Dokumente aus dem Bereich konkordienlutherischer Kirchen, 2. Auflage, Oberurseler Hefte Ergänzungsband 6, Göttingen 2010, S. 33f)

Gemälde: Friedrich Wilhelm III. von Preußen | Mathiasrex - wikimedia.org

Lutherische Kirche und Judentum


Die Theologische Kommission der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) hat in einer Langzeitstudie das Verhältnis zwischen der SELK (und ihrer Vorgängerkirchen) und dem Judentum aufgearbeitet. Sie entspricht damit einem Auftrag der 11. Kirchensynode der SELK 2007 in Radevormwald.

Leuchter

Christliche Kirche hat ihre Wurzeln im Judentum. Jesus Christus war Jude. Die Verbindungen zwischen Kirche und Judentum sind vielfältig. Aber da sind eben auch die Ausgrenzung, die Verfolgung und der Massenmord an Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Da ist die Schuld, die die christlichen Kirchen – auch die lutherische – auf sich geladen haben. Da sind die judenfeindlichen Äußerungen Martin Luthers, die gerade im Jahr des Reformationsjubiläums verstärkt in den Fokus gestellt wurden. Da tauchen immer wieder Irritationen auf bei der Frage, ob und wie am Karfreitag im Fürbittgebet speziell der Juden gedacht werden soll.

Die Theologische Kommission der SELK geht in ihrer Studie auf alle diese Fragen ein. Sie beginnt mit einer theologischen Grundlegung – den biblischen Grundlagen, systematisch-theologischen und liturgischen Perspektiven. Dabei wird deutlich, wie nah sich Christentum und Judentum stehen: „Keine andere Religion steht dem Christentum näher als das Judentum. Verbunden sind beide miteinander durch denselben geschichtlichen Ursprung, dieselben alttestamentlichen Schriften, dieselben Verheißungen.“ Aber natürlich wird das Trennende auch deutlich: „Gleichwohl unterscheiden sie sich durch ihre Sicht auf den Messias. Die Kirche sammelt sich um Jesus von Nazareth als den Messias, wie er in den alttestamentlichen Verheißungen Israel und den Völkern angesagt wurde. Die Synagoge dagegen lehnt Jesus von Nazareth als die Erfüllung dieser Verheißungen ab und wartet weiterhin auf den für sie noch ausstehenden Messias.“

Gottes Gnadenverheißungen – ebenso wie die Sendung Jesu – galten zuerst Israel. Das, so die Kommission, habe die Kirche „neidlos anzuerkennen“. Und weiter: „Bleibt die Kirche ihren eigenen Grundlagen treu, so hat sie das mehrheitliche jüdische ‚Nein‘ zum messianischen Anspruch Jesu mit dem Apostel Paulus als göttliches Mysterium auszuhalten (Röm 11,25) und nicht aus eigenem ‚frommen‘ Antrieb heraus zu ‚bewältigen‘.“

Von der Einsicht her, dass die Sünde aller Menschen Christus getötet hat, verbiete sich auch die Bezichtigung der Juden als „Gottesmörder“, schreibt die Kommission.

Zum Nebeneinander von Kirche und Synagoge heißt es in der Studie unter anderem: „Da die Kirche ihrem Selbstverständnis nach freilich zum Gott Israels nur über das Heilswerk Jesu Christi (Apg 4,12) und die geistgeleitete Verkündigung seiner Apostel gefunden hat, ergeht ihr Gebet zum himmlischen Vater ausschließlich im Namen Jesu (Gal 4,4; Röm 8,15). Ein gemeinsames Beten von Kirche und SHeft 12ynagoge ist daher nicht möglich, ohne dass dies zu gegenseitigen Vereinnahmungen führen würde, wohl aber die Fürbitte für den anderen (…).“ Zu der Frage des Israel-Gedenkens am Karfreitag empfiehlt die Studie, die bisherige Praxis zu ändern: „Am Karfreitag sollte das Israel-Gedenken im Fürbittengebet vollständig umformuliert werden. (…) Die Gefahr, dass hier Fehlverständnisse befördert werden bzw. Missverständnisse bleiben oder neu entstehen, ist zu groß.“

Ausführlich dokumentiert die Studie die Geschichte des Verhältnisses von Christen und Juden bzw. der lutherischen Kirche und dem Judentum. Sie fasst auch die Debatte um die Judenmission zusammen, erläutert das messianischen Judentum und endet mit Ausführungen zu den Begriffen Chiliasmus und Zionismus.

Die Studie wird dem 13. Allgemeinen Pfarrkonvent der SELK im November vorgelegt. Sie ist als Heft 12 der SELK-Schriftenreihe „Lutherische Orientierung“ erschienen und im Kirchenbüro der SELK in Hannover (für 3 Euro zzgl. Versandkosten) erhältlich.

Unser Bekenntnis - Artikel 3: Vom Sohn Gottes


Das Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) ist die grundlegende Bekenntnisschrift der im Konkordienbuch (1580) abgedruckten verbindlichen Bekenntnisse der Kirche der lutherischen Reformation. In loser Folge lesen Sie hier Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln von Pfarrer Dr. Gottfried Martens D.D. (Berlin-Steglitz).

Bekenntnis

Confessio Augustana, Artikel 3: Vom Sohn Gottes

Ferner wird gelehrt, dass Gott der Sohn Mensch geworden ist, geboren aus der reinen Jungfrau Maria. Die zwei Naturen, die göttliche und menschliche, sind also in einer Person untrennbar vereinigt: ein Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, wahrhaftig geboren, gelitten, gekreuzigt, gestorben und begraben; so ist er ein Opfer nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden und hat Gottes Zorn versöhnt; dieser Christus ist niedergefahren zur Hölle, am dritten Tage wahrhaftig auferstanden von den Toten und aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, herrscht ewig über alle Geschöpfe und regiert sie; alle, die an ihn glauben, heiligt, reinigt, stärkt und tröstet er durch den Heiligen Geist, teil ihnen auch Leben und allerlei Gaben und Güter aus, schützt und beschirmt sie gegen Teufel und Sünde; dieser Herr Christus wird am Ende öffentlich kommen, zu richten die Lebendigen und die Toten – wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt.

Nach den Artikeln und über Gott und über den Menschen bzw. die Sünde muss nun sachlogisch von Christus die Rede sein – vom Sohn Gottes, der Mensch geworden ist um unserer Sünde bzw. um unserer Seligkeit willen.

Über die Inhalte des dritten Artikels gibt es zwischen den Bekennern von Augsburg und der Gegenseite keine kontroversen Ansichten, so stellt es auch die Erwiderungsschrift der Gegenseite, die „Confutatio“, fest. Im Gegenteil: Melanchthon setzt auch im dritten Artikel alles daran, deutlich zu machen, dass die Bekenner von Augsburg in der Tradition der katholischen Kirche aller Zeiten stehen. Ganz ausdrücklich nimmt er darum Formulierungen altkirchlicher Bekenntnisse und Konzilsentscheidungen auf, um deutlich zu machen, dass im Augsburger Bekenntnis nichts Neues über Christus gelehrt wird. So finden wir in dem deutschen und dem lateinischen Text des 3. Artikels Formulierungen aus dem Apostolischen, dem Nizänischen und dem Athanasianischen Glaubensbekenntnis ebenso wie aus dem Entscheid des ökumenischen Konzils von Chalcedon aus dem Jahr 451, bei dem es um die Frage ging, wie man das Geheimnis, dass Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, angemessen umschreiben und in Worte fassen kann.

Deutlich wird im Augsburger Bekenntnis zunächst einmal: In der Lehre von Person und Werk Jesu Christi geht es nicht um eine philosophische Spekulation, sondern es geht um die Heilsfrage – genau wie dies auch schon in der Alten Kirche gesehen wurde: Ist Gott nicht wirklich Mensch geworden, ist das Wort nicht wirklich Fleisch geworden, dann sind wir verloren. „Was nicht angenommen ist, ist nicht geheilt; was mit Gott vereint ist, das wird auch gerettet“, schreibt der heilige Gregor von Nazianz.

Wenn es um die Person Christi geht, muss sehr genau formuliert werden, um dem biblischen Befund wirklich gerecht zu werden: Der Sohn Gottes hat die menschliche Natur angenommen bzw. ist Mensch geworden, heißt es im deutschen und lateinischen Text. Das heißt: Es gab niemals einen Menschen Jesus, dessen „Ich“, dessen Subjekt nicht der ewige Sohn Gottes gewesen wäre. Der Sohn Gottes hat nicht einen Menschen, sondern die menschliche Natur angenommen, und zwar so, dass göttliche und menschliche Natur untrennbar in einer Person vereinigt sind. Das Augsburger Bekenntnis übernimmt damit, ebenso wie die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen Osteuropas, die Lehre des Konzils von Chalcedon von den zwei Naturen Christi, die zum Beispiel von der syrisch-orthodoxen Kirche abgelehnt wird, weil sie befürchtet, dass damit die Vereinigung der beiden Naturen in Christus und das „Ungleichgewicht“, dass der ewige Sohn Gottes die menschliche Natur, nicht aber ein Mensch die göttliche Natur angenommen hat, nicht angemessen ausgedrückt wird. Schaut man genau hin, setzt Melanchthon hier aber schon einen Akzent: Aus den vier Adjektiven, mit denen das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Christus im Konzil von Chalcedon beschrieben wird – unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert – übernimmt er nur den Begriff „ungetrennt“ bzw. „unzertrennlich“, also den Begriff, der gegen die Irrlehre der Nestorianer gerichtet war, die behaupteten, Maria habe nicht den ewigen Gottessohn, sondern nur den Menschen Jesus zur Welt gebracht und dürfe darum auch nicht als Mutter Gottes bezeichnet werden.

Genau diese Irrlehre der Nestorianer feierte in der Reformationszeit fröhliche Auferstehung in der Theologie des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli, dessen Statue noch heute im Berliner Dom auf die versammelte gottesdienstliche Gemeinde herabblickt: Wenn Jesus ein Wunder tut, dann ist es nur der Sohn Gottes, der dies Wunder vollbringt; wenn Jesus am Kreuz stirbt, dann ist es nur der Mensch Jesus und nicht der Sohn Gottes, der dort stirbt. Und genau gegen diese rationalistische, unbiblische Lehre Zwinglis betont Melanchthon das „untrennbar vereinigt“: Ich kann keine Aussage über Person und Werk Jesu machen, die nicht für beide Naturen zugleich gilt. Das Anliegen der mia-physitischen Kirchen wie der syrisch-orthodoxen Kirche, die von der einen „aus Gottheit und Menschheit zusammengesetzten Natur“ Jesu Christi sprechen, liegt dem lutherischen Bekenntnis also sehr viel näher als das der Nestorianer.

Auch grammatisch bindet Melanchthon im lateinischen und deutschen Urtext des Augsburger Bekenntnisses Person und Werk Jesu Christi und dessen Heilsbedeutung ganz eng zusammen: Alles zielt darauf, dass er, der wahre Gott und wahre Mensch Jesus Christus, „ein Opfer“ für unsere Sünden ist und Gottes Zorn versöhnt hat: Sein Weg hat nur ein Ziel: das zerbrochene Verhältnis zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen. Wenn das Augsburger Bekenntnis hier formuliert, dass Christus Gottes Zorn versöhnt hat, meint es nicht, dass Christus sich gleichsam in eigener Initiative einem blutrünstigen, rachehungrigen Gott entgegengestellt hat: Die Sühne unserer Schuld, die Christus mit seinem Kreuzesopfer vollzogen hat, bleibt immer Initiative Gottes des Vaters: Er versöhnt die Welt mit sich selbst durch dieses Opfer; er lenkt seinen Zorn aus Liebe zu uns Menschen auf Christus, damit dieser Zorn uns nicht trifft: Es geht bei der Versöhnung ganz wesentlich um ein Geschehen in Gott selbst: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.“ (2. Korinther 5,19)
Nicht gleich verständlich scheint die Formulierung, dass das Opfer Christi am Kreuz nicht nur für die Erbsünde, sondern auch für alle anderen Sünden der Menschen gilt. Diese Formulierung wendet sich gegen die damals weit verbreitete Auffassung, dass der Kreuzestod Christi in der Tat nur die Erbsünde der Menschen gesühnt habe, dass aber für die Sühne der „Tatsünden“ der Menschen immer wieder neu das Messopfer im Gottesdienst dargebracht werden müssten, also Leib und Blut Christi im Sakrament geopfert und als Opfergabe Gott dargebracht werden müssten. Die Erwiderungsschrift der römischen Seite, die „Confutatio“, weist dies zwar als Unterstellung zurück, doch formuliert einige Zeit später das Konzil von Trient in der Tat, dass das Messopfer im Gottesdienst ein „wahres Sühnopfer“ sei, ohne allerdings das Verhältnis zwischen Kreuzesopfer und Messopfer genau zu bestimmen oder die Wirkung von Kreuzesopfer und Messopfer auf verschiedene „Sündenarten“ zu verteilen. Dennoch verweist Melanchthon hier an dieser Stelle schon auf ein strittiges Thema, das er dann im 24. Artikel des Augsburger Bekenntnisses noch ausführlicher behandelt: Weil der Tod Christi das einzige Opfer ist, das vor Gott gilt, kann dieses Opfer nur ausgeteilt, aber nicht noch einmal vollzogen oder gar ergänzt werden.

Ein doppeltes Ziel des Weges Christi benennt der dritte Artikel des Augsburger Bekenntnisses sodann: Er, Christus, herrscht über alle Geschöpfe und regiert sie. Noch bleibt diese Herrschaft dem menschlichen Auge verborgen – und doch dürfen wir sie als Christen jetzt schon bekennen. Diejenigen, die an ihn, Christus, glauben, regiert er allerdings auch noch auf eine andere Weise: Er „heiligt, reinigt, stärkt, tröstet“ sie „durch den Heiligen Geist“. Wir finden im Augsburger Bekenntnis keinen eigenständigen Artikel „Vom Heiligen Geist“. Und das hat einen guten und wichtigen theologischen Grund: Das Augsburger Bekenntnis und mit ihm die lutherische Kirche betont, dass der Heilige Geist und sein Wirken ganz an Jesus Christus gebunden sind: Es gibt kein Wirken des Geistes und keine Erfahrungen des Heiligen Geistes, die von Christus losgelöst werden könnten. Dies ist gerade heutzutage eine ganz wichtige und aktuelle Aussage: Immer weiter verbreiten sich heute kirchliche Gruppierungen, die das vermeintliche Wirken des Heiligen Geistes in ihrer Mitte nicht mehr erkennbar an die Verkündigung des gekreuzigten Christus rückbinden, sondern es an Gefühlen oder mehr oder weniger sensationellen Erlebnissen festmachen. Doch wo auf diese Weise das vermeintliche Wirken des Heiligen Geistes verselbständigt wird, ist eben nicht mehr klar zu erkennen, ob es sich hierbei tatsächlich noch um den Heiligen Geist oder um einen sich fromm gebärdenden menschlichen Geist handelt, der sich als Stimme Gottes ausgibt. Wo auch immer Menschen behaupten, der Heilige Geist habe ihnen dieses oder jenes gesagt, ist von daher Vorsicht angesagt. Eindeutig identifizieren lässt sich das Wirken des Heiligen Geistes nur da, wo es direkt und eindeutig auf den gekreuzigten Christus und sein Wort verweist.

Eben darum wird der Heilige Geist hier schon und vor allem im Artikel vom Sohn Gottes behandelt. Dieser handelt durch den Heiligen Geist und bleibt selber derjenige, der Leben, dazu allerlei Güter und Gaben austeilt. Als Christen sollten wir zunächst und vor allem nach den Gaben Christi und nicht nach davon losgelösten Geistesgaben streben.

Neben dem Heiligen Geist findet auch der Teufel im dritten Artikel des Augsburger Bekenntnisses seine Erwähnung. Auch er ist im Augsburger Bekenntnis nicht Gegenstand eines eigenen Artikels, ja noch nicht einmal „Glaubensgegenstand“, denn Christen glauben nicht an den Teufel, sondern an den dreieinigen Gott. Sie wissen jedoch sehr wohl um den Widersacher Gottes, der sie lebenslänglich in einen Kampf zwingt. Aber sie wissen vor allem darum, wer in diesem Kampf der Stärkere ist, eben Christus, der erhöhte Herr. Darum wird der Teufel hier in diesem Artikel von vornherein gleichsam als Verlierer geschildert, als einer, der keine Chance hat, wo Menschen im Glauben unter dem Schutz und Schirm ihres Herrn Jesus Christus stehen.

Ausdrücklich erwähnt wird am Ende des Artikels auch die Wiederkunft Christi, die im 17. Artikel noch einmal als eigenständiges Thema behandelt wird. Ein Bekenntnis zu Christus, das dessen Wiederkunft ausblendet oder gar leugnet, bleibt notwendigerweise defizitär. Wo Menschen sich nicht mehr nach dem wiederkommenden Herrn Jesus Christus sehnen, lassen sie sich stattdessen von anderem bestimmen und treiben: von Weltverbesserungsideologien oder von mancherlei Ängsten oder mehr oder weniger offenem Zynismus. Auch kirchliche Verkündigung, die die Wiederkunft des Herrn verdrängt, bleibt von solchen Gefahren nicht verschont.

Betont wird im Augsburger Bekenntnis, dass sich die Wiederkunft Christi „öffentlich“ vollziehen wird, also so, dass kein Zweifel bestehen wird, dass er, Christus, der Herr und Richter der Welt, es ist, der da kommt. Diese Aussage ist gerade heute wieder ganz aktuell angesichts so mancher Sekten, die entweder wie die Zeugen Jehovas eine „unsichtbare Wiederkunft“ Christi lehren, um damit ihre irrtümliche Ankündigung der Wiederkunft Christi im Jahr 1914 aufrechterhalten zu können, oder die gar ihren Sektenführer als wiedergekommenen Christus verehren. Die Identität des wiederkommenden Christus wird jedoch niemand in Frage stellen können – vor ihm werden einmal alle ihre Knie beugen: vor ihm, der Mensch geworden und am Kreuz gestorben ist um unsertwillen, „auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (St. Johannes 3,16)


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Rund 350.000 Euro für „freie Reserve“


Seit 2014 läuft in der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) die Aktion „1.000 mal 1.000 Euro für die AKK“ zur Bildung einer freien Rücklage bei der Allgemeinen Kirchenkasse (AKK). Was hat es damit auf sich und wie ist der Stand der Dinge?

Finanzrücklage

Eine genaue Überprüfung der Zweckbestimmungen, mit denen Zuwendungen auf das Konto des Sonderfonds „Gehälter“ der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) überwiesen worden sind, hat eine Korrektur der bisher veröffentlichten Zahlen der Aktion „1.000 mal 1.000 Euro für die AKK“ erforderlich gemacht. „1.000 mal 1.000 Euro für die AKK“ ist eine von Gemeindegliedern der SELK initiierte, im Februar 2014 offiziell gestartete Aktion, bei der es der Grundidee nach darum geht, 1.000 Spenden von je 1.000 Euro zur Bildung einer „freien Reserve“ bei der Allgemeinen Kirchenkasse (AKK) der SELK einzuwerben – Mittel, die hinsichtlich der Besoldungs- und Versorgungsaufgaben der Kirche vorsorglich ein Polster bilden sollen. Es entsteht somit eine bewusst gebildete Rücklage, auf die in Krisenzeiten zurückgegriffen werden kann. Spenden für die Aktion werden auf das Konto des Sonderfonds „Gehälter“ der SELK erbeten und dann gesondert verbucht. Dazu ist eine eindeutige Zweckbestimmung auszuweisen. Die Überprüfung hat nun übergeben, dass diese Zweckbestimmung bei einer Reihe von – zum Teil größeren – Überweisungen so nicht gegeben war, weshalb die Mittel aus diesen Überweisungen den allgemeinen Gaben für den Sonderfonds und nicht der Aktion zuzurechnen waren.

Der aktuelle Stand der Aktion „1.000 mal 1.000 Euro für die AKK“ liegt per 1. August bei 347.309,20 Euro. Die Korrektur, die zu einer Rückführung des Spendenstandes um rund 30.000 Euro geführt hat, sei „bedauerlich, aber nicht zu ändern“, so Michael Schätzel, Geschäftsführender Kirchenrat im Kirchenbüro der SELK in Hannover. Nach wie vor gingen Spenden für die Aktion ein, so im vergangenen Jahr 52.605,22 Euro und im laufenden Jahr bisher 25.125,55 Euro. Er hoffe, so Schätzel, dass die Aktion noch einmal Fahrt aufnehme. Bisher hätten sich 189 Einzelspender, 26 Gemeinden oder Gemeindegruppen, vier Kirchenbezirke, ein Verein und eine Stiftung beteiligt. Auch Sammlungen anlässlich einer Hochzeit und eines Geburtstages seien eingegangen. Im laufenden Jahr hätten zudem die Angehörigen eines Verstorbenen statt der Gabe von Kränzen oder Blumen Überweisungen zugunsten der Aktion erbeten.

Spenden für die Aktion können mit dem Verwendungszeck „1.000 x 1.000“ auf folgendes Konto überwiesen werden:

SELK | Sonderfonds „Gehälter“ | Evangelische Bank 
IBAN: DE24 5206 0410 0100 6159 27
BIC: GENODEF1EK1

Bei Überweisungen ist wegen der Zuwendungsbestätigung die vollständige Absenderadresse anzugeben.

Stellungnahme zur „Ehe für alle“

 
Am Freitag, 30. Juni 2017, wurde im Bundestag die sogenannte „Ehe für alle“ beschlossen. Damit können nun auch homosexuelle Lebenspartnerschaften „verheiratet“ sein, was auch das Adoptionsrecht einschließt. Bislang konnten sie sich nur verpartnern.

Der leitende Geistliche der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover), hat im Vorfeld der Beschlussfassung mit Datum vom 29. Juni die folgende Stellungnahme abgegeben:
 
Bischof Voigt

„Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen.“ (Ökumenischer Monatsspruch für den Monat Juni 2017): Stellungnahme des Bischofs der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover), zur „Ehe für alle“

Nun kommt sie womöglich doch noch, die sogenannte „Ehe für alle“. Als Christinnen und Christen im Land können wir zu diesem womöglich letzten großen Projekt des Bundestages vor der Bundestagswahl nicht schweigen.

Die geplante Beschlussfassung durch Änderung eines Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch verstößt gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, wo es in Artikel 6 heißt: „(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Die unmittelbare Verbindung von Ehe und Familie mit Pflege und Erziehung von Kindern durch ihre Eltern zeigt klar und eindeutig, dass die grundsätzliche Möglichkeit zur Zeugung von Kindern (Generativität) zur Definition von Ehe durch das Grundgesetz gehört. Dies wurde durch mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts bestätigt.

Dabei steht außer Zweifel, dass der Staat die Pflicht hat, für die Gleichberechtigung seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, was auch für homosexuell lebende Menschen gilt. Bei der „Ehe für alle“ wird jedoch Ungleiches gleich gemacht, da eine homosexuelle Partnerschaft eben nicht die grundsätzliche Möglichkeit zur Zeugung von Kindern in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau darstellt, wie diese durch das Grundgesetz definiert wird. Deshalb ist die Definition einer Ehe als lebenslange Verbindung von Mann und Frau keine Diskriminierung von homosexuellen Frauen und Männern.

In der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik heißt es: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Gerade in Wahrnehmung dieser Verantwortung vor Gott und den Menschen ist der Bezug auf die „Grundordnung“ des Christentums, die Heilige Schrift, immer wieder notwendig und geboten. Auch dort wird in der „Präambel“ des christlich-jüdischen Kulturkreises, nämlich in der Genesis definiert: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch.“ (1. Mose 1,27-28). Keine Gesellschaft setzt diese „Präambel“ außer Kraft, ohne schweren Schaden zu nehmen.

Es mag kein Zufall sein, dass der Monatsspruch der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen für den Monat Juni an seinem letzten Tag eine Bedeutung bekommt, von der wir noch vor einer Woche nichts ahnten: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“  (Apostelgeschichte 5,29) Ja, demokratisch beschlossene Gesetze haben natürlich auch für lutherische Christinnen und Christen eine unbedingte Gültigkeit. Jedoch hat jede staatliche Ordnung ihre Grenze an der Gewissensbindung des Einzelnen an Gott. Auch Mehrheiten können irren, dies sollten wir nicht vergessen. So wird die sehr einfache Wahrheit, dass bis zum Ende der Zeit ein Mann und eine Frau zusammenkommen und ein Kind zeugen, am besten natürlich in lebenslanger Liebe und Verantwortung füreinander, durch kein Gesetz der Welt abzuschaffen sein.

SELK-Reformationsgedenken

„Was bleibt, ist Freude in Christus“

Im zentralen Gottesdienst der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) zum 500. Reformationsgedenken predigte am 24. Juni Bischof Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover) in der Stadtkirche in Wittenberg über das Jesaja-Wort: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat …“.

Wittenberg

In der gut gefüllten Stadtkirche St. Marien in Wittenberg nahm Bischof Hans-Jörg Voigt die Zuhörenden bildlich auf eine Bergwanderung mit. Von Jesaja, dem Propheten, der dem Volk Israel das mächtige Trostwort zusprach, wies er auf den nächsten „Berg“, der dahinter am Horizont sichtbar werde: Johannes der Täufer, der seinerseits auf Christus verwies. „Johannes, der Täufer, steht vor den Menschen und weist auf Jesus Christus hin“, sagte Voigt, „zu Jesus Christus hin will er den Weg bereiten und weist mit seinem Finger auf diesen Christus: „Siehe, dass ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“

Der höchste Berg dieser Welt sei nicht der Mount Everest, so Bischof Voigt, sondern „es ist der Berg Golgatha, auf dem das Kreuz Jesu dann steht.“ Dieser Berg sei gemacht aus allen Irrtümern, aller Schuld, allem Leid dieser Welt, so Voigt. Jesus Christus habe sie weggetragen. Bischof Voigt: „Er hat selbst diesen Müllhaufen menschlicher Sünde eben gemacht durch seinen Tod und durch seine Auferstehung.“

Das berühmte Altarbild von Lukas Cranach in der Wittenberger Stadtkirche aufnehmend, das Martin Luther predigend auf der Kanzel zeigt, wie er auf den gekreuzigten Christus deutet, verwies der leitende Geistliche der SELK auf diesen Prediger Martin Luther, der wie Johannes der Täufer auf Jesus Christus zeigte.

Der Berg, der vor Luther lag, sei ebenfalls unüberwindbar groß erschienen, so Bischof Voigt. Dieser Berg habe aus innerkirchlicher Korruption und einer fehlgeleiteten Theologie und Frömmigkeit bestanden. Bischof Voigt: „Da stand der kleine Priestermönch und fragt hier in dem Provinzstädtchen Wittenberg mit den Worten des Jesaja: ‚Was soll ich predigen? Was soll ich den Leuten bloß sagen, die hier in dieser Kirche mit den Ablassbriefen aus Jüterbog ankamen und dachten, sie hätten etwas ganz Großartiges gekauft’. Und er bekommt die Antwort: ‚Tröste, tröste mein Volk!’ und ‚Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.’“

Es war das Evangelium, das hier von Wittenberg aus die Welt verändert habe, sagte der Bischof, und so gelte es heute, an den Anfang der Reformation zu erinnern, wo es um nichts anderes ging als um die Frage, wie die Sünde und die Sündenstrafe vergeben wird. Auf diesen Trost der Vergebung folge die Freude in Christus, so Bischof Voigt: „Mit der Beichte nimmt die Versöhnung in unseren Familien ihren Anfang. Mit Beichte und Vergebung beginnt auch die Versöhnung der Kirchen. Mit der Beichte beginnt Reformation. Was bleibt ist Freude in Christus!“

Im Anschluss an die Predigt konnten sich alle anwesenden getauften Christen diese Vergebung unter Handauflegung zusagen lassen. Dass die Kirche, die aus dem in der Reformation wiederentdeckten Evangelium lebt, keine bloß deutsche Angelegenheit ist, war außer an der Anwesenheit internationaler Gäste auch daran erkennbar, dass an einem der Absolutionsorte die Vergebung den vielen anwesenden farsisprechenden Christen in ihrer Muttersprache zugesagt wurde.

Am Gottesdienst wirkten neben Bischof Voigt Propst Klaus-Peter Czwikla (Spiesen-Elversberg), Propst Gert Kelter (Görlitz), Propst Johannes Rehr (Sottrum), Pfarrer Dr. Gottfried Martens (Berlin-Steglitz), Prof. Dr. Christoph Barnbrock (Oberursel) und Vikar Diedrich Vorberg (Görlitz) Wilmersdorfsowie Jugendliche aus verschiedenen SELK-Kirchenbezirken mit, die an diesem Wochenende am „Luther 500-Festival“ teilnehmen.

Musikalisch wurde der Gottesdienst von Kantor Georg Mogwitz (Leipzig) gemeinsam mit dem Chor „Ostinato“ ausgestaltet. Auch ein spontan gebildeter Bläserchor unter der Leitung von Ulrich Schroeder (Dresden) wirkte mit: mit Luther-Chorälen vor und nach dem Gottesdienst und begleitend auch im Gottesdienst selbst.

Als Auftakt zu dem Festwochenende anlässlich des 500. Reformationsgedenkens hatte am Freitag, 23. Juni, eine Podiumsdiskussion in Berlin-Wilmersdorf stattgefunden zum Thema „Chancen und Herausforderungen für die lutherische Kirche im 21. Jahrhundert“. h-moll-MesseUnd am Samstag, 24. Juni, wurde in der Kirche der SELK-Gemeinde Berlin-Mitte von rund 80 Sängerinnen und Sängern, Solisten und Orchester die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach aufgeführt.

Als Zeichen der weltweit verbundenen lutherischen Bekenntniskirchen legten am Sonntag, 25. Juni – dem Tag des Augsburger Bekenntnisses (CA) – internationale Festprediger in den Gottesdiensten der Berliner SELK-Gemeinden einen Artikel des Bekenntnisses aus.

Festwochenende zum Reformationsgedenken


Vom 23. bis 25. Juni feiert die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) das 500. Reformationsgedenken. Die Veranstaltungen finden in Berlin und Wittenberg statt.

Reformationsgedenken

Den Auftakt macht am Freitag, 23. Juni, um 20.00 Uhr in der Kirche „Zum Heiligen Kreuz“ in Berlin-Wilmersdorf eine Podiumsdiskussion zum Thema „Chancen und Herausforderungen für die lutherische Kirche im 21. Jahrhundert“. Podiumsteilnehmer sind Präses Dr. Robert Bugbee (Winnipeg / Kanada), Erik Braunreuther (Dresden), Dr. Silja Joneleit-Oesch (Frankfurt), Prof. Dr. Werner Klän (Oberursel). Die Moderation hat Doris Michel-Schmidt (Merenberg). Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung vom „trio ad hoc“ aus Leipzig.

Mit einem zentralen Gedenkgottesdienst am Samstag, 24. Juni, in der Stadtkirche Wittenberg erinnert die SELK an die Kernaussage der Reformation, dass „wir Vergebung der Sünden finden aus Gnade um Christi willen durch den Glauben“, wie es im Hauptartikel IV des Augsburger Bekenntnisses heißt.
In dem Beichtgottesdienst, der um 13.00 Uhr beginnt, wird der Bischof der SELK, Hans-Jörg Voigt D.D. (Hannover), die Predigt halten und – gemeinsam mit den Pröpsten der SELK, Klaus-Peter Czwikla (Spiesen-Elversberg), Gert Kelter (Görlitz), und Johannes Rehr (Sottrum), die Vergebung, die Christus schenkt, den Gläubigen unter Handauflegung zusprechen.
„Ohne Zweifel ist es im Sinne Luthers“, so Bischof Voigt, „dass wir nicht ihn in den Mittelpunkt stellen, sondern Christus und den Glauben an ihn, den der Reformator vor 500 Jahren wieder ans Licht geholt hat.“

Direkt gegenüber der Stadtkirche befindet sich die „Alte Lateinschule“, das internationale Studien- und Begegnungszentrum, das von der Internationalen Lutherischen Wittenberg-Gesellschaft (ILSW) betrieben wird. Darin arbeiten die SELK und ihre US-amerikanische Schwesterkirche, die Lutherische Kirche-Missouri Synode (LCMS), zusammen. Die Alte Lateinschule ist Teil der in Wittenberg stattfindenden „Weltausstellung Reformation“ und präsentiert die Geschichte und die Gegenwart des konfessionellen Luthertums. Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, sich bei einer Ausstellung im Erdgeschoß des Gebäudes zu diesem Thema zu informieren, die neu gestaltete Kapelle zu besichtigen und den Bücherladen zu besuchen. Am Samstag, 24. Juni, wird die Alte Lateinschule von 10 Uhr bis 16 Uhr - jedoch nicht während des Gottesdienstes in der Stadtkirche - geöffnet sein.

Am Samstag Abend findet in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Berlin-Mitte (Annenstr. 53) ein Konzert statt, in dem über 80 Sängerinnen und Sänger, Solisten und Orchester die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bauch zu Gehör bringen. Das Konzert beginnt um 19.30 Uhr.

Am Sonntag, 25. Juni, schließlich, werden in den SELK-Gemeinden in Berlin und Potsdam internationale Festprediger in den Gottesdiensten jeweils einen Artikel des Augsburger Bekenntnisses auslegen. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Der 25. Juni ist gleichzeitig auch der Gedenktag des Augsburger Bekenntnisses.

Bereits zuvor – am 22. und 23. Juni – treffen sich in Berlin führende Vertreter der europäischen Region des International Lutherischen Rates (ILC), in dem weltweit lutherische Bekenntniskirche zusammenarbeiten. Am 25. und 26. Juni folgt dann noch die Sitzung des Leitungsgremiums (Exekutiv-Komitee) des ILC, ebenfalls in Berlin.

Genaue Informationen finden Sie hier: www.SELK.de/500


Aus der Predigtwerkstatt von Louis Harms


Ludwig Harms


Eine Sammlung bisher unveröffentlichter Predigten des „Heidepastors“ Louis Harms gibt Einblick in dessen Arbeitsweise. Kann man an den Predigten von Louis Harms lernen, warum es im 19. Jahrhundert in Hermannsburg zu einer so großen Erweckung kam? selk.de hat dazu Pastoralreferentin Dr. Andrea Grünhagen, Assistentin im Kirchenbüro der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in Hannover befragt, eine profunde Kennerin der Geschichte des berühmten Erweckungspredigers.

Andrea GrünhagenFrau Dr. Grünhagen, was hat Sie am meisten überrascht bei der Sichtung der bisher unveröffentlichten Predigten von Louis Harms?

Grünhagen: Ganz ehrlich: die Kürze der Predigtmanuskripte. Die berühmten Evangelien- und Epistelpredigten, die Louis Harms für den Druck geschrieben hat, sind deutlich umfangreicher, und von Ohrenzeugen wissen wir auch, dass er sehr lange gepredigt hat, weshalb seine Vorgesetzten ihn regelmäßig ermahnten. Es muss also auf der Kanzel noch zusätzliche freie Redeanteile gegeben haben.
Außerdem finde ich spannend zu beobachten, wie sehr er sich sowohl in der Diktion als auch in der Themenwahl über sein ganzes Predigerleben hin treu geblieben ist.

Was war so besonders damals in Hermannsburg, dass eine derartige Erweckung stattgefunden hat? Waren es die Predigten von Louis Harms, war es seine Persönlichkeit?

Grünhagen: Louis Harms und sein Hermannsburg sind einfach ein Phänomen! Es ist geradezu paradox, wie einer, der homiletisch so ziemlich alles falsch macht, trotzdem als einer der größten Erweckungsprediger gilt. Rhetorische Kunstgriffe, gefällige Erscheinung und Redeweise – alles Fehlanzeige. Allerdings, wenn immer wieder eingeschärft wird, der Prediger solle doch den Hörer und seine Situation bedenken und darauf eingehen – tja, das hat Louis Harms durchaus getan. Allerdings nicht nur beim Zuspruch des tröstlichen Evangeliums, sondern in hohem Maße bei der Predigt des Gesetzes. Da ist er erschreckend konkret geworden. Er kannte seine Gemeinde und eben auch ihre Sünden. Seine Schroffheit hat der Wirkung der Predigten keinen Abbruch getan.
Und die Persönlichkeit? Gibt es typische Eigenschaften bei Pfarrern, die Erweckungen auslösen? Schön wäre es, leider ist es nicht ganz so einfach. Man kann im Rückblick Zusammenhänge beobachten: Scheinbare Zufälligkeiten, wie die Tatsache, dass er eben auch ein Hermannsburger Kind war und manches Mal in der Predigt „wir“ sagen kann, wo ein anderer „ihr“ hätte sagen müssen. Bewegend finde ich z.B. die nun veröffentlichte Konfirmationspredigt, die er als Nachfolger seines Vaters ein halbes Jahr nach dessen Tod gehalten hat. Man spürt es, und er sagt es, wie er in den Lesungen noch die Stimme seines Vaters hört; und er konfirmiert die Kinder vor dem Altar, vor dem er einst selbst als Konfirmand gestanden hat. Nun, so etwas gibt es nicht oft, dass jemand in seiner Heimatgemeinde Pastor wird. Aber wie hilfreich es ist, wenn ein Pastor seine Gemeinde zutiefst kennt und diesen Ort und diese Menschen innerlich bejaht und liebt, das kann man da sehen.
Dann sind da sicher seine besonderen Gaben zu nennen, seine Sprachbegabung, seine Belastbarkeit. Manches ist auch schwer zu fassen. Louis Harms hatte etwas Eindringliches, Absolutes und auch Asketisches in seinem Wesen. Man konnte ihn nur lieben oder hassen. Aber vermutlich passiert mit „der eine sagt so, der andere sagt so“ auch keine Erweckung.

Gerade auch Jugendliche und junge Erwachsene nahmen sich damals zu Herzen, was ihr Pastor ihnen predigte. Dabei redete er ihnen scharf ins Gewissen; in der eben von Ihnen erwähnten Predigt zur Konfirmation 1845 klingt das beispielsweise so: „Vermeidet die bösen Gesellschaften, fliehet die Schmeichler, Lügner und Verführer als Mörder eures Leibes, fliehet die Gotteslästerer und Flucher und Spötter über Religion als giftige Seelenmörder…“Kritiker mögen das als „gesetzlich“ bezeichnen – ist es das nicht?

Grünhagen: „Gesetzlich“ ist damals wie heute nicht die Predigt des Gesetzes, und Louis Harms nannte die Pastoren „stumme Hunde“, die sich nicht trauten, auch das Gesetz zu führen. „Gesetzlich“ ist die Vermischung von Gesetz und Evangelium. Ich würde lieber heute so manchem Prediger gerne mal die Konditionalsätze herausstreichen und Floskeln wie „darum lasst“ und „nun“ oder „dankbar wollen wir nun…“ und die unterschwelligen Apelle – bevor ich solche Schärfe der Gesetzespredigt wie bei Louis Harms negativ finde. Warum nicht eine solche Predigtweise einmal auch als eine Anfrage an uns selbst verstehen? Mir selbst hat Louis Harms über die Zeiten hinweg schon ein paar Grundsätze vermittelt, z. B den Satz: „Es gibt eine Union, die ist noch viel schlimmer als die Union in der Lehre. Und das ist die Union im Leben.“

Der Harms-Forscher Hugald Grafe schreibt im Vorwort zum neu herausgegebenen Predigt-Band vom „Unbedingten“, das in den Predigten zu erkennen sei. Tatsächlich spricht Harms die Zuhörenden immer wieder als geliebte, als teure Kinder an und fleht sie geradezu an, ja, beschwört sie, ihrem Hirten Jesu zu folgen, auf seine Stimme zu hören, nicht aufzuhören zu beten, um die Seligkeit nicht zu verwirken. Heutzutage traut man sich kaum noch, in dieser Dringlichkeit vom Seelenheil zu reden. Wird das nicht mehr verstanden? Stößt das heute – im Gegensatz zu damals – eher ab?

Grünhagen: Tatsächlich hat es auch zu Louis Harms Lebzeiten viele abgestoßen. Dass er so ungemein konkret wurde beim Benennen von Sünden, besonders gegen das 6. Gebot, hat so manchen Predigthörer, besonders von der vornehmen Sorte, empört nach Luft schnappen lassen. Dass da ein Prediger noch an Himmel und Hölle samt der Existenz des leibhaftigen Teufels glaubte, war damals schon völlig unzeitgemäß. Der Mann sei ja dreihundert Jahre zurück, also irgendwo bei der Reformation oder der Orthodoxie hängengeblieben, sagte man damals. Er nahm es als Kompliment und meinte, genau genommen sei er etwa 1800 Jahre zurück.
Ihm waren solche Gedanken, was man „noch“ oder „nicht mehr“ oder „heutzutage“ sagen könnte völlig egal. Wenn er meinte, etwas aus Gottes Wort predigen zu müssen, dann tat er das.
Harms selbst hat dieses „Unbedingte“ einmal in einem Ratschlag an einen jungen Amtsbruder so beschrieben: „Mit des heiligen Geistes Kraft, akkurat nach dem Worte getrieben von der Liebe Christi, und dann ohne weiteres darauf und daran, und gesprochen, wie einem der Schnabel gewachsen ist, und getan, was man nicht lassen kann, und in jeder Seele eine Seele sehn, die Christus mit Blut erkauft hat, und die ihm gehört und die man ihm wiedergewinnen muss, das ist der frische Lebensweg.“
Gut an unserer heutigen homiletischen Ausbildung sind die Sicherungsmechanismen, die einen sorgfältig zurückfragen lassen, ob das, was man meint sagen zu müssen, auch wirklich im Bibeltext steht oder ob das vielleicht nur mein subjektiver Eindruck ist. Wenn Louis Harms z.B., auch noch bei einer Visitationspredigt, die sich im neuen Predigtband findet, voller Überzeugung behauptet, Blattern seien nicht ansteckend und falls doch, würde Gott einen schon behüten, dann ist das nicht nur verwegen, sondern richtig gefährlich.

Auch die Vollmacht, mit der Louis Harms predigte, wird heute deutlich in Frage gestellt. Heute würde wohl kaum mehr ein Pfarrer auf der Kanzel so bestimmt davon reden, dass nicht er, sondern Gott predigt?

Grünhagen: Vielleicht sollten sie dann lieber gar nicht auf die Kanzel gehen? Es gibt ja den Spruch, man könne nach einer Predigt entweder sagen „Haec dixit dominus – Das sagt der Herr“ oder es sein lassen.
Ein bisschen mehr Bewusstsein davon, dass ein Pfarrer tatsächlich die Vollmacht übertragen bekommen hat, Gericht und Rettung anzusagen, würde eigentlich nicht schaden. Und würde vielleicht Pfarrer und Gemeinde entlasten. Jemand wie Louis Harms hatte weder den Anspruch, die Hörer gut unterhalten zu wollen (obwohl die Sonntage in Hermannsburg zu einem „Event“ wurden), noch von ihnen gemocht zu werden (obwohl er sehr gut Aufmerksamkeit für seine Projekte zu erzeugen wusste), noch ihnen freundliche Ratschläge zu erteilen, mit denen sie dann machen konnten, was sie wollten. Er wusste sich verantwortlich für seine Gemeinde. Das hat etwas mit seinem Amtsverständnis zu tun, was ein sehr hohes war. Diese Vollmacht ist ja nicht etwas, das der Prediger als übernatürliche Fähigkeit hat, sondern etwas, das ihn als Person in Dienst nimmt und gebraucht. Was nicht heißt, dass es homiletisch nicht auch echt schief gehen kann, das war auch bei Louis Harms so, und die Gemeinde das dann erleiden muss. Auf alle Fälle war er als Prediger authentisch. Zum Abschluss noch mal sein Rat: „Unter Gottes Wort muss sich alles beugen, und kein Verhältnis und keine Folgen dispensieren davon. Dabei bitte ich Sie, wandeln Sie heilig, predigen Sie kein Wort, das Sie nicht selber tun…“

Was ist aus Ihrer Sicht das „Überzeitliche“ dieser Predigten, von dem man heute noch etwas lernen kann?

Grünhagen: Ich bin mir nicht sicher, ob man Harmspredigten heute noch mit Gewinn zur eigenen Erbauung lesen kann. Ich hab es mal versucht und einfach vor ein paar Jahren sonntags die jeweilige Evangelienpredigt gelesen. Das war ganz spannend und geistlich sicher nicht völlig umsonst. Aber 1:1 übertragen kann man natürlich nicht alles. Wissenschaftlich ist dieser neue Predigtband natürlich ein echter Schatz, weil er einem einen Blick in das Wie des Predigtschreibens von Louis Harms über einen langen Zeitraum hinweg ermöglicht. Kann man dabei etwas für das eigene Predigen lernen? In jedem Fall, und sei es am schlechten Beispiel. Und ganz nebenbei kann es auch sein, dass Gottes Wort durch den Prediger irgendwie wirkt…


Die Fragen stellte Doris Michel-Schmidt

Der Band „Aus der Predigtwerkstatt von Pastor Louis Harms“, herausgegeben von SELK-Pfarrer i.R. Dr. Hartwig Harms, ist im Verlag Ludwig-Harms-Haus erschienen und kostet 29,90 Euro.

Projektchor zum Reformationsjubiläum

Ein beeindruckendes Engagement von allen Beteiligten

Ein gesamtkirchlicher Projektchor der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) führt anlässlich des Reformationsgedenkens am 24. Juni in Berlin-Mitte die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach auf. Nadine Vollmar, Kantorin in der Region Süd der SELK, leitet gemeinsam mit Kantorin Antje Ney das Projekt.

Chor

selk.de: An den Allgemeinen Kirchenmusiktagen in Hermannsburg fand die letzte gemeinsame Chorprobe für die Aufführung in Berlin statt: So langsam wird die Anspannung bei Ihnen vermutlich steigen?

Vollmar: Nein, ich empfinde es nicht als Anspannung, sondern als Vorfreude auf die Aufführung in Berlin. Je länger wir proben, desto intensiver lernen wir die h-Moll Messe kennen. Jeder weiß, was noch zu tun ist vor der Aufführung, und die Sängerinnen und Sänger bereiten sich mit großem Engagement auch zwischen den Proben sehr gut selbständig vor.

selk.de: Wie haben Sie die Probenarbeit gestaltet, damit alle Sängerinnen und Sänger möglichst auf dem gleichen Stand sind?

Vollmar: Wir haben für die Teilnahme an diesem Projekt zur Bedingung gemacht, dass die Sängerinnen und Sänger nahezu bei jeder Probe anwesend sein müssen. Außerdem haben Antje Ney und ich immer wieder Absprachen getroffen, welche Stücke bei welcher Probe erarbeitet werden, so dass alle auf dem gleichen Stand sind. Während der Proben haben wir immer wieder Stimmproben machen können, um schwierige Passagen zu festigen.

selk.de: Ein Projektchor aus dem gesamten Bundesgebiet wird in Berlin auftreten – das ist auch eine logistische Herausforderung für die Berliner Kirchgemeinden der SELK. Mit wie vielen Chormitgliedern werden Sie anreisen?

Vollmar: Über 80 Sängerinnen und Sänger von Kiel bis zum Bodensee werden sich auf den Weg nach Berlin machen. Bahnfahrkarten und Flugtickets wurden von einigen Sängern bereits gebucht, um pünktlich zur Generalprobe vor Ort zu sein. Ein beeindruckendes Engagement von allen Beteiligten!

selk.de: Sie werden die Messe in h-Moll von Johann Sebastian Bach aufführen. Ein sehr bekanntes und beliebtes Werk – was war für Sie ausschlaggebend, sich dafür zu entscheiden?

Vollmar: „Wenn wir ein Konzert mit diesem gewaltigen Aufwand machen, dann machen wir es richtig“, haben Antje Ney und ich uns gesagt, als wir vor weniger als einem Jahr die Anfrage bekamen, ein „großes Konzert“ in Berlin anlässlich des Reformationsjubiläums durchzuführen. Bei der Suche nach einem geeigneten Werk, das sowohl musikalisch als auch theologisch dem Anlass gerecht wird, kamen unsere Gedanken neben der h-Moll Messe auch an Werken von F. Mendelssohn Bartholdy vorbei. Jedoch schien uns am Ende die h-Moll Messe am passendsten. Denn wie bekannt ist, war J.S. Bach Luthers Theologie sehr nahe.
Die hohe Messe in h-Moll spricht sowohl Sänger als auch Zuhörer an und ist ein sehr guter Grund, gemeinsam das Reformationsjubiläum in Berlin feierlich zu begehen. Außerdem ist sie ein großartiges Zeugnis christlichen Glaubens, denn Johann Sebastian Bach komponierte sie 1749, kurz vor seinem Tod, fertig als eines von drei Werken (neben der Kunst der Fuge und dem musikalischen Opfer), die man als sein musikalisches Testament betrachten kann.

selk.de: Das Reformationsjubiläum 2017 hat unter anderem auch die Bedeutung von Musik, vom Singen, für das lutherische Christsein neu in den Fokus gerückt. Gleichzeitig haben viele Kirchenchöre Probleme, junge Mitglieder zu finden. Wie hat sich Ihrer Erfahrung nach die Chorarbeit in unserer Kirche entwickelt? Wo kann man neue Impulse setzen?

Vollmar: Nun, ob das Reformationsjubiläum einen direkten Zusammenhang mit den Sängerzahlen in Kirchenchören hat, wage ich zu bezweifeln … Auf dem Land gibt es eine Redewendung: „Man kann nur mit den Ochsen ackern, die man hat“. Übertragen bedeutet das für mich, dankbar zu sein für die guten und engagierten Chormitglieder, die es im kirchlichen Bereich gibt, die ihren Glauben singend zum Ausdruck bringen und andere Menschen damit berühren.
Für mich liegt der Blick selten darauf, wie viele Sänger im Chor sind, sondern, wie sehr ihnen daran liegt, in der Musik mit Gott in Kontakt zu sein und dies auch die Zuhörer spüren zu lassen. Wenn wir daran arbeiten, sowohl mit Kindern und Jugendlichen als auch mit Erwachsenen und Senioren, und die Musik jemanden berührt, dann haben wir viel erreicht. Zum Lob Gottes und für unsere Nächsten.


Die Fragen stellte Doris Michel-Schmidt

Die ganze Welt, auch Deutschland, ist Missionsgebiet


Der amtierende Missionsdirektor der Lutherischen Kirchenmission (LKM) der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), Pastor Roger Zieger, ist für eine weitere Amtszeit wiedergewählt worden. selk.de hat ihn zu Schwerpunkten in der Arbeit der LKM befragt, die dieses Jahr ihr 125jähriges Bestehen feiert.

Roger Zieger

Herr Pastor Zieger, was hat Sie in den letzten Jahren als Missionsdirektor am meisten gefreut?

Eine schwierige Frage. Es gibt so viele Erlebnisse und Begebenheiten, über die ich mich gefreut habe. Wenn ich eine Wahl treffen muss, dann würde ich eine Entwicklung nennen, bei der ich mich geirrt habe. Als wir im Jahr 2015 gebeten wurden, die Missionsmöglichkeiten in Mosambik zu evaluieren, waren Missionsrepräsentant Christoph Weber und ich höchst skeptisch. Wir glaubten nicht so recht an die Berichte, die wir gehört hatten, und konnten uns nur schwer vorstellen, wie die Arbeit, an einem so weit entfernten Ort, funktionieren sollte. Nach 14 Tagen vor Ort, waren wir bekehrt. Und heute, zwei Jahre später, steht für mich eine weitere Reise nach Mosambik an. Aus den acht Gemeinden sind inzwischen mehr als 50 geworden, bis hin in die 500 km vom Dorf Senna entfernte Hafenstadt Senna; ich bin gespannt, was mich erwartet.

Die LKM wurde vor 125 Jahren gegründet; heute ist die Welt eine andere – wie hat sich Mission gewandelt?

– mit der Welt! Es gibt keine Kolonien mehr, und während wir früher Missionare aus Deutschland ins Missionsfeld sandten, sind heute fast alle unsere Missionare Einheimische. Auf den jeweiligen Missionsfeldern arbeiten wir eng mit den dortigen Kirchen zusammen. Die beiden südafrikanischen Schwesterkirchen sind mit uns zusammen in der Mission of Lutheran Churches - Bleckmarer Mission organisiert und entscheiden mit, wo und wie wir uns in Afrika engagieren. Auf diese Weise versucht die Mission einem theologischen „Neokolonialismus“ zu entgegnen, wie er sich in den letzten Jahren an anderen Stellen anzudeuten scheint.
Besonders augenfällig aber ist die Veränderung, vor der wir stehen, wenn wir uns eine Weltkarte vorstellen, auf der der prozentuale Anteil von Christen an der Bevölkerung verzeichnet wäre. Wie Prof. Dr. Böhmer anlässlich seines Vortrags zum Jubiläum der LKM in Bleckmar feststellte, hat sich der Schwerpunkt der Christenheit nach Süden verlagert. Der durchschnittliche Christ ist weder alt, noch wohnt er in Europa oder Nordamerika, vielmehr ist er jung und wohnt irgendwo, mitten in Afrika.
Kurz gesagt, die ganze Welt, auch unsere Heimat, ist zum Missionsgebiet geworden.

Müsste man dann heute das Augenmerk nicht vermehrt auf Deutschland legen? Der geografische Schwerpunkt der Arbeit der LKM liegt weiterhin in Afrika.

Wie gerade gesagt, die ganze Welt, auch Deutschland ist Missionsgebiet, und die Lutherische Kirchenmission ist sich dessen bewusst. Bereits seit gut 20 Jahren gab und gibt es darum auch Missionsprojekte in Deutschland. Nachdem Döbbrick, Gifhorn und Marzahn, wie geplant, in die Versorgung durch unsere Kirche übergegangen sind, haben wir, mit Leipzig, augenblicklich zwar nur ein laufendes Projekt in Deutschland, sind aber im Gespräch mit der Kirchenleitung bezüglich weiterer Möglichkeiten. Ein Projekt, das wir zusammen mit der amerikanischen Schwesterkirche planen, hätte im Januar anlaufen sollen. Leider ist der betreffende Missionar so schwer erkrankt, dass er ganz aus dem Dienst ausscheiden musste, und wir suchen augenblicklich Ersatz. Ich hoffe sehr, dass wir, gemeinsam mit unserer Kirche, in der nahen Zukunft auch neue Missionsprojekte verwirklichen können. Ich könnte mir gut vorstellen, dass beispielsweise ein Missionar ausgesandt würde, um mit Gemeinden der SELK in Missionsprojekten vor Ort zusammenzuarbeiten.
Noch einmal, weil es mir wichtig ist: Alle Menschen brauchen die Botschaft von der Freiheit in Christus, und darum ist die ganze Welt Missionsgebiet – Afrika wie Deutschland.

Die LKM wird durch Spenden finanziert – wie hat sich das Spendenverhalten verändert?

Da ich, um diese Frage zu beantworten, teilweise spekulieren muss, zunächst ein paar Fakten: In den letzten fünf Jahren konnte die Mission, dem Herrn sei Dank, ihre Haushaltsansätze nicht nur erfüllen, sondern sogar positiv abschließen; nicht mit großen Überschüssen, aber immerhin. Dies verdanken wir zum einen den Daueraufträgen und monatlichen Überweisungen, die viele Missionsfreunde regelmäßig an uns schicken, zum anderen einigen Großspenden und - hier sehe ich eine Veränderung - den projektbezogenen Spenden. Augenblicklich versucht die Missionsleitung, sich einen Überblick über das Altersspektrum unserer Unterstützer zu verschaffen. Obwohl wir erst am Anfang dieser Arbeit stehen, zeigt ein erster Durchgang, dass die Spenderschaft nicht in dem Masse „überaltert“ ist, wie wir befürchtet haben.
Zurück zur Eingangsfrage und damit zu den projektbezogenen Spenden. Es ist offensichtlich so, dass die Menschen heute leichter zu bewegen sind, für konkrete Projekte zu spenden, als für einen allgemeinen Haushalt - vielleicht wegen der damit verbundenen Identifikationsmöglichkeit mit dem jeweiligen Projekt.

Welche Schwerpunkte setzt die LKM, die dieses Jahr ihr 125jähriges Bestehen feiert?

Wir haben lange überlegt, wie wir dieses Jubiläum begehen sollen und sind zu dem Entschluss gekommen, dies durch eine besondere Ausgestaltung des diesjährigen Missionskollegiums und des Missionsfestes der Bleckmarer Mission und der Bleckmarer Gemeinde am 9. Juli, zu dem wir herzlich einladen, zu tun. Zum Missionskollegium hatten wir Dozent Dr. Karl Böhmer eingeladen, der für die Mission als Missionar im akademischen Dienst am Lutherischen Theologischen Seminar in Pretoria arbeitet. Der Vortrag stieß auf großes Interesse und wird zu unserem Jubiläum veröffentlicht. Zum Missionsfest haben wir mit Pfarrer i.R. Richard Tepper einen besonderen Festprediger eingeladen und freuen uns auf Missionar Thomas Beneke, der für uns in Newcastle (Südafrika) arbeitet. Für die zweite Hälfte des Jahres planen wir einen Workshop zum Thema „Mission in Deutschland“.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte wollen Sie in der kommenden Amtszeit setzen?

Einen Schwerpunkt werden die anstehenden Überlegungen zur strategischen und inhaltlichen Zukunft der Mission bilden, mit denen wir für die kommenden drei Jahre beauftragt wurden und die wir gemeinsam mit der Kirchenleitung machen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sicherung der Finanzbasis der Mission. Neben anhaltendem Gebet möchte ich versuchen, das, was man heute „Spenderbetreuung“ nennt, weiter zu verbessern.
In Deutschland würde ich gerne die Zusammenarbeit mit der Kirche allgemein und einzelnen Gemeinden im Besonderen weiter vertiefen. Es ist die Kirche und es sind die Gemeinden, die wissen, was an den einzelnen Orten „angesagt“ ist.
Das Engagement in der Ausbildung, wie wir es in den letzten Jahren in Afrika verstärkt haben, bleibt ebenfalls ganz vorn auf meiner persönlichen Prioritätenliste. Über die Ausbildung von Multiplikatoren hat sich unsere „Einflusssphäre“ erheblich erweitert. Unter dem Motto „Aus Afrika – In Afrika – Für Afrika“ können wir heute – an dieser Stelle mein herzlicher Dank an Prof. habil. Dr. Werner Klän – Theologen bis zur Promotion führen. Damit ergeben sich ganz neue Möglichkeiten für die Mission und die Lutherische Kirche in Afrika. Studenten, die in Pretoria studiert haben, kehren in ihre Heimatländer zurück und geben das weiter, was sie gelernt haben, so z.B. Rev. Peter Abia, der gerade im Sudan zum Bischof gewählt wurde. In diese Kategorie fällt auch die erstaunliche Arbeit von Missionar Carlos Winterle, der in Mosambik gerade 28 Studenten ausbildet.

Schwerpunkte der Mission werden vom Missionskollegium gesetzt, die Frage bezieht sich aber sicher auch auf persönliche Schwerpunkte. Die stimmen mit dem gerade gesagten überein, einen weiteren, der nicht ganz so im Vordergrund des Interesses steht, der mir aber persönlich sehr wichtig ist, möchte ich abschließend nennen.
Augenblicklich haben wir drei Frauen im missionarisch-diakonischen Dienst: In Deutschland Frau Magdalene Küttner; in Brasilien Frau Andrea Riemann, in Südafrika Frau Magdalene Schnackenberg. Für mich ist das Mission und in diesem Zusammenhang möchte ich einen Schwerpunkt bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage: „Was ist Mission?“ setzen. Hier müssen wir, glaube ich, arbeiten. Ist es „nur“ Verkündigung oder ist Mission auch „Tun“? Wer treibt Mission - Gott oder Menschen? Wann lohnt sich Mission? Ein Nachdenken darüber wird hilfreich für den Weg der Mission und damit für die Verbreitung des Evangeliums sein.


Die Fragen stellte Doris Michel-Schmidt

Passion und Auferstehung: Kindern zumutbar?


Können Kinder fassen, was zu Ostern passiert? Was geht in ihnen vor, wenn sie die brutale Passion von Jesus Christus und seinen qualvollen Tod am Kreuz entdecken? Kinder würden zwangsläufig Erfahrungen mit Leid und Tod machen, schreibt Pfarrer Benjamin Anwand (Widdershausen) von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Lutherische Kirche“. Und gerade, wenn das Leiden und die Auferstehung von Jesus Christus mit den eigenen Erfahrungen der Kinder in Beziehung gesetzt werde, spanne sich ein hilfreicher Deutungsrahmen, der es möglich mache, über schwere Dinge im eigenen Leben zu reden.

Benjamin Anwand

„So, du bist jetzt Jesus!“ Mit ausgestreckten Armen liegt der Dreijährige im Wohnzimmer auf dem Teppich. Sein älterer Bruder hält den Hammer aus der Kinderwerkzeugkiste in der Hand. Die Buntstifte markieren die Nägel. „Jetzt geht’s los!“ Die Schläge des Plastikhammers erfüllen das Wohnzimmer. Nach wenigen Sekunden die entscheidende Frage: „Bin ich jetzt tot?“ „Ich glaube schon. Jetzt kommst du gleich in eine Höhle.“ „Und dann?“ „Dann? Dann wirst du irgendwie wieder lebendig.“ „Cool! – Wollen wir jetzt mit der Eisenbahn spielen?“ Und schon sind die beiden auf ihrem Weg ins Kinderzimmer.

Szenenwechsel. Zwei Mütter unterhalten sich, ob es Sinn macht, an Karfreitag mit den Kindern in den Gottesdienst zu gehen. „Das verstehen die nie. Das ist viel zu brutal. Davon kriegt man nur Alpträume.“ Ist das so? Dass Kindern die Passion von Jesus Christus nicht zuzumuten ist?

Kinder wissen, was „Leiden“ bedeutet

Kinder haben in Wahrheit meist viel Erfahrung mit Leid. Auch in jungen Jahren. Da finden die Kinder im Garten einen toten Marder. Die Zunge hängt aus dem kleinen Maul. Die Augen stehen schief. Es schaudert und fasziniert sie zugleich. Der Vater wird den Spaten holen, sie gehen ein Stück Richtung Waldrand. Es wird ein Loch ausgehoben. Der tote Körper vorsichtig hineingelegt. Alle stehen um das notdürftige, schmucklose Grab.
Und die Kinder stellen ihre Fragen. „Was passiert mit dem Marder?“ „Es hat sich ganz komisch angefühlt, den toten Marder zu sehen. Warum hat der gestunken?“ „Kriegt der da in der Erde Luft?“ „Kommt ihr eigentlich auch alle zu meiner Beerdigung?“

Wer mit Kindern zusammen lebt, kennt solche Situationen. Die Traurigkeit, die in Kindern ausgelöst wird, wenn ein geliebtes Haustier stirbt. Die Fragen, die kommen, wenn jemand in der Familie schwer krank ist. Im Kinderunterricht wird am Ende immer miteinander gebetet. Jedes Kind darf Gebetsanliegen benennen. Und es zeigt sich: Kinder spüren, dass es dem Opa schlecht geht. Sie spüren die Angst, wenn die Großen von „Krebs“ reden, der die Großmutter so schwach und matt macht. Kinder kennen das Leid, und sie lernen auch den Tod kennen.

Häufig taucht in Verbindung mit dem Sterben eines Familienmitglieds die Frage auf: „Können wir unseren Kindern zumuten, mit zur Beerdigung zu kommen?“ Und wie oft entscheiden Eltern, dass Kindern das nicht zuzumuten sei. Zumeist aus der Unsicherheit heraus, wie das Kind reagieren wird. Aus Angst, keine Antworten zu haben. Oder die falschen Antworten zu liefern.

Was für eine verpasste Chance. Denn Kinder geben das Tempo und das Maß an Interesse selber vor. Sie stellen ihre Fragen. Ihrem Alter und ihrem Interesse gemäß. Sie können beobachten. Wahrnehmen. Fragen. Und Eltern geben ehrlich Antwort.
„Was ist das für ein Holzkasten?“ – „Das ist ein Sarg. Da liegt der tote Körper von Oma drin.“ – „Und was hat die Oma an?“ – „Ihre Lieblingssachen. Die weiße Bluse und die schöne Kette. Auch ihre Haare sind schön gekämmt.“ – „Das ist ja toll. Ich möchte mal meinen Lieblingsschlafanzug anziehen! Den mit der Feuerwehr.“
Andere Kinder stellen andere Fragen. Ein Siebenjähriger wird anders fragen als ein Dreijähriger. Aber es ist tatsächlich erfüllend, mit Kindern über diese großen Fragen des Lebens zu reden, die ja zumeist in kleiner Münze daher kommen. Deshalb ist es gewinnbringend, Kindern das Erleben von Beerdigungen nicht vorzuenthalten. Gerade dann, wenn Beerdigungen zu Auferstehungsfesten werden. So, wie es Menschen in den Gemeinden der SELK so häufig erleben.

Horrorclowns und Halloween

Und zu bedenken bleibt ja auch Folgendes: Was muten Eltern ihren Kindern sonst alles an „Leiderfahrungen“ zu? Durch einen freien Zugriff auf Fernbedienung und Tablett? Welche Details wissen Kleinkinder von den Machenschaften irgendwelcher Horrorclowns zu berichten, und wie zugerichtet sehen bereits Kindergartenkinder nach der Schminkaktion zu Halloween aus?

Kinder haben zwangsläufig Erfahrungen mit Leid und Tod. Und für Eltern ist es gut, die Fragen der Kinder aufzunehmen. Auch Gelegenheiten zu schaffen, in denen sich solche Gespräche ergeben können. Zeit zu haben. Bei Spaziergängen oder Autofahrten, auf dem Spielteppich im Kinderzimmer, beim ins Bett bringen.

Und dabei wird sich zeigen: Zumeist übernehmen die Kinder die Emotionalität ihrer Eltern. Sagt die Mutter: „Oh Gott, wir sollen da zur Beerdigung? Ist ja schrecklich. Nein – was machen wir bloß? Auf dem Friedhof ist immer so eine trübe Stimmung, die zieht mich voll runter!“, dann wird das Kind einen ähnlichen Zugang zum Umgang mit Sterben und Beerdigungen entwickeln. Geht eine Familie selbstverständlich zur Beerdigung der Großmutter, alle gemeinsam, dann kann man das auch gemeinsam angemessen gestalten. Was Schickes anziehen. Über die Oma reden. Gottesdienst feiern. Zwischendrin weinen. Sich von der kleinen Enkelin ein Taschentuch zustecken lassen. Laut am Grab „Christ ist erstanden“ singen. Tapfer Fragen beantworten. Beim Trauerkaffee lecker Kuchen essen.

Sicher: Wenn ein Kind ein Elternteil verliert, wenn es sich um ein dramatisches Sterben handelt, dann liegen die Dinge mit einer deutlich größeren Heftigkeit auf dem Tisch. Dann ist oft auch professionelle Hilfe und Begleitung notwendig. Und dennoch hilft einem Kind der offene Umgang. Das Dabeisein. Damit die Bilder, mit denen es konfrontiert wird, begreifbar werden. Damit ein Kind seine Fragen stellen kann und Antworten und Orientierung bekommt. So unfertig das Gesagte sein mag. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, was für eine innere Kraft doch Kinder aufbringen können. Vom Sterbebett und aus der Schockstarre der Großen heraus läuft das Kind, wenn ihm irgendwann danach ist, wieder ins Kinderzimmer, um die Legoburg fertig zu bauen.

Ohne Karfreitag kein Ostern

Wie aber lässt sich nun konkret mit Kindern Leiden, Tod und Auferstehung von Jesus Christus angemessen erleben? Zunächst gilt es auch hier, einen Raum zu schaffen, in dem Kinder diese Geschichten hören und ihre Begegnungen machen können. Heißt konkret: Sie mit zu den Gottesdiensten zu nehmen. Gerade auch am Karfreitag. Dort hören sie im Kindergottesdienst die Geschichte von Verrat und Verhör, von den Schlägen und fiesen Sprüchen und vom Sterben am Kreuz. Und sie werden ihre Anknüpfungspunkte finden. In einem bestimmten Alter haben Kinder sogar gerade an den grausamen Details der Passion ein großes Interesse. Völlig normal.
Auf der Rückfahrt werden die Fragen aus den Kindersitzen im Akkord kommen.
„Warum hat der das mit sich machen lassen? Jesus ist doch der Stärkste! Der könnte die doch alle umschmeißen!“ – „Das stimmt. Aber sein himmlischer Vater hat gesagt: Das ist dein Weg. Du wirst auch sterben. Aber danach – danach mach ich dich wieder lebendig!“ – „Aber warum hat das denn sein Vater gesagt? Das ist doch gemein! Das tut doch weh!“ – „Du hast vollkommen recht. Ganz schön schwer zu verstehen. Aber Jesus ist diesen Weg gegangen, weil auch wir einmal sterben müssen. Er ist den Weg für uns vorgegangen. Und wir werden ihm einmal folgen.“ – „Hm. Hoffentlich tut es bei mir nicht so dolle weh … Und dann hat Gott Jesus einfach wieder lebendig gemacht?“ – „Genau! Ich weiß nicht wie. Aber Gott kann das. Tot lag Jesus im Grab. Aber sein Vater hat ihn wieder lebendig gemacht.“ – „Das ist toll. Mama und Papa – wenn ich mal im Grab liege und ihr alle ganz dolle traurig seid und der Posaunenchor auch da ist, dann macht mich Gott auch wieder lebendig – stimmt`s? Ich bin dann im Himmel.“ – „Genauso ist es. Und wir werden dann alle zusammen dort sein. Weil wir getauft sind. Mama, Papa, deine Geschwister! Das wird toll“ – „Aber etwas ist dann blöd!“ – „Was denn?“ – „Meine Eisenbahn. Die kann ich ja nicht mitnehmen“ – „Hey, im Himmel gibt es ganz viel Spielzeug. Das wird großartig!“ Und dann findet das Gespräch nur noch schwer ein Ende. „Und Fußball? Und grillen wir dort auch? Und können wir da immer lange aufbleiben? …“
Kinder verstehen Ostern wohl deutlich leichter als wir Großen. Und gerade, wenn das Leiden und die Auferstehung von Jesus Christus mit den eigenen Krankheits – und Todeserfahrungen der Kinder in Beziehung gesetzt wird, dann spannt sich ein hilfreicher Deutungsrahmen, der Orientierung schenkt und auch sprachfähig macht, über schwere Dinge im eigenen Leben zu reden.

Es ist wunderbar, Ostern mit den Kindern zusammen in den Gottesdiensten zu erleben. Wie besonders ist es, wenn die Eltern ihre Kinder zeitig am Ostermorgen wecken. Schnell anziehen. Nur ein Glas Milch trinken, dann los. Durch die dunklen Straßen zur Kirche. Mit müden Augen dasitzen. Dann kommen die coolen Jugendlichen mit dem Pastor und der großen Kerze. Und sie singen, was die Kleinen längst wissen: „Christus, Licht der Welt.“ Und später alle zusammen: „Der Herr ist auferstanden. Halleluja!“

Seelsorge und Therapie ergänzen sich


Seelsorge und Therapie – in der Klinik Hohe Mark in Oberursel gehören beide Angebote unbedingt zusammen. Anlässlich eines Diakonietags des Kirchenbezirks Hessen-Süd der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) referierte dazu SELK-Superintendent i.R. Wolfgang Schillhahn (Oberursel), der seit zehn Jahren als ehrenamtlicher Seelsorger in der Klinik tätig ist.


Seelsorge

Die Klinik Hohe Mark in Oberursel ist eine Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, in deren Leitbild das christliche Fundament festgeschrieben ist. Die Seelsorge ist daher eine unentbehrliche Säule im Klinikkonzept. „Seelsorger und Therapeut ergänzen sich, gehören zusammen und sind doch verschieden in Richtung und Ziel“, sagte Sup. i.R. Wolfgang Schillhahn, der seit zehn Jahren als ehrenamtlicher Seelsorger in der Klinik tätig ist. Der Seelsorge gehe es um den Menschen unter Gottes Anspruch und Zuspruch, der Therapeut kümmere sich um das seelische Leben. „Wir treffen fromme und gläubige Menschen, die trotz Glaube und Gebet mit ihren Neurosen, Fehlhaltungen, Konflikten und psychischen Störungen leben und begreifen müssen: Wir alle leben von Gottes Beistand, nicht davon, dass er uns alles aus dem Weg räumt“, sagte Schillhahn.
Der Patient, der in die Seelsorge komme, suche einen Seelsorger, keinen Therapeuten. Seelsorger, die sich als „verkleidete Therapeuten“ sähen oder sich als „Therapeut für die leichteren Fälle“ verstünden, würden den Anliegen der Patienten nicht gerecht, so Schillhahn. „Zum Therapieren hat die Klinik ausgewiesene Experten. Natürlich muss der Seelsorger die seelischen Erkrankungen kennen, die Wirkung bestimmter Medikamente, muss mit den Krankheitsbildern umgehen und sie den Verhaltensweisen der Patienten zuordnen können. Aber ich bleibe immer Pfarrer und Seelsorger.“
Ziel der Seelsorge sei es, den Patienten den menschensuchenden und menschenfreundlichen Gott zu bezeugen. „Die Liebe Gottes soll groß werden, die in Jesus Christus neues Leben ermöglicht“, so Schillhahn. Dazu gehe es um die Bewältigung und Gestaltung des Lebensalltags. „Seelsorge möchte ermuntern, das Leben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Gottes Hand zu nehmen“. Und drittens wolle Seelsorge ein gesundes Selbstbild fördern. „Niemand soll sagen oder auch nur denken: Entschuldigung, dass ich auch noch da bin!“ Die geringe Selbstachtung des Menschen werde hier konfrontiert mit der bedingungslosen Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus ganz nahe gekommen ist.

Er wisse in der Regel nicht, mit welchen Anliegen ein Mensch in die Seelsorge komme, sagte Schillhahn. Er definiere den Begriff Patient nicht als „der mit dem Burnout-Syndrom oder der mit der Angstpsychose“, sondern als Mitmensch, „der wie ich von der Vergebung lebt, mit dem ich zur Gemeinde Christi gehöre.“
Oft falle den Patienten der Anfang des Gesprächs sehr schwer. Da müsse ein Seelsorger Brücken bauen und ganz ruhig bleiben. Die Bereitschaft, sich gesprächsweise zu öffnen, brauche Zeit. Je nach Temperament und Diagnose könne das Wochen dauern oder auch schon beim ersten Gespräch gelingen. Aber der Patient, der „seinen“ Seelsorger gefunden habe, werde die geschützte und vertrauensvolle Atmosphäre des Sprechzimmers, in der die Verschwiegenheit des Seelsorgers und Datenschutz gewährt ist, gerne in Anspruch nehmen.
Neben dem ruhigen Abwarten müsse der Seelsorger gut zuhören können, so Schillhahn. Das sei ein gespanntes, aktives Zuhören, dem Andeutungen und Hinweise, verklausulierte Wünsche und Ziele nicht verborgen blieben. Man brauche ein Ohr für Unter- und Zwischentöne.

Der Glaube in der Depression

Depressive Menschen, denen ihr Glauben Trost und Halt gab, erlebten oft, dass dieser Glaube durch ihre Krankheit in die Dunkelheit der Depression gezogen und immer schwächer werde, erklärte der Referent. „Dann dreht sich das Denken um und sie fragen: Habe ich solche Probleme, weil ich nicht genug glaube, bete? Ein guter Christ hat doch keine Depressionen, oder?“ Der Glaube werde oft sehr angstbetont erlebt, sagte Schillhahn, die Ursachen dafür lägen häufig weit zurück. Fragen würden geäußert wie: Wird Gott mir vergeben? Lebe ich zu wenig christlich? Wenn Menschen mich nicht so lieben können wie ich bin, und wenn ich selbst mich nicht liebe, wie sollte Gott mich lieben? Was mache ich mit meinem Zorn und mit meinem Hass auf Eltern oder Geschwister? Wie komme ich zu einem gesunden Gottesbild? Wie lerne ich beten? Wie kann ich anderen vergeben? Wo soll ich hin, wenn ich entlassen werde? Wie bekomme ich zu Hause neue Kontakte? Oder Ängste wie: Jesus kommt und nimmt mich nicht mit. Gott will mich gar nicht, würden die Patienten belasten.

Die Seelsorger gäben keine Ratschläge und hätten auch keine Rezepte, so Schillhahn. „Die Leute in meinem Sprechzimmer brauchen nicht therapeutische Verstärkung oder Nacharbeit, sondern das, was in vielen Fällen für sie der letzte Halt und die letzte Hoffnung ist.“
Manchmal verschließe ihm das Leid auch den Mund, sagte der langjährige frühere Gemeindepfarrer. „Dann sitze ich auch einfach da. Höre zu. Leide mit und klage mit dem Patienten Gott alle Not. Uns bleibt das Gebet.“
Sein Gebetsangebot könne aber durchaus auch auf Ablehnung stoßen, weil Patienten nicht die Kraft oder den Willen zum Mitbeten hätten. Dann begnüge er sich mit einem Segen und der Versicherung, dass er die Anliegen im persönlichen Gebet aufnehmen werde. „Wir trauen dem Gebet viel zu, wollen aber niemanden „zubeten!“ Manchmal muss Gott selbst der Seelsorger sein.“, so Schillhahn. Und weiter: „In großer Geduld wird der Seelsorger immer wieder thematisieren, dass wir vor Gott wertvoll sind, selbst wenn wir zur Zeit „darniederliegen“. Wir trösten. Sprechen Vergebung zu. Ermutigen und segnen. Patienten brauchen Begleiter, die Halt und Schutz bieten. Die einfach dabeibleiben, sich nicht vereinnahmen lassen und mit nüchterner Gelassenheit Grenzen setzen.“
Der Kern aller Seelsorge sei die biblische Botschaft von der Rechtfertigung, sagte Schillhahn: „Menschen, die sich immer wieder verlaufen haben im Leben, die Schlimmes ertragen, aber auch selbst schuldig geworden sind an Gott, an anderen und an sich selbst, die bitter und traurig geworden sind, die sollen hören, dass Gott sie liebt, auch wenn sie selbst sich nicht liebenswert finden, dass sie wertgeschätzt sind, auch wenn sie zeitweise nichts leisten können, dass er warten kann und vergeben will. Der Patient soll hören, dass Gott ihn liebt. Der gekreuzigte und auferstandene Herr hört unser Klagen und unser Schweigen. Er wartet in Geduld und will vergeben, was uns als Sünde von ihm trennt. Wenn wir zweifeln, wenn wir ihn nicht spüren, wenn wir ihn für ungerecht halten: Wir gehören auf Gottes Seite. Er ist unser Vater (wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn) und nicht ein Polizist der nur darauf wartet, dass er uns bestrafen kann.“

Es gebe Situationen in der Seelsorge, da erreichten selbst die frommsten Worte den Menschen nicht. Depressionen und Ängste zögen auch das Glaubensleben der Menschen tief ins Dunkle. „Aber es bleiben uns Segen, Salbung, Beichte und heiliges Abendmahl“, so Schillhahn; Sakramente und heilige Zeichen hätten Kraft, die Tiefenschichten unseres Lebens anzusprechen. „Da ist der Segen, der dem Einzelnen durch Handauflegung zugesprochen wird. Ein Zeichen der Fürsorge und Liebe Gottes, das man spürt.
Ähnlich ist es mit der Salbung. Sie ist Zeichen der Freude, Zeichen der Zugehörigkeit zum gesalbten Jesus Christus. So gut es tut, gestreichelt zu werden, so gut ist es für den Kranken, gesalbt zu werden, Gott zu erfahren, der nahe sein will und durch unsere Haut tief in uns wirken will.
Da ist die Beichte. Wenn ich Schuld und Sünde nicht „abwerfen kann“ dann geschieht, was Gottes Wort in Psalm 32 sagt: „Denn da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine.“ Das heißt, der Mensch wird krank, verschmachtet, obwohl der Arzt attestiert: organisch gesund. Wer in sich hineinfrisst, setzt seinen Leib, Seele und Geist unter Druck“, sagte Schillhahn.
Und schließlich das heilige Abendmahl: „Nimm hin und iss, Christi Leib, Christi Blut für dich gegeben!“ Wolfgang Schillhahn: „Es ist gut, dass den Patienten nicht gesagt wird: „Reiß dich zusammen. Bete länger, intensiver.“ Sondern: Halte still, nimm einfach hin und iss! Mehr muss man nicht tun. Wertschätzung für jeden. Gottes Liebe und Zuwendung ohne Ende, die man „schmecken und sehen“ darf, auch wenn man sich kaum äußern kann, wenn die Konzentration zu wünschen übrig lässt.“
Nicht jeder gehe gesund nach Hause, sagte der Seelsorger abschließend. Manchmal sei es schon ein Erfolg, wenn jemand gelernt habe, mit seiner Krankheit umzugehen. Die Heilung des Menschen sei etwas großes, „noch größer ist das Heil in Christus“.

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